Schon im Vorjahr haben wir uns gequält und eine Übersicht der besten 15 Tracks des Vorjahrs aus Graz (oder zumindest von Ex-Grazerinnen und -Grazern) zusammengestellt. Und auch heuer war es nicht leicht, die Auswahl auf 3x5 Lieder einzuschränken. Doch diese Songs waren es, die  uns durchs Jahr begleitet haben:

Sladek - Up In The Clouds

EP: "Fabricated Reality"

Wir wollen den Lorbeer nicht zu hoch hängen. Deshalb erinnern wir hier nicht an den King, aber vielleicht doch an einen Prince, auch Terence Trent D’Arby kommt uns in den Sinn, wenn wir mit Sladek über fluffigen Soul und R’n’B-Wolken durch die Lüfte segeln. Da hinten am Horizont schippert der Motown-Kreuzer durch die internationalen Gewässer. Der Groove und David Sladeks Stimme beweisen: Auch Weiße können im Soul viel Seele zeigen. (HEC)

Oxyjane - "Don't take it for granted"

Album: "0 2 9"

Schwere Grungegitarren und unwiderstehlicher Pop: Oxyjanes Debütalbum, heuer erschienen bei Numavi Records, ist ein Backflash in die Neunziger Jahre - so ätherisch und leicht, wie ihn nur Musikerinnen und Musiker machen können, die in der Nirvana-Ära gerade einmal geboren wurden. (NM)

SALÒ - "Apollonia sitzt bei Edeka an der Kassa"

EP: "Rabatt"

Der „Newcomer“ des österreichischen Musikjahres heißt Salò. Und der hat seine Wurzeln in Leibnitz/Graz. Von heimischen Alternativ-Sendern wurde er unverständlicherweise lange ignoriert. Mittlerweile kommt an Salò niemand mehr vorbei. Sein Song „Apollonia sitzt bei Edeka an der Kassa“ avancierte zu einem der großen Indie-Hits im deutschsprachigen Raum 2022. Salò ist ein nimmermüder Musik-Hackler, der in den letzten 12 Monaten jede Bühne von Gramatneusiedl bis Berlin bespielte. Sein Kahlschlag-Pop trifft den Nerv einer ganzen Generation, die nach Katharsis und Entgrenzung strebt. Der Sänger und Rapper schweift als Welten-Skeptiker durch die Welt, strahlt in seiner Musik auch eine kurzweilige Lebensleidenschaft aus. Salòs Musik lebt von der Verkürzung, wirft Ballast und Verschnörkelung über Bord, pflügt sich mit harten und trockenen Beats durch den Gehörgang. Seine Texte sind Poesie und Punchline zugleich. Im nächsten Jahr folgt auf die EP, wie man hört, ein vollständiges Album bei Universal. (JM)

Lonely Inc. - "Ghost"

Als Mastermind der steirischen Band Polkov erlangte Laurenz Jandl einst Bekanntheit. Sein Solo-Projekt „Laurie“ hat der Musiker mittlerweile ad acta gelegt. Mit seinem neuen Projekt Lonely Inc. bestreitet Jandl neue Wege. Bisher für weidwundes Songmaterial bekannt, lässt Lonely Inc. Deutlich mehr Spontaneität zu. Zwischen zerknitterten Folk-Gitarren, und einem knarzend-intimen Melodienwald streift seine erste Single „Ghost“ – ein Werk, das begeistert. Produziert wurde der Song vom wohl begehrtesten Produzenten des Landes, Marco Kleebauer (Bilderbuch, Leyya, Oehl). Die Background-Stimmen stammen von Sharktank-Musikerin Katrin Paucz. (JM)

Candlelight Ficus - "Totally Different Man"

Album: "Golden Life"

