In der Ausstellung „Protest!“ im Graz Museum ist der allerhinterste Raum in eine „Protest-Werkstatt“ umfunktioniert worden. Auf einem großen Arbeitstisch liegen Papier, Karton, Bunt- und Filzstifte und Leim bereit, sowie „Der analoge Demo-Routenplaner“, ein eingeschweißter Stadtplan von Graz, der auf eine lange, vor Google Maps und WhatsApp liegende Protesttradition hinweist. Zwei Weißwandtafeln, auf denen diverse Fragestellungen zu lesen sind – „Gibt es ein Mittel gegen Krieg?“ und „Was wäre eine Demokratie ohne Protest?“ – warten auf ihren Einsatz. Es ist bereits das zweite Mal, das ich diese Ausstellung besuche: gerade in diesen Tagen möchte ich an die Mittel des Protests glauben, möchte glauben, dass die Welt sich noch zum Besseren ändern kann. Auf dem Tisch steht ein Kästchen voller kleiner Figuren: graue Männchen, auf denen man selbstgemalte Schildchen kleben kann: „Schützt die bedrohten Tierarten!“; „Equal rights for everyone!“; und „Stopp dem Mikroplastik!“ Ich setze mich hin, starre den Tisch an und wünsche mir eine eigene Armee kleiner grauer Männchen, denn der Anblick des leeren Raums betrübt mich.

Die jungen Revolutionäre, für die die Werkstatt eingerichtet ist, sind in der Schule. Doch die Stille täuscht, denn die großartige, von Museumsdirektorin Sibylle Dienesch konzipierte Ausstellung zeigt, dass Graz auf eine lange, lautstarke Geschichte lokaler und internationaler Protestbewegungen zurückblickt: von Demos gegen Atomkraftwerke oder den Vietnam-Krieg über Hungerstreiks gegen Wohnungsnot und schlechtes Essen im Gefängnis; von Demonstrationen für Frauenrechte, für den Klimaschutz, oder für eine alternative Verkehrspolitik zu den Protesten gegen Tierfabriken, Rechtsextremismus, und Impfzwang: einige dieser Bewegungen haben große Erfolge erzielt, andere bleiben weiterhin aktuell oder sind obsolet. Die Proteste, die künstlerische Ausdrucksforme verwenden, sind oft die wirkungsvollsten: die Gedichte der Black Lives Matter-Bewegung beispielsweise, oder „We Are the Freedom“, die 24 markanten Plakate der ukrainischen Gruppe Grafprom, auf denen Texte des Dichters Serhij Zhadan zu lesen sind: „Freiheit ist […] eine abstrakte Idee, bis du persönlich von der Möglichkeit bedroht wirst, sie zu verlieren“.

„Vergeblich suche ich nach einem Wort des Protests gegen einen Krieg...“

Die Arbeit, die mich allerdings in meiner momentanen Auffassung am tiefsten trifft, ist die „Brandrede Rosa Luxemburg und Emma Goldman Appropriated“ von Reni Hofmüller und Anita Hofer, in der sie wie in einer Litanei einige schwer zu leugnenden Sätzen ins Megafon vortragen: „Wir gehen davon aus, dass jede Form von Herrschaft auf Gewalt beruht“ oder „Wir gehen davon aus, dass die Menschheit eine Masse von Feiglingen ist, die allen zujubelt, die ihnen nach dem Mund reden“. Welchen Preis muss man zahlen, um mutig zu sein, frage ich mich; und was würden uns Rosa Luxemburg und Emma Goldman heute sagen?

In der Protest-Werkstatt steht eine Timeline an der Wand: Besucher werden eingeladen, die Namen von Protestbewegungen neben den entsprechenden Jahreszahlen anzubringen. „Fridays for Future“; „Gegen Mietwucher“; oder „Just Smile“: das Jahr 2023 enthält die meisten Einträge. Vergeblich suche ich nach einem Wort des Protests gegen einen Krieg, bei dem bereits über 18000 Menschen gestorben sind und noch weitere Tausende unter den Trümmern liegen. Ich halte inne, denke an die kleine Armee grauer Männchen und frage mich, wie man das Aufbegehren lehren kann. Ich nehme einen Zettel vom Tisch, schreibe auf ihn „Save Palestinian Lives“, und klebe ihn an der Wand des leeren Ausstellungsraums, oberhalb der Jahreszahl 2023. Als Protest gegen sinnloses Sterben, und in der Hoffnung, wenigstens einen jungen Museumsbesucher so zu erreichen.