Herr Vander, Sie sind den meisten Steirerinnen und Steirern ja durch das leidige Coronathema bekannt. Steht Ihnen das schon an?
KLAUS VANDER: Nein. Es hat dazu geführt, dass vormals eher unbekannte medizinische Disziplinen – etwa die Mikrobiologie und Krankenhaushygiene, das ist ja mein eigentliches Fach – bekannter geworden sind. Vonseiten der Medien lag der Fokus primär auf Virologen oder Epidemiologen. Irgendwann habe ich aufgegeben, darauf hinzuweisen, dass ich kein Virologe bin. Im selben Atemzug muss ich darauf hinweisen, dass sich die Fachdisziplin Virologie historisch aus der Klinischen Mikrobiologie entwickelt hat. Somit war die formale Unschärfe der Bezeichnung zu tolerieren.

Sie sind aufgefallen als einer, der Corona pragmatischer sieht als viele anderen Experten. Gab es für die offene Art auch Kritik?
Kritik gibt es immer. Wenn man heute etwas sagt, weiß man, dass es in den digitalen Echokammern Minuten später irgendwem schon mal nicht passt. Ich bin in der gesamten Phase für einen rationalen, praxisorientierten Weg gestanden. Dafür gab es größtenteils Wertschätzung.

Wie sieht dieser Zugang aus?
Es gibt nicht die eine allgemeingültige Wahrheit, dessen muss man sich immer bewusst sein. Aber es gibt eine persönliche, fachliche Linie, der muss man treu bleiben. Man muss die eigene Haltung aber immer wieder kritisch reflektieren. Mit den jetzigen Omikron-Varianten und den (präventiv-)medizinischen Möglichkeiten haben wir mit den Verläufen über Alpha, Delta und, und, und keine Vergleichbarkeit mehr. Wir hatten so viele Zäsuren – durch die Mutationseigenschaften des Virus, aber auch die Medizin, allen voran die Impfung. Dieser Umstand ergab sich stetig ändernde Rahmenbedingungen, die neu bewertet werden mussten.

Die Impfung ist aber nach wie vor umstritten ...
Die Kommunikation hinsichtlich der Impfung war retrospektiv nicht ganz glücklich. Damit wurden teils Versprechungen verknüpft, die von vornherein nicht haltbar waren. Es war immer klar, dass die Impfung nicht im selben Ausmaß vor Infektionen schützt, wie sie die individuelle Krankheitslast positiv beeinflusst, also reduziert. Ich glaube, das war ein Dilemma und endete zum Teil in einer Enttäuschung der Bevölkerung über die Impfung – weil man gesehen hat, sie schützt nur in eingeschränktem Maße vor einer Infektion. Damit hat man sie schnell stigmatisiert zu einer nicht effektiven präventivmedizinischen Maßnahme, was ihr natürlich unrecht tut. Die individuelle Reduktion der Krankheitslast, dargestellt durch schwere Verläufe und Tod, war und ist signifikant.

Trotzdem: Warum infizieren sich gar so viele Geimpfte?
Das liegt in der Natur des Virus. Es gab schon vor Covid-19 Coronaviren, die seit jeher im Menschen zirkulieren. Keines von ihnen löst eine lang dauernde, sichere Immunität beim Menschen aus. Das ist bekannt und bei Covid-19 nicht anders. Daher war die Hoffnung, das Virus durch Genesung und Impfung zurückzudrängen bzw. gar auszurotten, nie realistisch – das habe ich vor zwei Jahren schon im Krisenstab des Landes gesagt. Man kann dieses Virus nicht ausrotten, weil Corona beispielsweise im Gegensatz zu den echten Pocken zwischen Mensch und Tier zirkuliert. Also schützt die Impfung, das muss man klar sagen, nur in eingeschränktem Ausmaß und nur in einer kurzen Zeitspanne vor einer Infektion. Aber nach wie vor schützt sie sehr gut – das ist der springende Punkt – vor einem schweren Krankheitsverlauf. Die Inanspruchnahme der Impfung dient somit weniger dem Gemein-, sondern vielmehr dem Selbstschutz. That’s it!

Vertrauen die Menschen der Impfung jetzt gefühlt weniger?
Sagen wir es so: Wenn das Bedrohungsszenario nicht mehr gegeben ist, ist der Mensch gemeinhin weniger motiviert, etwas zu tun. Auch dass man sich trotzdem infizieren kann, steigert die Wertschätzung gegenüber der Impfung nicht. Das Dilemma hierbei ist: Den Anteil an individuell verhinderter schwerer Krankheitslast kann man nicht darstellen, den spürt man nicht, der ist abstrakt.

Der politisch mehrfach versprochene „Sommer wie damals“ scheint heuer Wirklichkeit. Es gibt kaum mehr Einschränkungen. Gehen wir zu locker mit Corona um?
Es hat derzeit keinen Sinn mehr, auf die reinen Infektionszahlen zu schielen – es gibt hier, bedingt durch das sinnvolle Einschränken des Testens, auch keine repräsentativen Zahlen. Wir dürften derzeit also eine relativ hohe Dunkelziffer an milden oder asymptomatischen Fällen aufweisen – ein Umstand, den Daten aus den Abwasseruntersuchungen belegen. Aber wir sehen die Krankheitslast – den einzigen, wirklich belastbaren Faktor – an der Spitalsbelegung. Und diese Krankheitslast – insbesondere repräsentiert durch die intensivpflichtigen Fälle – ist seit Monaten auf einem stabil niedrigen Niveau. Unter diesen Bedingungen ist der „Sommer wie damals“ zu rechtfertigen.

Die Quarantäne ist ab morgen für Infizierte vorerst Geschichte. Ist das auch das berechtigt?
Ja, unter den derzeitigen Rahmenbedingungen schon. Ich sehe das als Ausdruck einer schrittweisen Deeskalation. Auch die Verkürzung der Quarantänedauer von zehn auf fünf Tage ist nicht primär aufgrund virologischer Hard Facts entschieden worden, sondern weil man eine situationsangepasste, argumentierbare Stufe zurückgehen wollte. Jetzt kommt der weitere logische Schritt. Wir müssen wieder ein wenig den Fokus von Corona lösen und es als zusätzlichen Teil im Kanon der Infektionserkrankungen akzeptieren. Doch die Diskussion, ob Kranke hierdurch genötigt werden, ihrer Arbeit nachzugehen, ist müßig – wer krank und aufgrund seiner Symptome nicht arbeitsfähig ist, bleibt zu Hause. Eine Erkenntnis, die jedoch weder neu noch Covid-spezifisch, sondern vielmehr dem gesunden Hausverstand geschuldet ist.