Herr Präsident, die WM in Schweden steht vor der Tür. Ich nehme an, die Frage nach den Erwartungen kann man sich sparen?
PETER SCHRÖCKSNADEL: Na ja, sechs bis acht Medaillen erwarte ich mir. Aber das sage ich eh immer.

Andererseits ist das Team gut wie schon lange nicht, bei Damen wie Herren.
Schröcksnadel: Aber wir haben auch viele Verletzte, das sollte man nicht vergessen. Auch wenn sich Max Franz zum Beispiel gar nicht wirklich bei der Abfahrt in Kitzbühel verletzt hat.

Wie bitte?
Schröcksnadel: Seine Verletzung war schon älter. Entweder es war ein Fersensporn oder eine Art Ermüdungsbruch, so genau weiß ich das gar nicht. Auf jeden Fall hat das mit den herkömmlichen Verletzungsmustern nicht viel zu tun.

Und schon sind wir mitten drin in der laufenden Sicherheitsdebatte …
Schröcksnadel: Die gibt es doch immer schon. Einmal sind es mehr Verletzte, einmal weniger. In Kitzbühel ist ja dieses Jahr wenig passiert. Tatsache ist: Wenn man mit 140 km/h ins Tal fährt, ist das gefährlich. Uns machen ja die Verletzungen im Riesentorlauf mehr Sorgen. Weil wir keine Ursache finden. Weil man schon immer sagen kann: Wir fordern mehr Sicherheit. Aber wenn ich nicht weiß, was ich fordern soll, damit es passiert, wird es schwierig. Und genau das weiß im Moment kein Mensch.

Aber Sie forschen doch an den Ursachen?
Schröcksnadel: Ich habe vor zwei Jahren eine Gruppe gegründet, in der Ärzte, aber auch unsere Entwicklungsabteilung arbeiten. Alles, was wir wissen, ist, dass wir fehlende Kondition als Ursache ausschließen können. Aber die wirkliche Ursache kennen wir nicht.  Das Problem ist, dass es kein erkennbares Muster gibt, manchmal passieren die Verletzungen ja auch ohne Sturz, wie bei Anna Veith.

Woran liegt es dann?
Schröcksnadel: Der Hauptgrund ist sicher, dass alles ausgereizt wird bis zum Geht-nicht-mehr. Jeder will immer der Schnellste sein und geht mit allem, was er hat, ans Limit. Solange man da keine Linie einzieht und sagt: Mehr geht nicht, so lange wird sich nichts ändern.

Wer soll denn diese Linie ziehen?
Schröcksnadel: Wie gesagt: Solange man keine Ursache festmachen kann, kann man auch keine Grenzen einziehen. Ich habe Vermutungen, aber die werden immer negiert. Ich denke, dass es am Schuh liegt. Ich lasse deshalb gerade verschiedene Annahmen rechnen – was würde sich ändern, wenn wir am Schuh etwas ändern?

Hannes Reichelt tritt als Athletensprecher zurück, weil nicht auf die Anregungen der Athleten reagiert wird.
Schröcksnadel: Ja welche Anregungen denn? Die Idee mit den langsameren Anzügen bringt drei km/h, das ist nichts. Und die Idee mit dem Einheitsstoff funktioniert auch nicht. Weil dann müsste jeder Läufer in Kauf nehmen, auch einmal einen schlechten Teil der Stoffrolle zu bekommen. Ich habe das auch mit ihm diskutiert: Der Anzug bringt es nicht. Und, wie gesagt: In der Abfahrt passiert ja eigentlich wenig, aber gefährlich wird sie immer sein. An äußerer Sicherheit haben wir alles getan, was man kann. Aber auch das ist ein Problem.

Inwiefern bitte?
Schröcksnadel: Ich bin da derselben Meinung wie FIS-Präsident Gianfranco Kasper. Durch die äußere Sicherheit ist eine Art Kasko-Mentalität entstanden. Früher wären sie bei einem Sturz in den Wald gesegelt. Heute weiß jeder: Wenn ich rausfalle, sind eh die Netze da. Der Läufer muss schon auch daran denken, was er schaffen kann und was nicht. Bremsen ist ja nicht verboten. 

Das hören wir, wie vieles andere, seit 15 Jahren.
Schröcksnadel: Man darf bitte nicht die Abfahrt mit dem Riesentorlauf verwechseln. Da ist was passiert. Ich war ja immer dafür, dass es eine Höchstbreite der Ski geben muss und kein Minimum. Man hat gesehen: Die breiteren Ski sind gefährlich. Seit die FIS das umgesetzt hat, haben wir zum Beispiel keine Highsider mehr. Aber die Damen wurden vom Radius her nicht verändert. Und die Skifirmen …

Machen was?
Schröcksnadel: Ski mit aufgebogener Schaufel, damit der Radius sich wieder verkürzt. So ist es eben, jeder versucht alles, um immer schneller zu werden. Und wenn man ans Limit geht, passieren solche Dinge. Meine größte Sorge ist und bleibt der Riesentorlauf, da passiert am meisten mit dem Knie, den Kreuzbändern. Und, wie gesagt. Wir haben jeden Unfall analysiert. Jeden. Aber kein Muster gefunden. 

