Die wichtigste Frage an Sie vor einer WM ist immer die: Wie viele Disziplinen werden Sie bestreiten?
Mikalea Shiffrin: Ich plane, die Kombination, den Super-G, den Riesentorlauf und den Slalom zu fahren. Also mehr als je zuvor! Ich habe vor der WM jetzt auch drei, vier Tage Super-G trainieren können. Und ich glaube schon, dass ich schnell sein kann. Aber wenn ich mir einige Mädels anschaue diesen Winter, muss ich schon sagen: Ich bin mir nicht sicher, ob es reicht, meinen Titel zu verteidigen. Und der war ja durchaus eine Überraschung. Auch für mich.

An Cortina haben sie aber gute Erinnerungen, oder?
Mikalea Shiffrin: Ich hatte hier schon viel Erfolg und auch viel Spaß, stimmt. Ich kann mich erinnern, als ich hier meinen ersten Super-G gefahren bin und Vierte geworden bin, da hatte ich das erste Mal das Gefühl. Ja, so fühlt sich das also an! Und klar ist: Hier braucht es eine gute Mischung aus Speed und Technik, die beste Kombination gewinnt. Das ist aber nicht alles, was hier zählt.

Was noch?
Mikalea Shiffrin: Alles hier ist so schön: die Stadt, die Berge, die Atmosphäre. Die Strecke, so einzigartig mit dem Tofana-Schuss. Und du bist zwar auf den Kurs fixiert, aber trotzdem ist da diese Aussicht. Klar, wir sollten aufs Skifahren fokussiert sein und wir sind es im Rennen auch – aber: Es tut ja nicht weh, wenn man das an einem schönen Platz tut ...

Wir haben vereinbart, nicht mehr über Privates zu sprechen in diesem Jahr, das so hart für Sie ist. Aber diese Frage muss ein: Ist Skifahren für Sie schon wieder Vergnügen?
Mikalea Shiffrin: Es ist nicht immer so sorgenfrei, wie ich es gerne hätte. Über die Jahre ist die Last beim Skifahren gewachsen, das Gewicht auf den Schultern, der Druck. Das mag ich natürlich nicht. Aber es gibt immer Momente, wo man diese eine Sache fühlt – und plötzlich ist es, als ob der Rest der Welt einfach nicht mehr da ist. Dann gibt es nur noch mich und die Ski. Manchmal fühlt sich Skifahren dann an wie fliegen. Oder tanzen. Speziell eben.

Passiert das wieder öfter?
Mikalea Shiffrin: So oft zumindest, dass ich mir denke: Es ist es wirklich wert, durch all die Momente mit Druck, Schmerz und Frustration zu tauchen, jede Last zu stemmen. Weil es im Leben nach wie vor nichts Anderes gibt, von dem ich mir vorstellen könnte, dass es mir dasselbe Gefühl geben kann, wie Skirennen zu fahren. Für mich heißt das: Man muss das Gute und Schlechte akzeptieren.

Zwei Fragen gleichen sich immer vor einer WM. Die erste: Was sind Ihre eigenen Erwartungen?
Mikalea Shiffrin: Ich versuche, nicht darüber nachzudenken, obwohl sie immer eine Rolle spielen. Aber es ist gut, wenn Leute Erwartungen in einen haben. Das heißt, dass du schon einmal etwas gut gemacht haben musst. Klar ist: Ich bin vor dieser WM in einer Situation wie nie zuvor. Ich weiß selbst noch nicht, was das mit dem Druck macht.

Ihre bisherige WM-Bilanz: Neun Starts, sieben Medaillen, fünf Titel. Wie geht das?
Mikalea Shiffrin: Hmmm. Ich kann mich erinnern an meine erste WM in Schladming. Da war ich in der Pause zwischen den Slalom-Durchgängen so nervös, ich bin ausgeflippt. Und dann kam Steven Nyman und sagte mir: ‘Bei der WM gibt es nur ein Ziel und du verteidigst nichts, es geht nicht um den Weltcup oder die Saison: Du fährst um Gold – das war’s. Streich jede Taktik! Es gibt nur alles zu gewinnen, aber nichts zu verlieren!’ Diese Herangehensweise wird sich diesmal auch nicht ändern. Vor allem, weil ich nicht in der Position bin, meine erste Medaille und vielleicht meine einzige holen zu müssen.

Frage zwei, die immer kommt: Was sagen Sie dazu, als erste zum fünften Mal in Serie Slalom-Weltmeisterin werden zu können?
Mikalea Shiffrin:
Ja, es gibt immer ein erstes Mal für alles. Vielleicht ist es das erste Mal, dass es eine, die es schaffen könnte, nicht schafft? Ehrlich: Ich habe es nicht gewusst, als es der „Three-Peat“ war, das dritte Mal in Serie. Beim vierten Mal war ich so krank, da habe ich gar nichts gewusst. Das war ein Überlebenskampf in Åre.

Einer, den Sie gewonnen haben. Was passiert nach einem Sieg in Ihnen drin?
Mikalea Shiffrin: Ich hab’ mir zuletzt den WM-Slalom von Schladming 2013 angeschaut. Da bin ich im Ziel auf die Knie gesunken, hab’ meinen Kopf hinter den gekreuzten Skiern versteckt, weil ich das bei Bode Miller einmal gesehen habe. Da verstand ich, warum er es getan hat: Es ist der eine stille Moment, den du nur für dich hast. Und in einer Sache bin ich ja offenbar schlecht ...

Mikaela Shiffrin in Aare mit der WM-Goldenen im Slalom
Mikaela Shiffrin in Aare mit der WM-Goldenen im Slalom © GEPA

Die wäre?
Mikalea Shiffrin: Ich hab es nie geschafft, nach einem Sieg richtig zu feiern. Dieser Sport ist so verrückt, es fließt so viel Arbeit hinein. Dazu die Aufregung, das Adrenalin, die Hochs und Tiefs. All das ist in mir – nur habe ich es noch nie rausgelassen. Weil dieser eine, stille Moment im Kopf, wenn man nicht hört, was außerhalb des Hirns vorgeht, der ist so wichtig und schön.

* Das Gespräch mit Mikaela Shiffrin wurde im Rahmen einer Online-Runde mit mehreren Teilnehmern geführt. Für die Kleine Zeitung nahm Michael Schuen an dem Gespräch teil.