Mikaela Shiffrin ist bewundernswert. Sie ist gerade einmal 20 Jahre jung und doch schon in einer eigenen Liga, wenn es um den Slalom im Weltcup geht. Sie ist bereits Olympiasiegerin, zweimalige Weltmeisterin, hat 15 Weltcupsiege auf dem Konto. Und sie ist vor allem eines: Immer gut gelaunt, so scheint es jedenfalls. Shiffrin ist – speziell nach der Rücktrittswelle im Weltcup – eine der Topfavoritinnen auf den Gesamtweltcup. "Aber der", beeilt sie sich zu sagen, "ist nicht das große Ziel."

Frage der Zeit

Vordergründig vielleicht. Klar ist aber: Shiffrin hat im Sommer daran gearbeitet, auch in den anderen Disziplinen zuzulegen. Im Riesentorlauf, wo sie im Vorjahr just in Sölden schon – gemeinsam mit Anna Fenninger – ganz oben gestanden ist, sowieso. "Da fühle ich mich viel besser als vergangene Saison. Ich habe den Zug zwischen den Toren gefunden, es ist fast schon wie im Slalom – es ist wie ein Teil von mir." In Sölden war sie beim Weltcupauftakt im Oktober schon einmal Zweite hinter Federica Brignone.

Neben dem Riesentorlauf investierte Shiffrin im Sommer aber auch Zeit ins Training der schnellen Disziplinen. Sie lernte, Geduld zu haben, feinen Druck auszuüben. "Das erste Mal, als ich einen Kurs mit zwei Doppeltoren gefahren bin, bin ich immer vor dem zweiten Tor schon abgebogen. Wie eine echte Technikerin eben", erzählt sie lachend.

Einfache Rechnung

Die Rechnung ist einfach: Im Vorjahr war Shiffrin im Gesamtweltcup schon Dritte – trotz eines Slalom-Tiefs zu Beginn der Saison. Dieses Jahr "werde ich auf jeden Fall mehr Punkte machen", sagt sie. Warum? "Weil ich im Slalom hoffentlich nicht mehr dieselben Probleme habe – ich habe gelernt, Ski zu entwickeln, mich mit der Skifirma auszutauschen. Ich bin besser im Riesentorlauf. Und ich werde auch in einigen Super-Gs und Super-Kombinationen an den Start gehen. Und mehr Rennen ergeben mehr Punkte."

Als Favoritin auf den Gesamtsieg will sie sich trotzdem nicht sehen. "Weil es bei den Damen nicht so eine große Tiefe gibt wie bei den Herren." Unabhängig davon, dass Anna Fenninger in dieser Saison verletzungsbedingt fehlt und Tina Maze pausiert.

Kombination als Trumpf?

Beim traditionellen Abendessen ihrer Skifirma beim Weltcupauftakt in Sölden konnte sie auf die Frage, wer sie in der Kombination schlagen soll, selbst nur mit den Schultern zucken. Denn Shiffrin hat die Liebe zum Speed entdeckt und macht mit Vorliebe den "Cuche": "Ich komme mir immer vor wie er, wenn ich springe – nur meine Trainer sehen das anders."

Mikaela Shiffrin arbeitet an der Sprung-Haltung für die Abfahrt
Mikaela Shiffrin arbeitet an der Sprung-Haltung für die Abfahrt © GEPA pictures

Wieder hatte sie das Thema Gesamtweltcup elegant umschifft. Shiffrin weiß aber sehr wohl, dass sie nun eine der Damen ist, die für den Sport stehen, eine der "großen Drei": "Ich denke, ich habe so und so die Verpflichtung, so schnell zu fahren, wie ich kann, um mehr Fans für den Sport zu begeistern. Ich muss einfach tun, was ich kann, um den Sport auf die nächste Stufe zu bringen."

Gutes Aussehen, sagt sie, sei dabei kein Hindernis, auch wenn Shiffrin lachend anmerkt: "Du solltest sehen, wie ich nach dem Aufstehen aussehe – und wie lange ich dann im Badezimmer brauche." Der Rest? Ein wenig Medientraining mit ihrem Kopfsponsor und sonst "rede ich einfach, was mir in den Kopf kommt. Und dabei versuche ich, niemanden anzugreifen, sondern allen Komplimente zu machen."

Der Erfolg ist offensichtlich: Mit 20 Jahren ist die Dame aus Colorado auf dem besten Weg, auch abseits der Pisten in die großen Fußstapfen von Landsfrau Lindsey Vonn zu treten.

Konkurrenzlos?

Im Slalom schien es vergangene Saison keine Konkurrenz zu geben. Grund zum Ausrasten war das nicht: "Sobald ich denke, ich habe Vorsprung, ist es nicht gut. Weil gewinnen ist nie einfach, es gibt so viele Junge, die mich schlagen wollen. Aber manchmal kommst du in den Groove, dann ist es schwer, dich zu schlagen. Aber eines muss dir klar sein: Alle anderen versuchen, dich zu kriegen." So wie sie den Gesamtweltcup kriegen will – am besten schon mit Siegen in den drei Rennen in Aspen diese Woche.

MICHAEL SCHUEN