An sich ist man davon ausgegangen, Sie nach 38 Wochen Pause kommende Woche in Sölden wieder im Weltcup zu sehen – es kam anders.

Mikaela Shiffrin: Ja, seit vergangener Woche zwickt es im Rücken. Und mir wurde von den Ärzten geraten, auf Sölden zu verzichten, um nicht die ganze Saison zu riskieren. Das ist zwar frustrierend, weil ich acht Jahr in Serie in Sölden dabei war, mich sehr auf den Start gefreut habe, aber ... Das Gute ist jedenfalls: Die Verletzung wird heilen, ich werde bald wieder dabei sein.

Ein weiteres Kapitel in einem Jahr, in dem für Sie noch viel mehr passierte als nur die Pandemie. Sie haben im Februar Ihren Vater Jeff verloren – und mit Ihrem offenen, öffentlichen Umgang mit Ihrer Trauer beeindruckt. War das ein fixer Entschluss, alles so öffentlich zu machen?

Mikaela Shiffrin: Ich habe es gar nicht wirklich beschlossen. Ich habe es einfach nur leichter gefunden, darüber zu reden – leichter sogar, es in der Öffentlichkeit zu tun als im Privaten. Ich kann auch nur bis zu einem gewissen Punkt über alles reden – und das ist offensichtlich. Die Leute würden ohnehin erwarten, dass es mir nicht immer gut geht, und da ist es oft leichter, einfach darüber zu reden.

Wie verstehen Sie den Unterschied zum Privaten?

Mikaela Shiffrin: Ganz einfach, wenn mich meine Mutter oder mein Bruder fragen, wie es mir geht, dann ist es nicht Small Talk. Da ist es schwieriger. Aber im Normalfall sage ich einfach, was ich sagen kann. Und: Ihr kennt mich ja auch schon zehn Jahre. Manchmal rede ich einfach weiter. Und ich weiß nicht, ob das alle verstehen, aber manchmal ist es leichter, etwas öffentlich via Social Media zu sagen, als es im Privaten zu tun. Auch wenn das wohl nicht alle verstehen.

In einem Ihrer Videos sagen Sie, dass es sich zunächst „falsch“ anfühlte, ohne Ihren Vater Ski zu fahren. Haben Sie zumindest auf Ski wieder Ihren Frieden gefunden? Im Versuch, perfekte Schwünge zu fahren, so wie es Ihr Vater immer wollte?

Mikaela Shiffrin: Ich fürchte, es ist ein bisschen komplizierter. Manchmal ist es toll auf Ski, manchmal aber frustrierend. Zum Beispiel, wenn ich bei perfekten Bedingungen nicht gut fahre. Skifahren, das ist wie Fluch und Segen zugleich. Manchmal flippe ich fast aus vor Freude, wenn es gut ist. Aber manchmal ist es das schlimmste Gefühl, das man nur haben kann.

Inwiefern?

Mikaela Shiffrin: Es bringt immer Erinnerungen an meinen Dad. Daran, wie ich es machen sollte, damit er glücklich ist, stolz wäre. Und wenn ich das Gefühl habe, dass mir das nicht gelingt, dann wird es echt schwierig. Aber wenn es gelingt, dann sind es dafür wirklich nette Momente.

Wir haben Sie lange nicht mehr im Weltcup gesehen. Würden Sie sagen, von der Verletzung abgesehen, dass Sie wieder die Alte sind, schneller als alle anderen?

Mikaela Shiffrin: Nein, so kann man das nicht sagen. Ich bin mir jedenfalls nicht sicher. Sagen wir so: An den Tagen, an denen ich im Sommer gut gefahren bin, war ich schnell – aber ob das für die Top zehn, das Podium oder den Sieg reichen würde? Das weiß man nie. Ich hoffe jedenfalls darauf, noch einige gute Trainingstage zu haben. Klar ist: Ich will schnell sein, aber es ist bei mir fast wie nach einer Verletzung, auch wenn man die nicht sehen kann. Es braucht Zeit, mental bereit zu sein, alles zu tun, um im Rennen schnell zu sein.

Sie haben sich auch politisch geäußert, erklärt, erwachsener zu sein, reifer. Aber ist die neue Saison so etwas wie eine sportliche Wiedergeburt?
Mikaela Shiffrin:Vielleicht ja. In gewisser Weise fühle ich mich, seit ich wieder in Europa bin, tatsächlich so, als ob ich gestern geboren wäre. Auch wenn sich vieles natürlich anfühlt wie immer. Und meine Ziele haben sich nicht geändert: Ich will so schnell sein wie möglich. Aber ich weiß noch nicht, ob ich das kann.