Kehren wir zum Erfolg zurück. Die Umstellung auf „Mini-Teams“ trägt Früchte.
Schröcksnadel: Der Hauptgrund für diese Umstellung war, dass Läuferinnen wie Vlhova, Stuhec oder andere auch als kleinere Einheiten Erfolg haben, ohne gute Voraussetzungen. Für mich war Marlies Raich der Auslöser, die mir erklärt hat, dass sie erst richtig gut wurde, als sie allein trainiert hat. Warum? Weil du nur einen schnellen Schwung finden kannst, wenn du auf perfekten Pisten trainierst. Und die hast du nicht, wenn du im Riesenteam trainierst.

Trotz aller Erfolge reden immer alle von der Krise des Skisports.
Schröcksnadel: Krise? Wovon reden wir? Vom Breitensport? Also, wenn ich mir anschaue, wie die Leute im Oktober und November zwei Stunden warten, damit sie auf den Gletschern Ski fahren können, sehe ich die nicht. Der letzte Winter war der beste aller Zeiten für die Seilbahnen. Und der Sport? Die TV-Quoten sind besser als je zuvor. So groß kann die Krise also nicht sein. 1,5 Millionen Zuschauer und das zu Mittag, das hat sonst niemand.

Worüber jammert man dann?
Schröcksnadel: Was man sich schon anschauen muss, sind die Formate. Ich zum Beispiel habe die Super-Kombination nicht schlecht gefunden. Und die anderen bemerken das jetzt auch, wenn man anschaut, was es als Ersatz gibt: Parallelslalom. Parallel-RTL, City-Event, Team-Event. Ich meine, der City-Event ist eine gute Show, aber sportlich hat das weniger Wert. Solange die Alternativen nicht reif bin, sollte man die Super-Kombi beibehalten, finde ich.

Der Sport braucht Helden und damit Seriensieger, sagen Sie immer. Die werden aber verheizt, wie es scheint. Was kann man ändern?
Schröcksnadel: Der Kalender ist zu dicht, ja. Ich bin für Nachtrennen, für Slalom und RTL am Dienstag und Mittwoch, für Speed-Disziplinen am Wochenende. Dann wäre alles entzerrt. Das Argument dagegen ist immer, dass die Deutschen das nicht übertragen, aber die haben den Sieg vom Ferstl in Kitzbühel auch nicht übertragen. Ich denke, die Leute schauen schon zu, wenn man es als Ersatz für die Champions League nimmt.

Woran scheitert also die Umsetzung?
Schröcksnadel: Am System der FIS, die selbst nicht viel bestimmen kann. Die Rennen gehören den nationalen Verbänden. Wenn du etwas ändern willst, brauchst du alle Nationen. Die Deutschen sind gegen Nachtrennen, aber ich denke: Die TV-Sender brauchen Alternativen zum Fußball. Ich meine, es gibt Netflix, Amazon, Sky – du brauchst ja keinen Fernseher mehr daheim, ich habe das alles auch. Deswegen brauchen TV-Stationen Live-Events. Und da sind wir die richtigen.

Herr Schröcksnadel, Sie sind – mit Verlaub – auch nicht mehr der Jüngste …
Schröcksnadel: Es kann jederzeit einer kommen und es machen!

Aber das tut ja keiner!
Schröcksnadel: Das ist dann wieder nicht mein Problem.

Das wäre ja auch nicht die Frage gewesen. Was passiert, wenn Sie plötzlich nicht mehr da sind?
Schröcksnadel: Keine Sorge, das machen wir schon. Mein Thema ist, was im ÖSV passiert, wenn ich nicht mehr da bin. Und daran arbeiten wir. Was international kommt, geht mich nichts an. Aber solange ich da bin, kann ich schon Themen in die FIS einbringen. Das Klima ist ja gut, auch wenn es das nicht immer war.

In der FIS laufen nun die Kampagnen an, die auf eine Ablöse von Gianfranco Kasper hinzielen. Ihre Meinung dazu?
Schröcksnadel: Das stimmt so, dass das kommt. Die FIS muss ja wählen und ist, in diesem Fall leider, eine Demokratie. Da gibt es keinen Bernie Ecclestone.

