Ein österreichischer Fan reduzierte die Gefühlslage eines gesamten Fußballvolks auf das Wesentliche. "Es hat Spaß gemacht und das haben wir sehr lange nicht erlebt." Damit hat der Niederösterreicher, der das entscheidende Gruppenspiel von der Tribüne der Arena Nationala in Bukarest aus verfolgt hatte, eigentlich noch stark untertrieben. Ganze Generationen wurden verbraucht, mit Mannschaften, die meist nicht über die nötige Klasse verfügten, aber auch solchen, die Hoffnungen nährten und dann nicht erfüllen konnten. Mit dem 1:0-Erfolg über die Ukraine ging eine jahrzehntelange Leidenszeit zu Ende.

Der Aufstieg der Österreicher in das Achtelfinale der Europameisterschaft ist das Ergebnis eines im Fußball eher selten zu beobachtenden gelungenen Zusammenspiels von Theorie und Praxis. Die Nationalmannschaft holte jene sechs Punkte, die ihr schon nach der Auslosung der Endrunde grundsätzlich zugetraut worden waren. Manche hatten die Aufgabe in dieser Gruppe im anfänglichen Übermut sogar in die Abteilung "Pflichtprogramm" verfrachtet, doch anhand der Stimmungslage ließ sich ablesen, dass die Erwartungshaltung im Lande im Lauf der Corona-Zeit einem signifikanten Schrumpfungsprozess unterworfen war. Dies ging einher mit einem fast schon beängstigenden Vertrauensverlust in die Fähigkeiten der Mannschaft, gepaart mit den negativen Erfahrungen aus der Vergangenheit.

Ein klarer Plan

Doch Franco Foda verfolgte einen klaren Plan. Der Nationaltrainer hatte in den vergangenen Wochen die Umwelt völlig ausgeblendet, um sich im engsten Betreuerstab mit seinen Vertrauten und den Spielern ebenso intensiv wie ungestört auf diese EM einstimmen zu können. "Ich habe in den vergangenen 14 Tagen keine Zeitung mehr gelesen", gab der Teamchef nach dem Sieg zu Protokoll und er sagte dies keineswegs im Scherz. "Ich bin ein Mensch, der sich von nichts beeinflussen lassen will",  gibt sich Foda weitestgehend beratungsresistent, ausgenommen natürlich den inneren Kreis der Nationalmannschaft. Selbst nach dem Sieg über Nordmazedonien habe er auf die mediale Konsumation verzichtet.

Der Teamchef hatte schon im ersten Match mit der taktischen Ausrichtung überrascht und bekundete im weiteren Verlauf auf dieser Ebene eine Flexibilität, die ihm vielfach nicht zugetraut worden war. Spätestens mit der Formation für das entscheidende Gruppenspiel gegen die Ukraine strafte Foda all jene Lügen, die dem Deutschen ein Korsett angelegt hatten, aus dem er nicht herauskommen könne. Die Vorwürfe reichten von zu defensiver Grundhaltung über fehlenden Mut zum Risiko bis hin zur mangelnden Bereitschaft, das Potenzial der Spieler auszuschöpfen. All das hat Foda widerlegt.

Die Rolle von Alaba

Der Nationaltrainer ließ David Alaba in drei voneinander abweichenden Abwehrvarianten auf verschiedenen Positionen spielen und gab dem Neo-Real-Madrid-Star auch den nötigen Freiraum für dessen Lust zum Offensivspiel. Im ersten Match gegen Nordmazedonien hatte Foda Geduld eingemahnt, der Plan ging trotz des nicht kalkulierbaren Missgeschicks beim Gegentreffer auf, nicht zuletzt dank Alaba und dessen Torvorbereitung zum 2:1. In der Partie gegen die Niederlande ließ sich das Team vom Elfertor und wohl auch der punktuell zum Vorschein kommenden Klasse der Niederländer zu sehr aus dem Konzept bringen.

Gegen die Ukraine jedoch bewies die Mannschaft Courage und demonstrierte einen bis dahin noch nicht gesehenen Angriffsgeist und einen unbändigen Siegeswillen. Es war vor allem in der ersten Hälfte ein Offensivspektakel, das die Österreicher auf dem Rasen hinlegten. Die Hereinnahme von Florian Grillitsch, der erstmals von Beginn an spielen durfte und zum "Man of the Match" gekürt wurde, erwies sich als Goldgriff. Der Hoffenheim-Legionär war hauptverantwortlich dafür, dass Österreich die vollständige Kontrolle im Mittelfeld übernahm. Die Bälle des Gegners wurden frühzeitig abgefangen, die Ukraine konnte ihr Spiel in keiner Phase aufziehen. Die Bewegungsabläufe der Österreicher sorgten für ständige Unruhe beim Kontrahenten. Das Spiel des ÖFB-Teams hatte auch tempomäßig gewaltig Fahr aufgenommen.

Reizthema Arnautovic

In der zweiten Hälfte war die Sorge um den Verlust der so intensiv erspielten Führung zu spüren. Der Vorwärtsdrang hatte nicht mehr das zuvor gezeigte Ausmaß, doch die Konzentration blieb auf höchstem Niveau. Dass der Auftritt der Österreicher nach der Pause von einem Hauch von Nervosität begleitet war, hatte den Ursprung in der mangelnden Chancenauswertung vor dem Seitenwechsel. Marko Arnautovic hatte zweimal das 2:0 auf dem Fuß, konnte die in ihn gesetzten Erwartungen aber nicht erfüllen. Das sah wohl auch Franco Foda so, der auf die Frage nach dem zum Heilsbringer erkorenen Spieler äußerst gereizt reagierte. Wie könne man nur nach der Einschätzung der Leistung von Arnautovic fragen? "Freuen wir uns doch einfach", meinte Foda. Ein deutlicheres Zeichen, dass der Teamchef mit dessen Auftritt nicht einverstanden war, konnte der Deutsche gar nicht mehr setzen.

Aber Arnautovic hat trotz der überschaubaren Darbietung ukrainische Kräfte gebunden. Der unglaubliche Aktionsradius seiner Kollegen wie zum Beispiel der unermüdlichen Xaver Schlager und Konrad Laimer (bis zu dessen Auswechslung) führte letztlich mit dem Aufstieg zur Belohnung. Gegen Italien wird Österreich allerdings zwei ganze erste Spielhälften von der Ukraine-Partie benötigen, um das Viertelfinale zu erreichen. Foda hat den ohne Punkteverlust aufgestiegenen Gegner bereits studiert und er wird wohl auch diesmal viele überraschen. Die dafür nötige Zuversicht hat der Teamchef schon gleich nach dem Sieg über die Ukraine ins Spiel gebracht.

Auf dem Weg zur Turniermannschaft?

Dass die Mannschaft daran glaubt, auch gegen die bisher überragenden Azzurri bestehen zu können, zeugt von einem duchaus gesunden Selbstbewusstsein, das mit der Leistung gegen die Ukraine ein stärkeres Fundament erhalten hat. Die signifikante Steigerung ist auch ein Hinweis darauf, dass sich Österreich im Laufe der Veranstaltung noch zu einer wahrhaftigen Turniermannschaft entwickeln kann.