Die Zeit des „Stealth Mode“, der stets sagenumwobenen „Geheimhaltungsphase“, ist vorbei. Lange wurde spekuliert und gerätselt, nach einem ersten Aufblitzen auf der Paris Fashion Week Ende September erblickte der AI Pin des US-Start-ups Humane am Donnerstag jetzt ganz offiziell das Licht der Welt.

„AI-first Platform“ nennen die beiden Gründer und Eheleute Imran Chaudhri und Bethany Bongiorno die zugrunde liegende Idee. Der Pin sei nur die Hardware, die dieser Idee, dem vollen Fokus auf Künstliche Intelligenz, Gestalt verleiht. Das reduzierte Design des magnetischen Pins, als Farben werden Schwarz, Silber und Weiß angeboten, deutet schnell auf die Herkunft der beiden Gründer hin. Beide arbeiteten sie lange Zeit bei Apple, jetzt gingen Chaudhri (22 Apple-Jahre) und Bongiorno (8 Jahre bei Apple) dem einstigen Arbeitgeber und IT-Taktgeber möglicherweise einen Schritt voraus.

OpenAI-Gründer als Investor

Jedenfalls tun sie das mit einem Rucksack voll Geld. 100 Millionen US-Dollar sammelte Humane jüngst von Risikokapitalgebern ein, zu den Investoren zählen auch Microsoft oder OpenAI-Gründer Sam Altmann. Also der Mann hinter ChatGPT, jenem beliebten wie umstrittenen Chatroboter, der seit gut einem Jahr dem Thema Künstliche Intelligenz noch nie da gewesene Reichweite verlieh.

ChatGPT, beziehungsweise das KI-Sprachlernmodell dahinter, haucht auch dem AI Pin Leben ein. Das technische Rückgrat der Geräte bilden ein Snapdragon-Prozessor von Qualcomm, spezielle Sensoren für Tiefen- und Bewegungserkennung und eine 13-Megapixel-Kamera. Außerdem ist eine Art Mini-Laser-Projektor an Bord, mit dessen Hilfe man sich ergänzende Informationen auf die Handfläche projizieren lassen kann.

Humanes AI Pin
Humanes AI Pin © Humane

Interagiert wird von den Nutzern per „natürlicher Sprache“ oder Gestensteuerung. Die Stärken des AI Pin? Neben der von ChatGPT bekannten Redseligkeit wird in Demo-Videos etwa das Abfilmen einer Handvoll Nüsse gezeigt, dessen Kalorienanzahl der AI Pin anschließend berechnet. Anderswo sieht man, wie der Pin ein gezeigtes Buch „scannt“ und es anschließend online bestellt. Aber auch die Integration von Musikstreamingdiensten wie Tidal oder Fotoplattformen soll bereits möglich sein.

Stets ist dabei zu beobachten, dass das Gerät leuchtet, wenn es mithört oder mitfilmt. Ein Lernen der Branche aus dem Hantieren mit Googles erster Datenbrille Google Glass, die massive Datenschutzbedenken auslöste. Auf welches KI-Modell Humane konkret zurückgreift, ist noch nicht bekannt. Vieles spricht aber dafür, dass es das leistungsstarke GPT-4 von OpenAI ist.

Computerpower – und trotzdem präsent

Von einem noch nie da gewesenen Wearable spricht Co-Gründer Chaudhri gerne. Dass es Menschen ermöglicht, „auf die Power von Computern“ zurückzugreifen und zugleich „in ihrer Umgebung präsent zu sein“. Die Balance, so Chaudhri, sei in diesem Zusammenspiel in den letzten Jahren verloren gegangen. Martialisch formuliert, könnte man sagen, Humane will die wachsende Gattung der Smombies ausrotten. Ein häufig verwendetes Kofferwort aus „Smartphone“ und „Zombie“, das auf Menschen abzielt, die durch den ständigen Blick aufs Handy nichts oder nur sehr wenig von ihrer realen Umgebung mitbekommen.

Der AI Pin als Miniprojektor
Der AI Pin als Miniprojektor © Humane

Preis bereits bekannt

Wie der AI Pin eigentlich zu bekommen ist? Speziell in Europa heißt es einmal geduldig zu sein. Produziert wird vorerst eine Charge von 100.000 Stück, vertrieben wird der knapp 700 US-Dollar teure AI Pin ausschließlich in den USA. Und zwar ab 16. November exklusiv im T-Mobile-Netz in Form eines Zweijahresabos, für das man pro Monat 24 US-Dollar zahlt. Was unweigerlich zur Frage des möglichen Erfolges führt.

Die Preisklasse spricht nämlich dafür, dass das Produkt bereits jetzt als Smartphone-Ersatz fungieren soll. Fraglich, ob das die Nutzerinnen und Nutzer auch so sehen. Nicht zuletzt löst auch der AI Pin nicht jene Herausforderungen, denen Künstliche Intelligenz im Allgemeinen gerade gegenübersteht. So gibt es bereits erste Berichte, wonach der AI Pin plausible, aber inhaltlich falsche Antworten auf gewisse Fragen gibt. Was dann ein Gerät, das primär auf KI aufbaut, schnell zum großen Problem werden lassen kann.