Wäre das gut? Wären Sie gern der Ecclestone des Skisports?
Schröcksnadel: Nein, weil das so bei uns nicht funktioniert. Warum? Weil es die Besonderheit des Skisports ist, ein Einzelsport in Nationalteams zu sein. Wenn man diese Komponente zerstört, ist der Skisport nicht mehr, was er ist. Wir sind die Einzigen, die so etwas noch haben. Helden, auch nationale Helden. Sind die weg, ist die Luft draußen. Dann hast du vielleicht zehn Jahre Parallelrennen der aktuellen Stars, aber dann ist die Luft draußen. Deswegen muss der Skisport ein Sport mit Nationalteams bleiben. Die Formel 1 macht das ja in Ansätzen auch: Bei Red Bull hast du den Holländer im britischen Team und wenn sie gewinnen, spielen sie die österreichische Hymne. Aber bei uns ist das eben historisch gewachsen – Firmenteams wären keine gute Lösung.

Marcel Hirscher hat zuletzt die hohe Belastung rund um die Rennen moniert. Kann ihm der Verband mehr abnehmen?
Schröcksnadel: Das glaube ich nicht. Er lebt von der Öffentlichkeit und muss deswegen auch für sie da sein. Du kannst dich nicht nur abkapseln und Rennen fahren. Er muss ein gewisses Maß an Öffentlichkeit mitmachen, das ist Part of the Game. Und das macht er professionell.

Was glauben Sie: Fährt er nach dieser Saison noch weiter?
Schröcksnadel: Wir werden seine Entscheidungen akzeptieren.

Das klingt ja nicht optimistisch ...
Schröcksnadel: Vielleicht denkt er wirklich ans Aufhören, das weiß ich nicht. Aber ich glaube: Solange er Rennen gewinnen kann, fährt er gern.

Ganz wie der Präsident.
Schröcksnadel: Freilich. Uns treibt dasselbe an. Es geht nicht ums Geld, das ist egal. Seitdem ich da bin, sind wir die stärkste Skination der Welt. Da haben viele keine Freude damit. Das ist auch dasselbe wie bei Sporthelden: Viele freuen sich mit ihnen, aber ein Teil freut sich, wenn sie verlieren. Wenn wir als ÖSV nicht mehr gewinnen, freuen sich sicher viele.

Wie dick ist Ihre Haut in den Jahren geworden?
Schröcksnadel: Sie wird immer dicker. Ich bin halt immer schuld. Nur wenn wir gewinnen, war ich es nicht. Den Letzten beißen halt die Hunde. Aber Dinge wie die #metoo-Geschichte, die Anschuldigungen aus früheren Zeiten, Turin 2006 – das kommt auf einen zu und man kann nichts machen.

Apropos Turin: Die Geschichte kommt gerade wieder nach einer ARD-Dokumentation mit Johannes Dürr.
Schröcksnadel: Es gibt halt viele, die uns den Erfolg neiden. Wenn du so stark bist, wollen viele am Image kratzen. Ich ärgere mich über alles, aber ich zeige es nicht mehr so. Und ich werde mich auch nicht beschweren. Aber das ist so wie im Fall der angeblichen sexuellen Übergriffe: Da kannst du machen, was du willst. Es wird nie genug sein.

Jetzt wartet die alpine WM, dann aber daheim die nordische. Sie gelten als „Alpin-Präsident“. Stimmt das?
Schröcksnadel: Ein Beispiel: Als die Kombinierer zur Mannschaft des Jahres gewählt wurden, haben sie mir den Preis gegeben, weil ich so viel für sie getan habe. Ja, ich selbst fahre Alpin-Rennen. Aber mir hat es nie gefallen, dass uns die Norweger im alpinen um die Ohren fahren und wir im nordischen Sport nichts dagegensetzen. Deshalb war es mir ein Anliegen, dass wir da was machen. Vor mir gab es da nichts, außer ein bisschen Skispringen.

Ist die WM in Seefeld also für Sie wie jene 2013 in Schladming?
Schröcksnadel: Nein, sondern wie die in Ramsau 1999. Wir wollen Medaillen, aber wir haben nicht so viele Chancen. Sagen wir: Drei bis fünf statt wie bei den Alpinen sechs bis acht.

Und das Thema Doping? Das ist doch im nordischen Sport immer präsent?
Schröcksnadel: Ich habe ja schon einmal die komplette Unterstützung für die Langläufer gestrichen deswegen. Dann habe ich gedacht, es ist besser – und es kam Johannes Dürr. Der war eine große Enttäuschung! Wir wollten von ihm ja auch immer Namen, die Hintermänner. Und wir haben ihn schon vor der Doku geklagt, da können wir nur gewinnen. Entweder er muss uns sagen, wer die Hintermänner sind, oder er darf nicht mehr sagen, dass er Unterstützung im Verband für Doping hatte.

Erleben wir eine skandalfreie WM in Seefeld?
Schröcksnadel: Ich bin mir sicher, dass nichts ausbricht. Natürlich kann man nie ausschließen, dass ein Einzelner nachhilft. Aber dass da etwas von Verbandsseite aus geschieht, das kann ich ausschließen. Definitiv!