Als Weltmeister-Auto in die neue Saison mit einem komplett neuen Auto – wie sieht das erste Resümee nach zwei Rennen aus?
HELMUT MARKO: Wir hatten 2021 eine sehr harte Saison, mussten das Auto bis zum letzten Rennen weiterentwickeln, weil Mercedes in Sachen Motor so zugelegt hatte. Gleichzeitig kam die gravierendste technische Änderung der vergangenen Jahre, verbunden mit einer Budgetobergrenze. Das war ein Spagat. Glücklicherweise sind uns WM-Titel und neues Auto gelungen. Wir haben beim ersten Rennen gesehen, wir sind mit Ferrari wettbewerbsfähig, hatten aber einen wirklich dummen Ausfall.

Was ist ein dummer Ausfall?
Eine kleine Pumpe war nicht installiert. Und zwar aus Gewichtsgründen. Wir haben Übergewicht. Wäre die Pumpe drin gewesen, wäre es zum gleichen Zweikampf gekommen wie vor zwei Wochen in Jeddah. Im Großen und Ganzen sind wir zufrieden, wir sind mit Ferrari einsam an der Spitze. Mercedes ist pro Runde um bis zu acht Zehntel langsamer und ich glaube und hoffe, dass sie das auch nicht so schnell aufholen. 

Mit einem Wort: Red Bull hat bei der „Grundsatzentscheidung“, in welche Richtung man das neue Auto entwickelt, alles richtig gemacht?
Das Auto ist absolut wettbewerbsfähig, aber wir haben noch zu viel Gewicht. Das bekommst du auch nicht so schnell weg. Was das heißt? Zehn Kilo mehr sind machen pro Runde drei bis vier Zehntel aus – und genau das macht uns optimistisch. Erfreulich am neuen Reglement ist, dass Ferrari mit einem ganz anderen technischen Konzept unterwegs ist als wir – und trotzdem führen beide Wege zum Erfolg.

Das Feld rückte mit den Änderungen tatsächlich näher zusammen, auch die Anzahl der Überholmanöver ist gestiegen. Zufrieden mit der neuen Spannung?
Wenn ich ganz egoistisch bin: Ein wenig mehr Einseitigkeit zu unseren Gunsten wäre besser.  Im Sinne des Sports und mit so einem Gegner wie Ferrari ist die Spannung aber unglaublich erfrischend. Wir genießen den Zweikampf auch mehr als den im Vorjahr. Das Feld ist zum Teil zusammengerückt, dabei glaube ich, dass die Ausreizung dieses neuen Konzepts erst bis Mitte des Jahres erfolgt sein wird. Dann sieht man, ob die Spitzenteams weiterentwickeln und besser werden oder den letzteren im Feld aufzuschließen.

In diesem Jahr zeigen sich auch die Ferrari-Kundenteams äußerst stark, während Mercedes strauchelt. Woran könnte das liegen?
Mercedes hatte seit Einführung der Hybrid-Motoren einen gigantischen Vorteil, bis zu zwei Sekunden pro Runde. Noch vergangenes Jahr ist uns Hamilton in Brasilien vorgefahren, als wären wir in der Formel 2. Für die Probleme könnte es zwei Gründe geben: Zum einen wurde der Anteil des synthetischen Treibstoffs von fünf auf zehn Prozent erhöht, damit könnte die Benzinfirma von Mercedes Schwierigkeiten haben. Es könnte aber auch sein, dass sich unser Abwerben zahlreicher Mercedes-Techniker langsam bemerkbar macht. Die Mercedes-Kundenteams waren es gewohnt, einen Knopf zu drücken und dann war "Party-Time" mit mehr Motorleistung. Das ist dahin, da ist eine gewisse Frustration vorhanden.

Kann Mercedes da noch reagieren?
Vom Motor her ist Ferrari derzeit das Maß aller Dinge, auch vor Honda und dann kommt Mercedes. Die Motoren sind zwar prinzipiell eingefroren, bis 1. September gibt es aber die Möglichkeit, nachzujustieren. Darauf hoffen wir auch. Mercedes hat aber auch Probleme mit dem "Bouncing". Ihr Auto kann nur schnell sein, wenn es tief gelegt ist. Aus aerodynamischen Gründen hält das aber weder Fahrer noch Chassis aus -  also müssen sie höher gehen. Mit jedem Zentimeter Höhe werden sie aber langsamer, haben deshalb den geringsten Top-Speed. Sie sind ein starkes Team, werden wieder kommen. Was ich aber nicht glaube: Dass das schnell zu lösen ist. Bis Barcelona oder Monaco wird das schon dauern.

Tut man sich dann mit der derzeitigen Budgetobergrenze schwerer beim Entwickeln und Nachliefern von neuen Teilen?
Wir haben zum ersten Rennen das erste Update gebracht, das nächste soll in Imola folgen. Finanzieller Natur bereitet uns derzeit nur das Gewicht Sorgen, da wir leichter werden müssen. Leichtere Materialien sind aber teuer, deshalb braucht es hier einen Kompromiss. Das Problem: Mit dem derzeitigen Anpressdruck wirken die Kräfte viel härter auf die Teile, deshalb braucht es eine härtere Federung, deshalb darf man die Zuverlässigkeit nicht außer Acht lassen.

