Die Tage der Doppelspitze bei Deutschlands größter Bank sind gezählt: Spätestens im kommenden Frühjahr wird die Deutsche Bank wieder von einem einzigen Vorstandschef regiert, dem Briten John Cryan. Der 54-jährige soll bereits in rund drei Wochen Anshu Jain an der Spitze des Geldhauses ersetzen und die Bank für eine Zwischenzeit dann noch mit dem anderen Co-Chef Jürgen Fitschen führen.

Nach heftiger Kritik an ihrem Kurs hatten Fitschen Jain am Sonntag ihren überraschenden Rücktritt angekündigt. Jain wird sich bereits zum 30. Juni 2015 zurückziehen, Fitschen zum Abschluss der Hauptversammlung im Mai 2016. Cryan, der bisher kaum öffentlich in Erscheinung getreten ist, wurde zum 1. Juli 2015 zum Co-Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank ernannt. Nach Fitschens Ausscheiden soll Cryan alleiniger Vorstandschef der Bank werden.

Seit 2013 Aufsichtsrat

Cryan ist seit 2013 Mitglied des Aufsichtsrats der Deutschen Bank und hat die Funktion des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses inne. Er ist zudem Mitglied des Risikoausschusses. Mit Amtsantritt als Co-Vorstandsvorsitzender wird er sein Mandat als Mitglied des Aufsichtsrats der Bank niederlegen. Cryan war von 2008 bis 2011 - und damit inmitten der Finanzkrise - Finanzvorstand der Schweizer Großbank UBS.

Der Aufsichtsrat habe Jain gebeten, bis Jänner 2016 als Berater der Bank zur Verfügung zu stehen. Fitschen soll einen geregelten Übergang sicherstellen und bis zum Abschluss der Hauptversammlung am 19. Mai 2016 im Amt bleiben.

"Die richtige Entscheidung"

Jain erklärte, es sei für ihn nach der Aufstellung der neuen Strategie "zu diesem Zeitpunkt die richtige Entscheidung für die Bank und für mich, eine neue Führung zu etablieren". Das Ende April vorgestellte Konzept sieht vor allem eine Schrumpfkur im Privatkundengeschäft und eine Trennung von der Postbank vor. Cryan sagte: "Unsere Zukunft hängt davon ab, wie gut wir unsere Strategie umsetzen, unsere Kunden überzeugen und die Komplexität reduzieren."

Milliardenschwere Rechtsstreitigkeiten, eine unrühmliche Vergangenheit und eine maue Aktienkursentwicklung: Das Duo Jain/Fitschen sah sich seit Jahren Kritik aus vielen Richtungen gegenüber. Bei der Hauptversammlung im Mai räumten beide auch selbst ein, dass ihre bisherige Amtszeit seit Juni 2012 keine reine Erfolgsgeschichte gewesen sei. Der Abbau von Altlasten sei teurer und dauere länger als gedacht. Zudem habe das Management die neuen Vorgaben der Aufseher weltweit unterschätzt.

Die Aktionäre überzeugte auch die neue Strategie nicht. Sie zeigten dem Führungsduo die gelbe Karte: Jain und Fitschen wurden lediglich mit jeweils 61 Prozent entlastet.

Reaktionen zum Führungswechsel

Wall Street Journal: "Die neue Spitze der Deutschen Bank steht weiter vor einer existenziellen Frage. Ein neuer Chef wird möglicherweise nicht ausreichen, um das strategische Dilemma zu beenden. Jains Nachfolger John Cryan, ein ehemaliger Investmentbanker aus dem Aufsichtsrat, kann zwar frischen Wind in die bevorstehenden Aufgaben bringen, aber wenig mehr. In vielerlei Hinsicht sind seine Hände gebunden."

New York Times: "Als Außenstehender ist John Cryan unbefleckt von den rechtlichen Problemen, die den Ergebnissen der Deutschen Bank und ihrem Ruf schaden. Anshu Jain musste sich der Frage stellen, ob jemand, der dem Investmentbanking so nahe steht, der Richtige sein kann, um mit den Vorwürfen aufzuräumen. Die meisten Anschuldigungen richten sich gegen das Investmentbanking, das Jain führte, bevor er Vorstandschef wurde."

Forbes: John Cryans erste Aufgabe wird es sein, eine neue Strategie zu finden. Die Deutsche Bank braucht eine radikale Operation - wahrscheinlich eine Aufspaltung. Cryan hat sicherlich den Hintergrund und die Erfahrung für diese Herausforderung. Aber die Aktionäre werden nicht viel Geduld haben. Um ihr Vertrauen wieder herzustellen, muss Cryan schnell und richtig handeln.

Die Welt: "Das Vertrauen haben Jain und Fitschen bei ihren Investoren, in weiten Teilen der eigenen Bank und auch in der deutschen Öffentlichkeit gründlich verspielt. Als sie vor drei Jahren antraten, versprachen sie, vieles anders und besser zu machen als ihr Vorgänger Josef Ackermann – die Bank sollte wirtschaftlich endlich wieder auf die Erfolgsspur gebracht werden und vor allem auch moralisch sauberer werden. Doch eingelöst haben sie beides nicht. Intern rumort es heftig, und es fehlt an einer zugkräftigen Vision. Und die Öffentlichkeit sieht die Führungsspitzen des Instituts vor allem in Gerichtssälen sitzen. Der Nimbus der Integrität ist verloren."

The Times: "Mitten im Kampf der Deutschen Bank, eine Fülle von Skandalen zu bereinigen, sind ihre unter Druck stehenden Co-Vorstandschefs unerwartet von ihren Posten zurückgetreten. Nach Spekulationen an den Märkten könnte dieser plötzliche Führungswechsel bei der Bank, die zu den weltweit größten Investment-Häusern gehört, durch wachsenden Druck globaler Aufsichtsgremien und Investoren ausgelöst worden sein, die für eine neue Führung plädierten, um Vertrauen zurückzugewinnen."