Corona hat zu veränderten wirtschaftlichen Voraussetzungen geführt. Inwiefern glauben Sie, dass die Fußball-Blase platzen wird?
JULIAN BAUMGARTLINGER: Es ist für mich noch nicht einzuschätzen, wie sich die Corona-Phase wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich auswirken wird. Veränderungen, die mit dem Lockdown passiert sind, gehen weit über den Fußball hinaus. Ich glaube aber schon, dass es weiter Transfers mit hohen Ablösesummen geben wird.

Wie stehen Sie zur Diskussion, dass Sportler und im Speziellen Fußballer privilegiert sind?
BAUMGARTLINGER: Grundsätzlich kann ich als Fußball-Profi definitiv ein privilegiertes Leben führen. Beim Liga-Restart wurde die Wiederaufnahme unseres Berufs durchwegs kritisch kommentiert. „Was nehmen sich die Fußballer heraus?“ hieß es. Aus meiner Sicht ist dies nicht unbedingt fair und zu Ende gedacht. Wir alle versuchen, weiter zu existieren, zu wirtschaften, zu leben und erfolgreich zu sein. Sich einige Sparten oder Berufsgruppen herauszupicken und zu sagen „warum dürfen die und wir nicht?“ bzw. „warum dürfen die mehr als die anderen?“, finde ich willkürlich. Warum müssen wir uns als Gesellschaft durch eine Debatte gerade jetzt auseinanderdividieren? Meiner Meinung nach sollten wir viel mehr versuchen, sich mit jedem zu freuen, dem es gut geht und für jeden, der schneller auf die Beine kommt.

Was wünschen Sie sich?
BAUMGARTLINGER: Jeder, der seine gesellschaftliche Vorbildfunktion mitbeachtet und das auch nach außen lebt, soll das verdienen und machen, was er will. Außerdem sollten wir uns alle helfen und gegenseitig auf uns achten – mit Respekt. Dann glaube ich, dass sich Leute nicht falsch behandelt und verstanden fühlen. Das könnte der Schlüssel sein.

Corona hat wieder einmal gezeigt, dass Profitgier und Egoismus sehr präsent sind. Inwieweit muss man als menschliches Naturell akzeptieren?
BAUMGARTLINGER: Leider ist das so. Anders sind wir nicht erzogen worden. Du musst versuchen, dich durchzusetzen, deine Familie durchzubringen und karrieretechnisch erfolgreich zu sein. Aber ob das langfristig gut geht, wage ich zu bezweifeln.

Der Mensch neigt dazu, wenig aus der Historie zu lernen.
BAUMGARTLINGER: Wir vergessen und verdrängen halt gern, das ist eine menschliche Eigenschaft. Das kann gut und schlecht sein. Nach einer gewissen Zeit blicken wir wieder nach vorne, sind um Optimismus bemüht. Gott sei Dank ist das so. Wenn wir permanent mit Angst und Trauer leben würden, wäre das Leben problematisch.

Sie sind zweifacher Familienvater. Was haben Sie aus der Zeit des Lockdowns mitgenommen?
BAUMGARTLINGER: Ich habe es großartig nutzen können und habe eine tolle Zeit mit meiner Frau und den Kindern verbracht. Noch nie in meinem Leben habe ich zehn Wochen am Stück an den Wochenenden frei gehabt und war daheim. Mitzuerleben, wie meine größere Tochter das Radfahren erlernt hat und gemeinsam so viel zu unternehmen, sind sicher unvergessliche Momente.

Sollte für das Bildungssystem mehr Geld in die Hand genommen werden?
BAUMGARTLINGER: Da bin ich überfragt, da ich ins österreichische Bildungssystem zu wenig Einblick habe. Ich sehe mich als Elternteil hinsichtlich Erziehung und Bildung selber besonders in der Pflicht. Wir Eltern haben viel mehr Verantwortung als nur Kinder in die Welt zu setzen und sich darauf zu verlassen, dass sie so gut wie möglich von allen angebotenen Institutionen zwischen 2 und 25 Jahren „durchgefüttert“ und aufs Leben vorbereitet werden.

Wie haben Sie die Welt ohne Sport und Fußball wahrgenommen?
BAUMGARTLINGER: Sport-Rückblicke sind irgendwann genug. Es entschleunigt, was auch nicht ganz so schlecht war, da es meinen Blick auf die unmittelbare Umgebung geschärft hat. So viele Heimwerker wie in den vergangenen Monaten hat es wahrscheinlich in ganz Europa noch nie gegeben.