Die Bilder des „Bouncing“ sind spektakulär. Was passiert da mit dem Fahrer?
Genau in G-Kräften kann ich das nicht sagen. Aber es ist so, dass die Fahrer Sehprobleme bekommen, Doppelbilder, Schwingungen. In der Intensität, wie wir es schon gesehen haben, kann das niemand über eine Renndistanz aushalten.

Sie meinten vorher, dass Red Bull den Zweikampf mit Ferrari mehr genießt. Woher kommt die spürbare Antipathie zu Mercedes?
Beginnen wir bei den Fahrern: Leclerc kennt Verstappen seit Go-Kart-Zeiten, die sind zusammen gewachsen. Hamilton ist ja etwas älter, ist sechsfacher Weltmeister, oder sind es schon sieben? Das weiß ich jetzt gar nicht so genau. Da war es schon fast Majestätsbeleidigung, dass wir attackiert haben. Auch von der Rennphilosophie und Mentalität sind sich Red Bull und Ferrari als emotionsgetriebene Teams ähnlicher. Bei uns steht die Leidenschaft im Vordergrund, vielleicht orientiert man sich bei Mercedes mehr am Kommerziellen. Und auch zu den handelnden Personen bei Ferrari gibt es einen besseren Kontakt und mehr Respekt.

Dabei ist bei Mercedes auch ein Österreicher am Ruder. Es gibt nichts, was uns mehr trennt als die gemeinsame Sprache?
Na ja, Toto Wolff hat sich eher Christian Horner ausgesucht, die beiden machen ihre Fehden aus.

Der aktuelle Zweikampf mit Ferrari wird also Ihrer Ansicht nach das Duell um den Titel?
Ferrari hat ein sehr effizientes, simpel zu handelndes Auto. Die fahren bei jeder Temperatur und jedem Reifen hinaus, sind ohne große Adaptionen schnell. Unser Auto ist schwieriger abzustimmen, eine kleine Diva sozusagen. Temperaturschwankungen, die bei Rennen im Mittleren Osten bis zu 15 Grad betragen haben, machen uns Schwierigkeiten. Alles muss stimmen, damit wir das Optimum abrufen könne. Die Frage ist, wie schnell Weiterentwicklung gelingen kann. Aber ja: Ich gehe davon aus, dass es ein Zweikampf bleibt. Bis Mercedes aufschließt, werden sie punktemäßig so im Rückstand sein, dass sie für die WM nicht mehr infrage kommen.

Die Formel 1 war mit und auf „Netflix“ mit der Serie "Drive to survive" Vorreiter. Wie wichtig ist diese hautnahe Begleitung samt Aufarbeitung à la Hollywood?
Da sind wir im Team unterschiedlicher Ansichten. Max und ich sind keine Netflix-Freunde, dafür ist Christian Horner ein ganz großer Fan und tut alles für diese Auftritte. Die Außenwirkung ist sicher positiv, in Amerika hat die Serie zu einem Boom geführt. Die Darstellung und konstruierte Rivalitäten muss man nicht mögen.

Wer kaum zu sehen ist, sind Sie. Woran liegt das? Der „Doktor“, wie Sie genannt werden, ist ja integrativer Bestandteil des Teams ...
Unser Star ist aber Christian Horner. Max und ich sind da, wie gesagt, nicht dabei. Es kann sich bei uns jeder aussuchen. Es steht den Akteuren frei, inwiefern sie sich da einspannen lassen. Meines ist es, wie gesagt, nicht.

Der Rennkalender ist in diesem Jahr erneut rekordverdächtig, nächste Saison kommt der GP in Las Vegas hinzu. Ist es notwendig, die Weltmeisterschaft immer weiter auszudehnen?
In kommerzieller Sicht gibt es riesige Nachfrage. Sicher zehn Länder warten darauf, einen Grand Prix auszutragen. Andererseits entwickelt es sich zum Ganzjahressport, die Belastung für die Mechaniker ist sehr groß. Der erste Schritt, dem entgegenzuwirken, war die Verkürzung des Wochenendes, dahingehend, dass man wirklich erst am Donnerstag anreisen muss. Und es wird eine bessere Terminplanung brauchen, damit man nicht kreuz und quer durch die Welt fliegen muss. Die logistische Planung braucht es auch, Routen sollten in eine Richtung gehen. Realistischerweise könnten wir bei 25 Rennen enden. Das ist zwar viel, aber zu bewältigen.

Das Wochenende in Australien – ist Max Verstasppen hier Favorit? 
Wir haben guten Abtrieb, keinen hohen Luftwiderstand, der Topspeed ist gut. Australien ist eine schnelle Strecke, das sollte uns entgegenkommen. Offen ist die Frage der sich ändernden Temperaturen. Letztlich geht es wohl um die Tagesverfassung von Auto und Pilot. Aber: der Kampf um den Sieg wird sicher zwischen Ferrari und Red Bull abspielen.