Die alles entscheidende Frage gleich vorweg: Warum dopen Menschen?
ALOIS Kogler: Erstens beinhaltet Dopen den Aspekt der Lüge, zweitens den Aspekt der erhofften Leistungssteigerung. Schon im alten Olympia wurde alles genommen, was erlaubt und unerlaubt war. Milon von Kroton war damals ein großer Trickser – doch hatte er damit für sein Leben lang ausgesorgt. Im Gegensatz zu heute war Lügen damals noch gesellschaftsfähig. Außerdem ist die Grenze zwischen erlaubten und unerlaubten Leistungssteigerungen unterschiedlich.

Inwiefern?
Ein Rockstar zum Beispiel darf sich mit Tabletten dopen – das wird geduldet, weil er ansonsten das Geschäft nicht durchhalten würde. Auch in der Wissenschaft und Wirtschaft werden leistungssteigernde Substanzen nicht hinterfragt – da steht der Kopf, der Geist im Vordergrund. Im Sport geht es hingegen um den Körper. Und der Körper ist das Werkzeug zum Erbringen von Leistungen. Und Doping ist für manche Sportler so notwendig, weil es um Sekunden geht und man glaubt, oft nur durch zusätzliche Mittel Leistung erbringen zu können. Dabei geht es um das letzte Prozent, das über den Weg aufs Stockerl entscheidet.

Und dafür wird Betrug in Kauf genommen?
Ja, denn das ist ein Teil der menschlichen Verfasstheit. Außerdem ist der Betrug im Ausdauersport in den letzten 50, 60 Jahren völlig normal gewesen. Der Betrug hat eine individuelle Geschichte, beginnt meistens schon in den untersten Sphären. Und von dort wächst man in die Szene hinein.

Wie kann man sich das vorstellen?
Jeder Sportler trägt ein kleines Geheimnis mit sich. Der eine trinkt ein Schnapserl vor dem Start, der andere steckt sich einen Stein in die Hose. Betrug beginnt mit selbstverständlichen Geheimnissen und baut sich immer weiter auf. Irgendwann übernimmt das dann jemand für ihn, es bildet sich ein Bündnis. Zum Beispiel mit einem Betreuer, der irgendwann sagt: „Da, nimm das einmal.“

Aber genau in diesem Moment muss dem Sportler doch bewusst sein, dass er jetzt etwas Unrechtes macht?
In diesem Moment beginnt der psychologische Prozess der Selbstrechtfertigung. Und sie sagen sich: „Eigentlich machen es eh alle in unserer Szene.“ Das ist auch sehr eng mit den Strukturen der internationalen Szene verbunden. Die Welt-Anti-Doping-Agentur agiert anders als das Internationale Olympische Comité – da gibt es keine Eindeutigkeit. Die Argumentation der Betrüger lautet: „Jetzt habe ich endlich aufgeschlossen. Und dumm ist nur, wer erwischt wird.“ Und daran glauben sie.

Die Folgen, die sie mit ihrem Verhalten auslösen – wie die Beschmutzung der WM und des gesamten Sports einer Nation – sind ihnen völlig egal?
Der Fokus liegt auf den Medaillen, dem Erfolg – und damit wird alles andere ausgeblendet.

Doch warum dopen Athleten, die zwischen den Plätzen 20 und 30 herumdümpeln?
Für den Sportler selbst ist es ein Riesensprung, wenn er nicht mehr 20., sondern 15. wird. Er nähert sich aus dem sportlichen Nichts dem an, wo er schon immer hinwollte, nämlich an die Weltspitze. Und dann denkt er sich: „Da geht noch mehr.“

Sind Betrüger überführt, zeigen sie oft keine Reue oder mimen das Unschuldslamm. Warum?
Sie erleiden emotional einen schweren Einbruch. Sie können nicht mehr denken, machen oft jahrelang zu. Ihre gesamte Existenz bricht zusammen. Und das Lügenkonstrukt bleibt bestehen. Man nennt das auch das Eisbergmodell. Ein Großteil wird wie bei einem Eisberg unter Wasser verdrängt, nur ein kleiner Teil, den sie selbst emotional bearbeiten können, ragt heraus. Der Aufarbeitungsprozess setzt erst viel später ein. Bei Johannes Dürr hat das auch vier Jahre lang gedauert.

Und warum wird im Hobbybereich so viel gedopt?
Da geht es einerseits um Selbstdarstellung, denn mit seinen großen Muskeln ist man in seinem Fitnesscenter der Größte. Andererseits geht es um die eigene Entwicklung: Definierte Muskeln sind ja etwas Schönes.