Handwerklich spielen die Burschen aus der Ficus-Fun-Zimmerpflanzen-Abteilung eindeutig in der Grazer Oberliga. Sie können nicht verleugnen, dass sie jener Generation entstammen, denen wir jahrelang nur 80ies-Parties serviert haben. Ihre Rache ist - auch mit groovigen Ausflügen in die 1970er - formidabel gelungen. Sie sind wohl einer der hottesten und tightesten Live-Acts der Stadt. So am Punkt, dass sie selbst als Band für den strengsten Godfather of Soul, James Brown, geglänzt hätten. Immer noch aber haben wir einen Anti-Hochglanz-Wunsch für ihre Studioarbeit. Traut euch doch rein in den Fahrstuhl und gondelt auch für eure Alben ein paar Etagen tiefer - dorthin wo im Funk der schwitzende Sex schlummert, den ihr auf der Bühne so großartig weckt. (HEC)

Fraeulein Astrid - "r u really ok"

Wer sie schon einmal live erlebt hat, weiß, Fraeulein Astrid erledigt ihren Job gerne gut und alleine. An den Keys, an der Gitarre, in totaler Kontrolle ihrer Stimme und ihrer Samples. Da kann schon Magie entstehen. 2022 war für die junge Musikerin, die von Graz nach Wien aufgebrochen ist, ein großes Jahr. Sie hat ihre ersten drei Songs tatsächlich und endlich als Singles herausgebracht – und diese auch atmosphärisch dicht produziert. Die neueste Single ist keine One-Woman-Show: Man hört auch ihren einstigen Kinderchor “Frohnleitner und Übelbacher Spatzen” und Felix Paschke (verhalten) am Schlagwerk. Groß! (HEC)

Velvet Wasted: "So Fast"

Album: "Chasing Hearts"

Ja, wir bleiben auch bei diesem Anspiel-Tipp lieber Old-School und bei viel Qualität. Velvet Wasted bietet uns Rock, so straight, das wir uns damit nach jahrelanger Abstinenz damit wieder anfreunden können. Riffs, Refrains, raue Röhre – da fehlt es an nichts. Sie schätzen den Vergleich mit den Kings of Leon, klingen in unseren Ohren aber mehr nach den 1990ern, als diese noch intakt waren. Also, die Ohren. (HEC)

Love God Chaos - "Wir leuchten im Dunkeln"

Album: "Wir leuchten im Dunkeln"

Die wohl wohlüberlegteste Rock-Band des Landes heißt Love God Chaos. Und sein wir uns ehrlich, wer die Grundkoordinaten unseres Daseins - die Liebe, Gott und das Chaos – in sich trägt, muss mit sich selbst zumindest peripher im Reinen sein und wissen, worauf es ankommt. Frontmann und Mastermind Marcus Heider entführte seine Hörerschaft auf dem 2022 erschienen Album „Wir leuchten im Dunkeln“ wieder in die episch-galaktische Welt des Alter Egos „Johnny“. Die Geschichten und Songs sind voller Anspielungen, Verheißungen, Chiffren aber verlieren sich dennoch nie in Schmalz und Großspurigkeit. Gemeinsam mit dem tschechischen Filmorchester wagen die Grazer die Annäherung an eine Rock-Oper, schlagen als Band gefinkelte Progrock-/Indie-Pop-Finten, vermeiden aber jeden unnötigen Lärm. (JM)

Love A.M. - "Pointless"

Album: "In Disarray"

Die augenzwinkernde Eigendefinition von "dreamy cute-punk" kann man angesichts der ersten Single aus dem Debütalbum "In Disarray" vergessen, denn da wird heiß mit düsteren Wave-Sounds geflirtet - bis eine Ohrwurmmelodie voller Hoffnung alle finsteren Gedanken wegträgt, hinauf in den Synthiehimmel. (NM)

Interstellar Bungalow - "Hull Breach"

EP "Cargo"

Selina Galka hatten wir weiter oben schon mit ihrer Band Oxyjane, und auch ihr anderes Projekt Interstellar Bungalow hat es in diese Liste geschafft. "Hull Breach", die erste Single aus der EP "Cargo" ist weniger Grunge als Noise-Pop, Hauptsache 90er-Jahre - und wieder wird hier eine Ohrwurm-Melodie leidenschaftlich durch Noise-Gitarren zerstört. Und so  letztendlich noch schöner gemacht. (NM)