Warum nicht?

Mikaela Shiffrin: Weil es dazu Fokus braucht. Und ich muss momentan ziemlich viel Energie aufbringen, um mich zu fokussieren, um positiv zu bleiben, an die richtigen Dinge zu denken. Aber ich bin ja auch einige Zeit keine Rennen gefahren. Vielleicht macht es sogar alles leichter, wenn ich mich nicht so darum kümmere, ob und wie ich gewinnen werde.

Sind Sie denn schon wieder im Rennfieber gewesen? Auch wenn sich der erste Start nun nach hinten verschiebt?

Mikaela Shiffrin: Alles ist anders im Moment. Wir haben immer Masken, wir haben ein sehr strenges Protokoll im Team – leider fällt mir auf, dass sich nicht alle Menschen an solche strenge Regeln halten. Also schauen wir, dass wir uns absondern, unsere Blase haben, die anderen Menschen und deren Gesundheit respektieren. Aber bei weiten Reisen ist es dann wirklich merkwürdig, mit niemandem reden zu können, zu tratschen. Wir sind so auf den Moment fokussiert, darauf, alles rund um Corona zu managen, dass man gar nicht an Rennen denkt. Normal bin ich ja ziemlich nervös vor dem ersten Rennen, das bin ich jetzt aber gar nicht. Ich sehe einfach alles von Tag zu Tag.

Sind Sie besorgt?

Mikaela Shiffrin: Sorgen bringen dich nicht weit. Was ich dieses Jahr gelernt habe: Es gibt Dinge, über die man sich wirklich sorgen sollte, aber man hat nie alles unter Kontrolle. Ich kann bestimmen, wen ich wähle, welche Botschaft ich aussende, wie ich mich bilde. Über alles andere sollte ich mir nicht zu sehr den Kopf zerbrechen. Ich bin jetzt 25, in einem Alter, in dem derzeit weltweit Menschen meines Alters immer lauter werden und glauben, auf alles eine Antwort zu haben – was so nicht stimmt. Ich versuche, reif zu handeln, smart zu sein.

Aber das gelingt nicht immer?
Mikaela Shiffrin: Ich habe mir immer nur darüber Gedanken gemacht, wie ich Rennen gewinne. Dann starb meine Oma – und Siege waren immer noch meine größte Sorge. Dann starb mein Dad. Und da habe ich Skirennen aufgegeben, im Kopf. Ich wusste nicht, ob ich je zurückkehre. Ich will Skirennen genießen, aber ... Es passiert so viel in der Welt. Ich versuche, die Dinge, die mir Sorgen bereiten, nicht zu groß werden zu lassen, nicht mich und mein Leben von Sorgen bestimmen zu lassen.

Sie haben sich entschlossen, doch weiterzumachen. Was wird sich diese Saison ändern?

Mikaela Shiffrin: Covid ändert viel. Wir werden mehr von Tag zu Tag, von Rennen zu Rennen denken müssen, flexibler sein. Und ich? Ich muss mich erholen, fast wie von einer Verletzung, wie ich gesagt habe. Mein Dad würde nicht gewollt haben, dass ich aufhöre. Aber das Schlimme ist: Er ist auch nicht hier, um es mir zu sagen. Klar ist: Bisher kam ich immer nach Sölden mit dem Vorhaben, das Momentum zu behalten, einfach nur gut zu starten. Das ändert sich wohl.

Ändert sich mit der Pandemie alles nur zum Negativen? Oder sehen Sie auch Positives?

Mikaela Shiffrin: In Zeiten einer Pandemie lernt man viel über Organisationen und es gibt Herausforderungen, die über eine Pandemie hinausgehen. Alle werden noch besser vorbereitet sein müssen, noch effizienter arbeiten müssen. Aber wir werden auch lernen, wie wir Skirennen besser machen. Es wird einige Dinge und Änderungen geben, die uns frustrieren, aber auch andere, wo wir sagen: Das war gut. Irgendwie freue ich mich darauf, herauszufinden, welche Änderungen gut sein werden und bei welchen wir nur darauf warten, bis es wieder so ist wie früher.

Dieses Gespräch entstand mittels Videokonferenz. Ist das auch Zukunft für Sie?

Mikaela Shiffrin: Irgendwie schon, ja. Aber andererseits vermisse ich es, alle persönlich zu treffen. Das war auch für mich der Start in die Saison.