Die Pole-Position für den Großen Preis von Kanada am Sonntag (Liveticker ab 20 Uhr) sicherte sich Sebastian Vettel. In 1:10,240 distanzierte er Lewis Hamilton um zwei Zehntel. Damit ist die Überlegeheit der Silberpfeile einmal kurz gebrochen. Pech hatte Max Verstappen. Auf seiner schnellen Schlussrunde im zweiten Qualifying-Teil rutschte Kevin Magnussen in die Mauer, Rot, Abbruch. Damit musste der Red-Bull-Pilot mit Rang 11 zufrieden sein. Soweit zum Sportlichen.

Sehr viele Rennstrecken haben immer mehr Probleme, einen Grand Prix zu finanzieren, Verträge für die Zukunft wackeln, vor allem angesichts sinkender Zuschauerzahlen. Trotz Ferrari haben die Organisatoren des GP von Italien in Monza Mühe, die Tribünen zu füllen. Deutschland kann Weltmeister Mercedes vorweisen, Ferrari-Star Sebastian Vettel und Renault-Ass Nico Hülkenberg, dennoch sind die Zeiten lange vorbei, als den Hockenheimern die Eintrittskarten fast aus den Händen gerissen wurden...

Doch der Kanada-GP ist in vielen Punkten das Gegenteil zum allgemeinen Negativ-Trend: Ein Promoter, der viel investieren kann, ausverkauftes Haus, ein Vertrag bis 2029... Was sicher eine Rolle spielt: Montreal umarmt förmlich die Formel 1. Überall in der Stadt stolpert ein Besucher über Rennsport, ganze Straßenzüge werden gesperrt, um Feste zu feiern und Renn- oder Supersportwagen auszustellen, die Partys in der Rue Crescent sind legendär, laut und lang. Dass der Formel-1-Zirkus in der Stadt ist, ist unmöglich zu übersehen. Das ist nicht überall so: In Shanghai etwa bekommt man nicht unbedingt auf Anhieb mit, dass der GP-Tross da ist. Rennwagen in den Ramblas von Barcelona – eher Fehlanzeige...

Der Strippenzieher

Der kanadische Promoter François Dumontier hat eines perfekt verstanden: Werbung ist alles. Und Mund-zu-Mund-Propaganda ist die beste Werbung. Die Infrastruktur am Circuit Gilles Villeneuve für die Fans ist seit Jahren bewährt, die Leute sind happy und kommen in den folgenden Jahren zurück. Was er ebenfalls begriffen hat: Die Formel 1 hat ein Nachwuchsproblem. Also sind Familienzonen eingerichtet worden, die besonders auf Paare mit Kindern zugeschnitten sind. Es funktioniert: „Kein anderer Anlass zieht so viele Touristen innerhalb weniger Tage an“, sagt Dumontier.

So viel Erfolg führt dazu, dass auch Geld für notwendige Investitionen da ist. Den Regierungen von Montreal, Québec und Kanada ist die größte Sportveranstaltung des Jahres sehr wichtig – so dass sie einen großen Teil der 40 Millionen Euro aufbrachten, die jetzt verbaut wurden. Denn Boxengebäude, Fahrerlager, Pressezentrum – das waren über Jahre hinweg noch ziemliche Schwachstellen. Jetzt sind auch die beseitigt: Vorbei die Zeiten, als die Mechaniker in engen, zu wenig ausgeleuchteten Boxen aus dem Jahre 1988 arbeiten mussten. Vorbei die Zeiten, als die Medienvertreter in einem Zelt arbeiteten, an dem hörbar Wind und Wetter zerrten und das ein interessantes akustisches Schauspiel bot – es war nie ganz sicher, ob die Formel-1-Motoren nun draußen lauter sind oder drin. Nun gibt es ein modernes, luftiges Gebäude, das bereits einen Design-Preis gewonnen hat, den ‘Canadian Architect Award of Excellence’. Es soll auch an die legendären Bauten der Weltausstellung von 1967 auf der „Ile de Notre Dame“ erinnern, ist nachhaltig gebaut, mit Material aus der Region, hat Solarzellen auf dem Dach.

Rennen für Onkel Villeneuve

Nach dem Formel-1-Abschied von Jacques Villeneuve war Kanada jahrelang ohne GP-Piloten. Trotzdem ließ sich Promoter Dumontier nicht abschrecken, sondern wurde erfinderisch: So organisierte er für das Rahmenprogramm einen Formel-Ford-Einsatz von Jacques Villeneuve senior, dem Bruder des 1982 tödlich verunglückten Ferrari-Idols Gilles Villeneuve und Onkel des 1997er Formel-1-Champions Jacques Villeneuve. Jacques, der Ältere, bedankte sich als rüstiger Ü60 mit zwei Siegen in der Seniorenklasse und balgte sich zur Gaudi der Fans mit Piloten, die seine Enkel sein könnten. Jetzt hat man den erst 20-jährigen Lance Stroll – und auch wenn der nicht unbedingt regelmäßig vorne mitfährt, taugt er in Kanada zum Fan-Magneten, hat an der Strecke bereits seine eigene, nach ihm benannte Tribüne.

Davon, dass er noch lange dabei sein wird, kann man ausgehen. Schließlich hat sein Vater, der kanadische Textil-Milliardär Lawrence Stroll, extra für seinen Junior das frühere Force-India-Team, das jetzt Racing Point heißt, gekauft. Stroll Senior ist dazu auch dabei, seinen Einfluss in der Formel 1 insgesamt zu vergrößern: Er macht sich bei Zulieferern beliebt, weil jetzt endlich lang ausstehende Rechnungen beglichen wurden und neue pünktlich bezahlt werden. Außerdem ist der geschickte Stripppenzieher unter anderem sehr gut mit Mercedes-Sportchef Toto Wolff befreundet, die beiden spielen sich in politischen Fragen dann schon einmal gerne die Bälle zu – was mittel- und langfristig Racing Point und auch Lance Stroll sicher nicht schaden wird. Der hat in den Nachwuchsklassen bewiesen, dass er durchaus nicht komplett untalentiert ist, er stand ja in der Formel 1 auch schon mal auf dem Podest, im Chaos-Rennen von Baku 2017 – auch wenn er im Moment mit seinem deutlich erfahreneren Teamkollegen Sergio Perez nicht ganz mithalten kann.