Christian Albrecht - "Black Wide Hall"

Album: "Somewhere we go"

Der Singer-Songwriter Christian Albrecht ist eine Klasse für sich. Er gehört zu jener Riege an Sängern, die eine Einkaufsliste vom letzten Besuch beim Nahversorger vorsingen könnten und dabei Menschen zum Weinen bringen würden. Seine Musik – meist beschränkt er sich auf Gitarre und Gesang – ist völlig aus der Zeit gefallen. Sie folgt keinem erkennbaren Schema, keiner Ästhetik. Das macht sein 2022 erschienenes Album „Somewhere we Go“ auch so besonders. Es ist Songschnitzkunst in ihrer pursten Ausprägung. Die Konstante: Gute Songs. Highlight des Albums: „Black Wide Hall“ gemeinsam mit Sängerin „friia“ (Alice Ohenhen). (JM)

Petrol Girls - "Clowns"

Album: "Baby"

Man sollte schon wissen, dass diese krachende, feministische Punktruppe, die drüben auf der Brexit-Insel 2012 das Licht der Welt erblickt hat, ihre Heimstätte in Graz (und Wien) hat. Nein, das Quartett ist, egal ob bei Tom Zwanzger im Stress-Studio, oder auf Bühnen in Europa, wahrlich keine Faserschmeichler-Combo. Mit der shoutenden Ren Aldrige sind sie hochpolitisch, brutal – also Rage, aber volle Maschin'. 100 Prozent pure, zornige Energie. Ein Erlebnis! (HEC)

Jayden - "Joch"

Album: "Morals"

Es gibt nur eine Richtung: vorwärts. Und es gibt nur ein Gas: Vollgas. Straightforward Punk, so knackig und energievoll wie sich das gehört, hat die Band Jayden heuer auf ihrem Debütalbum auf Numavi Records serviert. Das Video ist die endlich fällige Abrechnung mit Ampeln aus Fußgängerinnensicht. (NM)

Cryptic Commands - "Trickster"

Album: "Long Distance Call"

Wir leben in einer Zeit, in der Alben von schlechten Rappern auf Streaming-Plattformen als Rock verkauft werden. Umso wichtiger sind echte Rock-Bands, die ohne großspurige Prolo-Geste den wahrhaftigen Kern dieses missverstandenen Genres freilegen. Eine ganz vorzügliche Band in diesem Metier nennt sich Cryptic Commands. Irgendwo zwischen Shoegaze und Lofi-Indie hat die vierköpfige Grazer-Band ihre Zelte aufgeschlagen. Weniger roh als auf ihrem letzten Tonträger weiß das Quartett mit ihrem neuen Album „Long Distance Call“ dennoch gleichermaßen zu begeistern. Unaufgeregt, geradlinig, auf den Punkt und keineswegs kryptisches Kommando, wie der Bandname vermuten lassen würde. (JM)

Paul & Pets - "I'm Always Here"

Album: "Domestic Monastic"

Und erneut stecken wir knietief in den 90ern, in diesem Fall allerdings nur für den einen Song hier, dessen schönes Video wir Ihnen nicht vorenthalten wollten: "I'm always here" ist ein Cover des "Baywatch"-Titelsongs. Soundtechnisch bediente sich "Domestic Monastic", das Debütalbum von Paul & Pets (aber natürlich bei weitem nicht das erste Album von Paul Pfleger) größtenteils in der nerdig-verspielten Psychedelic-Kiste, immer mit einem großen Herz für große Melodien. (NM)

Mehr & Playlist

Außerdem 2022 noch gerne gehört: Van Mojo And The Ponystress Ensemble, forrest.mov, Good Wilson, The Base, Pandoras Kleine Schwester, Jigsaw Beggars, Binder & Krieglstein, Freekind ...

Unsere Top 15 und mehr Lieblingssongs aus Graz gibt es in unserer Playlist auf Spotify: