Dass Sportler mit einem Staatspräsidenten für das Fotoalbum posieren, ist nichts Ungewöhnliches, ja, bei Ehrungen gehört es zum folkloristischen Ritual. Doch das Bild, das am vergangenen Sonntag in einem Londoner Hotel geknipst wurde und nun die Gemüter im Nachbarland Deutschland erhitzt, ist kein gewöhnliches Foto.

Es zeigt zwar einen Präsidenten und zwei Fußballer. Aber die Konstellation ist je nach individueller Erregungsbereitschaft gewöhnungsbedürftig bis explosiv. Denn der Präsident ist Recep Tayyip Erdogan, der wahlkämpfende türkische Staatschef, der zu Hause mit eiserner Faust alle Andersdenkenden niederdrückt. Und bei den Kickerstars, die in die Kamera strahlen, handelt es sich um die deutschen Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan. Der eine zählt für Teamtrainer Joachim Löw zu den großen Stützen der Nationalelf und hat 89 Mal das Teamtrikot getragen, der andere kommt immerhin auf 24 Spiele für Deutschland.

Nun ist es an sich klärungsbedürftig genug, was zwei Mitglieder der deutschen Nationalelf, noch dazu des regierenden Weltmeisters, veranlasst, sich mit einem Autokraten wie Erdogan ablichten zu lassen. Was den deplatzierten Doppelpass des in England spielenden Duos aber zum brisanten Politikum macht, ist die Huldigungsadresse, die auf dem Trikot prangte, das der in Gelsenkirchen geborene Gündogan Erdogan überreichte: „Mit großem Respekt für meinen Präsidenten.“

Mehr hatte es nicht gebraucht. Kaum hatte die islamistische Regierungspartei AKP des türkischen Staatschefs die Trophäe auf Twitter veröffentlicht, prasselte in den deutschen sozialen Medien ein Shitstorm auf die zwei Sportler ein. Und natürlich meldete sich die Politik geharnischt zu Wort: „Der Bundespräsident eines deutschen Fußballnationalspielers heißt Frank-Walter Steinmeier, die Bundeskanzlerin Angela Merkel und das Parlament heißt Deutscher Bundestag und sitzt in Berlin, nicht in Ankara“, sagte der Grünen-Politiker Cem Özdemir, selber Sohn türkischer Einwanderer. Und auch Kanzlerin Angela Merkel zeigte sich irritiert.

Erdogan buhlt um Stimmen

In der Tat hat Erdogan Zeit, Ort und Personal des Werbeshootings listig gewählt. Am 24. Juni finden in der Türkei Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Für den Staatschef geht es um alles. Wahlkampfauftritte in Deutschland sind unerwünscht. So buhlt er von London aus mit den Sportidolen Özil und Gündogan um die Stimmen der 1,5 Millionen in der Bundesrepublik wahlberechtigten Deutschtürken.

Und trifft damit im durch die Flüchtlingskrise politisch überhitzten, um seine Identität ringenden Nachbarland einen neuralgischen Punkt. Die Frage, die sich viele Deutsche nun stellen, lautet, wem die Loyalität der Deutschtürken gilt, wenn schon zwei im Land geborene Fußballstars, die es allen Maßstäben nach „geschafft“ haben, sich da nicht so sicher sind?

Kerem Öktem hat sich viel mit der Zugehörigkeit von Migranten in der zweiten und dritten Generation beschäftigt. Der an der Universität Graz lehrende Politologe will den Auftritt der zwei Fußballer nicht bagatellisieren. „Das ist äußerst ärgerlich.“ Zugleich plädiert der Deutschtürke aber dafür, die Kirche im Dorf zu lassen: „Wäre es nicht Erdogan, den wir alle für politisch problematisch halten, sondern der Präsident einer Türkei, die auf dem Weg in die EU ist, hätte das eine ganze Wirkung.“ Eine Vielfalt von Identitäten bedeute nicht automatisch Zerrissenheit, so Öktem. „Das gehört zur Migration.“ Und auch die klaren Nationalitäten gebe es im globalen Kontext von heute in dieser Form nicht mehr. Sie hätten hybriden, fluiden Zugehörigkeiten Platz gemacht. Öktem: „Das passiert ja auch innerhalb von Europa. Heute kann man sagen, wir sind Europäer und wir sind Österreicher.“

Für viele Türken in Europa handle es sich um einen Lernprozess, „nämlich, dass sie nicht davon profitieren, sondern eher darunter leiden werden, wenn sie sich mit Erdogan identifizieren.“ Dazu, so glaubt Öktem, sei es freilich unerlässlich, eine Integrationspolitik zu machen, die dazu führe, „dass die Leute auch in der Gesellschaft ankommen und nicht länger das Bedürfnis haben, sich ausschließlich über die Türkei zu definieren“.

Ähnlich unaufgeregt sieht es offenbar der deutsche Bundestrainer Joachim Löw. Er hat Özil und Gündogan nach einer scharfen Rüge für seinen vorläufigen WM-Kader nominiert.