Sie haben im Fußball schon so viel erlebt. Am Samstag waren Sie beim Spiel Austria Lustenau gegen Salzburg. Was ging Ihnen da durch den Kopf?
RALF RANGNICK: Ich bin seit 40 Jahren im Fußball tätig. Aber das war Fußball, wie man ihn sich vorstellt. Ich fand es süß, wie der Stadionsprecher gesagt hat: „Wir bedanken uns bei 4500 Zuschauern und sind ausverkauft.“ Es passiert in einer ersten Liga selten, dass du mit 4500 Zuschauern ausverkauft bist. Es war eine tolle Atmosphäre. Und auch rundherum war es so, wie du dir Fußball vorstellst. Es war überall der Geruch von Bratwurst. Ich habe es genossen.

Wie sieht ihr Tagesablauf aus?
Ich pendle noch zwischen Leipzig, wo ich meine Wohnung habe, und meiner Heimatstadt Backnang, und bin auch öfter in Salzburg. Ich bin jetzt auf der Suche nach einem Ersatzstandort für Leipzig, das kann durchaus in Österreich sein. Ich bin im ständigen Austausch mit meinen Kollegen. Wir haben am Mittwoch einen Zoom Call, wo wir den Kader für den nächsten Lehrgang, in dem wir am 22. September in Frankreich und am 25. September gegen Kroatien spielen, vorbesprechen wollen. Klar sind wir auch viel in den Stadien unterwegs.

Wie sehr schmerzt der Rücktritt von Martin Hinteregger?
Wenn ein Spieler im besten Fußballeralter in einer Situation, in der sich sein Klub und er selbst erstmals in der Vereinsgeschichte für die Champions League qualifizieren, sagt, er will nicht mehr, muss es schon ernst zu nehmende Gründe geben. Bei aller Professionalität im Fußball ist die Entscheidung mehr als zu respektieren. Denn hier geht es um den Menschen.

Inwieweit wirft das Ihren Plan über den Haufen?
Gar nicht. Wir haben ja auch ohne ihn in der Innenverteidigung jede Menge Kandidaten, also die Qual der Wahl.

Mit Stefan Lainer, Stefan Posch und Xaver Schlager gibt es Sorgenkinder, die aktuell bei ihren Klubs gar nicht oder nur sehr wenig zum Einsatz kommen.
Ich hoffe, dass sich das ändert. Im Fall von Lainer setzt der Trainer auf einen anderen Spieler. Posch hat sich mit einem Ausschluss selbst rausgeschossen – und ohne ihn gewinnt Hoffenheim. Und bei Schlager habe ich nichts von den körperlichen Defiziten gesehen, die in Leipzig angeführt werden. Bei Wolfsburg und im Nationalteam hatte er die nicht. Die müssen also zwischen dem Team-Lehrgang und jetzt passiert sein.

Was sagen Sie zur ÖFB-Infrastruktur, die als nicht mehr zeitgemäß gilt?
Österreich ist wahrscheinlich sogar noch vor der Schweiz das Land mit den besten Trainingscamps für Teams im Sommer – da sind Tophotels mit Top-Trainingsplätzen vereint. Deswegen kommen ja selbst aus den fünf europäischen Topligen viele Vereine nach Österreich. Und doch fragen wir uns beim Nationalteam gleichzeitig, wo wir beim nächsten Lehrgang trainieren. Das Hotel hier in Wien ist klasse, ich bin gerne hier. Aber trotzdem fahren wir zwischen 20 und 30 Minuten zum Happel-Stadion – um dann auf irgendeinem der drei oder vier Plätze, der noch den halbwegs besten Zustand hat, zu trainieren. Das ist ja grotesk, wenn man sich das überlegt. Man kann aber natürlich auch nur dorthin gehen, wo man auch Länderspiele absolvieren kann.

Aber aktuell sind alle Partien im Happel-Stadion angesetzt.
Es ist wichtig, im richtigen Stadion zu spielen. In Kopenhagen haben wir vor vollem Haus gespielt. Selbst 4500 in Lustenau machen Stimmung, weil es ausverkauft ist – gegen Salzburg war dort jeder Platz voll. Wenn du im Happel-Stadion aber vor 20.000 Leuten spielst, ist es aber dagegen mehr als halb leer. Wir müssen uns überlegen, gegen welchen Gegner es wo Sinn hat, zu spielen. Wo kriegst du das Stadion proppenvoll? Wo stehen die Zuschauer auch hinter der Mannschaft? Und wir müssen die Fans dazu bringen, dass sie sich Länderspiele nicht mehr entgehen lassen wollen.

Was würden Sie im Nachwuchs gerne verbessern?
Natürlich wollen wir in Zukunft dafür sorgen, dass wir auf Positionen, auf denen wir noch nicht in der gleichen Breite aufgestellt sind wie auf anderen, Spieler ganz nach oben bringen. Derzeit denke ich da an Tempodribbler und Außenverteidiger, vor allem auf der linken Seite. Da können wir als ÖFB unseren Teil beitragen.

Wie sehen Sie die Entwicklung des SK Sturm, der gerade mit Rasmus Höjlund einen Rekordtransfer getätigt hat?
Ich habe ja in meinen ersten Jahren in Salzburg selbst viele Spiele in Graz erlebt. Graz ist schon eine Fußballstadt, einer der größten Fußball-Standorte, auch mit dem GAK. In der zweitgrößten Stadt Österreichs kann man schon erwarten, dass man regelmäßig unter den ersten Drei, Vier ist. Mit Höjlund ist Sturm ein sehr guter Griff gelungen. An ihm sieht man: Fußball ist ja eigentlich ganz einfach.

Wie darf man das verstehen?
Du musst wissen, welche Art von Fußball du spielen willst. Dann brauchst du den besten Trainer, ein gutes Scouting, um solche Spieler wie ihn, die davor keiner kennt, zu holen. Und dann muss der Trainer mit seiner Art, wie er Fußball spielen lässt, die Mannschaft entwickeln. So einfach.

Wann gibt es einen anderen Meister als Salzburg in Österreich?
Wenn Salzburg keine gravierenden Fehler in der Kader- und Trainerplanung macht – und die Gefahr sehe ich nicht, solange Christoph Freund am Ruder ist – wird es schwierig.

Ihre Eltern sind selbst Flüchtlinge gewesen. Was sagen Sie über den aktuellen Krieg in der Ukraine?
Meine Eltern sind im Alter von 13 bzw. 14 Jahren 1944 aus Königsberg bzw. Breslau geflüchtet. Ein paar Wochen später waren die beiden Städte dann auch tatsächlich in Schutt und Asche gelegt. Dass wir aktuell ein paar Stunden von Wien entfernt einen solchen Krieg führen, versteht keiner.