Kilometerfresser, Pferdelunge oder Kampfmaschine werden Sie gerne genannt. Wird das Ihrem Spielstil überhaupt gerecht?
JULIAN BAUMGARTLINGER: Ich habe 112 Bundesligaspiele für mein erstes Tor gebraucht, deshalb kann man mich nicht als Tormaschine bezeichnen (lacht). Aber ich nehme das locker. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich auch andere Elemente mitbringe.


Sie kommen pro Spiel auf Rekord-Laufwerte von bis zu 14 Kilometern. Muss man eigentlich mehr in Ballbesitz oder ohne laufen?
BAUMGARTLINGER: Wenn man gegen die Bayern spielt, rennt man mehr. Da rennst du dem Ball ständig hinterher und musst permanent verschieben. Aber es macht mehr Spaß, den Ball zu haben.


Warum sind Sie körperlich in einer derart guten Verfassung?
BAUMGARTLINGER: Ich laufe keine Extrarunde nach dem Training. Aber ich gehe immer an meine Grenzen. Ich war in der Jugend Leichtathlet und habe das aus dieser Zeit mitgenommen. Die Sport-Matura hilft mir auch, weil ich viel aus der Trainings- oder Bewegungslehre gelernt habe. Es ist wichtig zu wissen, was der Körper braucht, sonst streikt er. Regeneration ist essenziell.


Wie sieht Ihre Regeneration aus?
BAUMGARTLINGER: Schlafen! Wenn der Körper will, gebe ich ihm zehn Stunden Schlaf. Infekte kommen nicht nur, weil man zu kühl angezogen war.


Mit Mainz läuft es richtig gut. Sie schnuppern an einem Europacup-Platz. Ist der Klub endgültig von der grauen Maus zu einem gestandenen Bundesligisten geworden?
BAUMGARTLINGER: Es hat sich schon einiges entwickelt. Das neue Stadion, die Euphorie in der Stadt, das macht schon Spaß. Aber wir heben nicht ab. Es gibt vielleicht acht Klubs, die sagen können, dass sie in den nächsten fünf Jahren fix in der Liga spielen. Wir gehören da nicht dazu. Im Sommer können uns fünf Leute weggekauft werden und dann geht es schnell. Hoffenheim hat auch geglaubt, sie gehören da her, und stecken jetzt hinten drin.


Sie sind seit dieser Saison Kapitän. Was bedeutet Ihnen das?
BAUMGARTLINGER: Ich bin auf dem Platz schon immer vorangegangen, auch ohne Schleife. Es ändert sich auf dem Feld nicht viel. Nur die Pressearbeit und die Wahrnehmung sind anders. Ich brauche nicht rund um die Uhr im Mittelpunkt stehen. Ich bin einer, der ruhig mit allen redet und Hilfe anbietet. Ich schreie schon auch, aber nur selten.


Bei Niederlagen, wie man hört.
BAUMGARTLINGER (lacht): Ich habe noch nie verlieren können und wenn es nur bei „Mensch ärgere dich nicht“ war.


Wie fühlen Sie sich in Mainz?
BAUMGARTLINGER: Meine Frau und ich fühlen uns sehr wohl. Es ist beschaulich, hat nicht den Großstadtcharakter, die Leute sind positiv und nett.


Die Spielanlage in Mainz ähnelt der im Nationalteam. Inwiefern ist das ein Vorteil?
BAUMGARTLINGER: Beide agieren in einem 4-2-3-1. Die Art, wie wir verteidigen wollen, ist auch gleich: hoch, aggressiv, agierend und nicht reagierend. Gegen beide Teams spielt niemand gerne.


Warum hat das Nationalteam eine derartige Entwicklung nehmen können?
BAUMGARTLINGER: Didi Constantini hat den Grundstein gelegt, indem er viele junge Spieler geholt hat. Nur durch ihn bin ich ins Ausland gekommen. Er hat mir im Nationalteam die Chance gegeben.


Und Marcel Koller?
BAUMGARTLINGER: Er hat viel verändert – Abläufe, Programm, Tagesgeschäft. Das war kein Selbstläufer, sondern ist alles langfristig durchdacht. Ihm hilft, dass es viele Legionäre gibt, die Führungsspieler sind. Wir profitieren von ihm. Das ist der Erfolg eines großen Teams.


Sie verzichten anders als viele Fußballer auf soziale Netzwerke. Warum?
BAUMGARTLINGER: Es ist ein Marketingfaktor. Aber ich habe bemerkt, dass es eine Plattform zur Selbstdarstellung geworden ist. Wenn einer ein Gruppen-Selfie postet, reicht das. Ich will nicht der 17. sein, das hat keinen Sinn. Dass viele das als Plattform verwenden, um nur zu schimpfen und persönlich zu werden, finde ich nicht gut. Ich kann sehr gut mit Kritik umgehen, aber auf einer sachlichen Ebene. Nach Spielen, die man gewinnt, ist oft alles gut, nach Niederlagen alles schlecht. Das ist nichts für mich. Wenn man was zu sagen hat, findet man auch ohne eigene Facebook-Seite eine Plattform. Ein ausgiebiges Interview mit Inhalt ist mir da viel lieber.

INTERVIEW: MICHAEL LORBER