Lebenslanges Lernen ist wichtig, auch beruflich. Und dass der Staat Weiterbildungsmaßnahmen erwerbstätiger Personen fördert, ist ein wichtiger Teil aktiver Arbeitsmarktpolitik – so weit sind sich in der aktuellen Diskussion um Kosten und Nutzen der Bildungskarenz alle Parteien einig. Seit 2020 gibt es allerdings eine bemerkenswerte Entwicklung in Österreich, die aktuell gerade der wirtschaftsliberale Thinktank „Agenda Austria“ zur Debatte stellt: Alleine zwischen 2019 und 2023 sind die Ausgaben für das sogenannte Weiterbildungsgeld, das man in Bildungskarenz ausbezahlt bekommt, von knapp 214 Millionen auf mehr als 510 Millionen Euro gestiegen, was an der verstärkten Inanspruchnahme liegt. „Das entspricht einem Kostenanstieg von fast 140 Prozent“, sagt Agenda-Austria-Ökonomin Carmen Treml.

Von guter zu besserer Ausbildung

2023 seien die Kosten, die aus den Mitteln der Arbeitslosenversicherung bestritten werden, schon auf eine halbe Milliarde Euro gestiegen, was in etwa der Höhe der NoVA-Abgaben 2024 entspräche. Zuletzt, zwischen 2022 und 2023 gab es einen Sprung von 35 Prozent. Zum Run auf die Bildungskarenz sagt Treml: „Im 2. Quartal 2023 haben rund 22.000 Personen Weiterbildungsgeld bezogen, wieder eine Rekordzahl.“ Und nur etwa 2500 dieser 22.000 Menschen hätten lediglich die Pflichtschule absolviert. Auch wenn die Zahlen aufgrund einiger Lücken in den statistischen Erhebungen mit Vorsicht zu genießen seien, belegt die Analyse: Die Maßnahme verfehlt das ursprüngliche Ziel, vorrangig eine Hilfe für schlechter qualifizierte Personen zu sein.

Bildung als Frauensache

Bildungskarenz ist außerdem Frauensache: 18.000 Frauen standen im zweiten Quartal 2023 nur etwas mehr als 4000 Männern gegenüber. „Bis 2018 lagen Frauen und Männer fast gleichauf“, zeigt Treml die ­drastische Veränderung auf. Und 70 Prozent der Frauen nehmen Bildungskarenz mittlerweile nach der Elternkarenz in Anspruch, „als Verlängerung der Babypause“, was freilich nie die Intention war. Hinzu komme, dass die Hürden zur Genehmigung einer Bildungskarenz durch das Arbeitsmarktservice gering seien: „Im Jahr 2022 wurden, trotz zahlreicher Einwände, nur zwei Prozent der beim AMS eingebrachten Anträge tatsächlich abgelehnt.“ Ebenfalls in der Kritik der Agenda sind mangelnde Anwesenheitspflichten bei den Kursen bzw. mangelnde Überprüfung und Überprüfbarkeit des Lernpensums: „Online-Einheiten mit Anwesenheitspflicht werden Präsenzeinheiten gleichgesetzt.“

Die Schlussfolgerung der Agenda Austria: Es brauche eine zielgerichtete Ausformulierung der Bildungskarenz und strengere Anforderungen von Anfang an – schon bei Kriterien, die Weiterbildungsgeldbezieher erfüllen müssen. „Es braucht eine Reform, oder man rollt das ganze Weiterbildungssystem neu auf“, sagt Treml.

Gleicher Befund, anders interpretiert

Silvia Hofbauer, Leiterin der Abteilung „Arbeitsmarkt und Integration“ bei der Arbeiterkammer Wien meint dazu: „Der Befund ist nicht falsch, aber die Schlüsse, die daraus gezogen werden, sind nur bedingt richtig.“ Bildungskarenz sei als Mittel, selbst gewählte Weiterbildung zu finanzieren, umso wichtiger, als man sonst in Wahrheit arbeitslos sein müsse, um eine Weiterbildung finanziert zu bekommen. Und Unternehmen würden sich immer weiter von der Kostenübernahme für Weiterbildung zurückziehen. „Es ist nicht sinnvoll, jetzt extreme Härten einzuführen, etwa dass jemand, der eine Prüfung nicht schafft, rückwirkend das Geld zurückzahlen muss – aber eine gewisse Anwesenheitspflicht bei den Ausbildungen und Nachweise wären sinnvoll.“

Dass untere Bildungsschichten wenig von der Bildungskarenz profitieren, macht Hofbauer vor allem an der Tatsache fest, dass wenig Qualifikation auch wenig Einkommen bedeutet und damit auch kaum Arbeitslosengeld, an dem sich das Weiterbildungsgeld bemisst. Anders gesagt: „Diese Menschen können sich keine Bildungskarenz leisten.“ Die Schlussfolgerung: „Die unteren Höhen von Weiterbildungsgeld gehören angehoben.“ Die Schieflage, dass hauptsächlich junge, meist gut ausgebildete Mütter Bildungskarenz in Anspruch nehmen, lässt sich, wie Hofbauer betont, nur in einem Gesamtpaket gemeinsam mit dem Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen beheben.

Kritik schon vor einem Jahr

Der Rechnungshof hatte die Schwachstellen der Bildungskarenz bereits vor einem Jahr im Visier. Im Ministerium für Arbeit und Wirtschaft heißt es auf Anfrage zum Stand einer etwaigen Reform: „Das Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft hat mit den Sozialpartnern Gespräche geführt und ein gemeinsames Verständnis über Reformoptionen entwickelt, die an die Grünen herangetragen wurden. Es liegt nun beim Koalitionspartner, diese zu bewerten.“

Markus Koza, Sozialsprecher der Grünen, sagt dazu: „Es ist auffallend, dass die aktuelle Debatte um eine Reform der Bildungskarenz, die wohl auf deutlich niedrigere Ausgaben abzielt, mit der ÖVP-Kampagne für eine Senkung der Lohnnebenkosten zusammenfällt.“ Die Bildungskarenz sei eine bei Arbeitnehmern beliebte und erfolgreiche Maßnahme. Für Reformen, die in Wahrheit Leistungskürzungen zum Ziel haben, stünde man nicht zur Verfügung. Für bessere Zugänge für Menschen mit niedrigem Einkommen oder sinnvolle Verwaltungsvereinfachungen sei man hingegen zu haben.