Waren Sie auch als Heimwerker tätig?
BAUMGARTLINGER: Ich habe es probiert. Zum Glück habe ich noch zwei ganze Daumen, weil die ein oder andere Aktion ging haarscharf am Fingerverlust vorbei. Aber es war eine gute Erfahrung und ich bin – wie gesagt – froh, ohne Verletzung aus der Pause herausgekommen zu sein (lacht).

Was war Ihre größte Errungenschaft als Heimwerker?
BAUMGARTLINGER: Eine Sandkiste für die Kinder war die größte Heldentat. Da habe ich echt sauber gearbeitet, darauf bin ich sehr stolz!

Die verschobene Fußball-EM wird 2021 stattfinden. Inwiefern halten Sie angesichts der Aktualität eine Endrunde in zwölf Ländern für absurd?
BAUMGARTLINGER: Es ist ja nicht so, dass es vorher nicht auch schon absurd war. Die Situation hat sich nicht geändert.

Als Kapitän des ÖFB-Nationalteams waren Sie federführend am 1,15 Millionen Euro schweren Hilfsfonds für Österreichs Amateurvereine, für den die Teamspieler 500.000 Euro zugeschossen haben. Liegt Ihnen die Solidarität am Herzen?
BAUMGARTLINGER: Ja, denn es war wichtig, für die vielen Vereine und ehrenamtlichen Mitarbeiter, die so viel tun, ein Zeichen zu setzen. Damit wollen wir signalisieren, dass wir für Fußball-Österreich da sind.

Sie bereiten sich nach einem Kurzurlaub mit Leverkusen auf die Europa-League-Spiele im August vor. Danach geht es nach einer weiteren kurzen Pause sofort ins Teamtrainingslager von Österreich, bevor der Nations-League-Auftakt in Norwegen ansteht. Wie fühlt es sich in diesem Hamsterrad der (Über-)Belastbarkeit an?
BAUMGARTLINGER: Man kann schon sagen, dass es etwas wahnwitzig ist. Es gibt Spieler, die 14 Monate durchspielen bis zur EM 2021. Ein Sportler, der keine Pause bekommt, wird irgendwann am Limit sein. Ob die Auswirkungen Leistungseinbrüche, Verletzungen, psychische Probleme oder mentale Löcher sein werden, bleibt abzuwarten.

Julian Baumgartlinger
Julian Baumgartlinger © GEPA pictures

Der Fußballer hat aber zu funktionieren, oder?
BAUMGARTLINGER: Das ist richtig. Es wird entschieden, was zu machen ist. Natürlich halten wir uns an Spielpläne. Aber am Ende wird sich das von allein regulieren. Wenn der Körper nicht mehr mag, wird er sich seine Pause nehmen und so den Spielplan zwangsläufig ausdünnen. Vollere Terminpläne sind ohnehin nicht mehr möglich.

Rassismus ist noch immer allgegenwärtig. Welche Erfahrungen haben Sie mit diesem Thema gemacht?
BAUMGARTLINGER: Dass es das gibt, ist mir klar. Diskriminierung, Faschismus und Rassismus sind gerade bei uns historisch belegt. Für mich ist es zum Glück völlig fremd. Der Fußball hat mir genau das Gegenteil beigebracht. Es ist so bereichernd, andere Personen, Kulturen, Umgangsformen, Lebensweisen und Ansichten kennenzulernen. Ich bin sehr froh, dass ich kulturelle Vielfalt und ethnische Unterschiede erleben darf.

Was sagen Sie rassistischen „Fans“?
BAUMGARTLINGER: Das sind kein Fans für mich. Dieses Verhalten ist dumm und kriminell. Das gehört nicht nur nicht in den Sport, das gehört nicht in unsere Gesellschaft.

Sie haben in Ihrer Karriere bei nur fünf Klubs gespielt. Agieren Sie allgemein langfristig und weitsichtig?
BAUMGARTLINGER: Bevor ich etwas nicht zu Ende gebracht habe, wie ich mir das vorstelle, tu ich mir schwer, die Zelte abzubrechen. Das ist eine Charaktereigenschaft, die meinen Werdegang geprägt hat.