Die Strände der Algarve sind mit Arealen von Sonnenschirmen und Liegestühlen bestückt. Vom Golf von Cadiz weht eine frische Brise über Portugals südlichste Region. Vom „Rock of Gibraltar“ natürlich weit und breit keine Spur. Der berühmte Felsen der britischen Kronkolonie am südlichsten Zipfel der iberischen Halbinsel ist weit weg, 250 km Luftlinie, 400 km Straßenroute. Warum dieser geographische Hinweis auf diese Verbindung? Faro, die Metropole der Algarve, ist die Heimat der Fußball-Nationalmannschaft Gibraltars. Am Samstag ist hier, im Estadio do Algarve, der Vier-Sterne-Weltmeister Deutschland zu Gast.

Das Victoria Stadium des Stadtstaates genügt nicht den Anforderungen der UEFA. Und Spanien lässt wegen des seit Jahrhunderten andauernden Streits mit Großbritannien über das Hoheitsrecht den winzigen Nachbarn nicht über die Grenze. Malaga ist nur 105 Luft- und 138 Straßenkilometer entfernt. Die UEFA hatte im im Mai 2013 die 1895 gegründete Gibraltar Football Association (GDF) als 54. und kleinstes Mitglied in die europäische Fußball-Familie aufgenommen. Die GDF ist bereits der fünfte Verband in der UEFA aus dem Königreich von Elisabeth II nach England, Schottland, Nordirland und Wales. Der Neuling wurde der EM-Qualifikationsgruppe D mit Deutschland, Polen, Schottland, Irland und Georgien zugelost. Die FIFA verschmäht diesen Winzling noch.
Nun bekommt es „Die Mannschaft“ mit dem kleinsten aller Fußballzwerge in der UEFA und in der Länderspielgeschichte des DFB zu tun: 6,8 km² Fläche, 30.000 Einwohner - dagegen ist selbst San Marino mit 62 Quadratkilometern gigantisch. Noch im Rausch des Sommermärchens von 2006 zerlegte Deutschland unter ihrem neuen Bundestrainer Joachim Löw das Fürstentum 13:0 mit vier Treffern von Lukas Podolski.

Die Krux mit den Kleinen

Sonst aber tat sich der Riese gegen die Zwerge oft sehr schwer. Als wären die Amateur-Kicker den Profistars unheimlich. Eigentlich nicht zu begreifen. Als Albanien im kommunistischen Betonzeitalter noch zu den Kleinen zählte, kam Deutschland (ohne Beckenbauer) in Tirana über ein 0:0 nicht hinaus und verpasste tatsächlich als Vize-Weltmeister 1966 in England die EM 1968 in Italien. Ein Schock für die ganze Republik.

Auf Malta (1:0 für die EM-Qualifikation 1976) - nur fünf Monate nach dem WM-Triumph in München - und auf Zypern (1:0 für die WM-Qualifikation 1970) siegte Deutschland ebenso knapp und mühsam wie als Vize-Weltmeister 2002 gegen Färöer (2:1 in Hannover für die EM-Qualifikation 2004). Und das Ergebnis vor sieben Monaten in Nürnberg gegen Gibraltar fiel wahrhaftig mickrig aus: 4:0. Zum Vergleich: Polen 7:0 in Faro, Irland 7:0 in Dublin, Schottland 6:1 in Glasgow. Gegenüber der Bild kündigte Jogi Löw an, diesmal zumindest mit fünf Toren Unterschied zu gewinnen.

Gibraltars einziger Profi ist verletzt

Die Gibraltarer sind bis auf Scott Wiseman (Preston Northend) alle Amateure, spielen in ihrer sogenannten Eurobet Division und werden von dem Schotten Dave Wilson trainiert. Das Team ist eine Kombination der beiden Klubs Lincoln FC (Meister) und Manchester FC 62 (Zweiter). Wiseman aber, der routinierteste Spieler im Zentrum der Abwehr, fehlt wegen Verletzung. Von elf Spielen gewann Gibraltar eines (1:0 gegen Malta), erkämpfte zwei Unentschieden und erlitt mit dem 0:4 in Kroatien am vergangenen Sonntag die achte Niederlage. Die Trefferzahl in der EM-Qualifikation 1:27 Tore. Also beste Gelegenheit für den Weltmeister, gegen die Zwerge vom Affenfelsen etwas für eine bessere Chancenverwertung zu tun.

HARTMUT SCHERZER