Aleksander Ceferin steht unter Stress, allerdings auf einigermaßen hohem Niveau. Der UEFA-Präsident ist in den nächsten Tagen und Wochen berufsbedingt vom Reisefieber gepackt. Wegen der Pflichttermine bei der am Freitag startenden Fußball-Europameisterschaft sah sich der Slowene sogar gezwungen, seinen zweiten Corona-Impftermin zu verschieben. Es gibt ja keine Gewähr, dass die Injektion folgenlos bleibt.

Welche Nebenwirkungen bei der EM-Endrunde auftreten werden, wird sich erst herausstellen, aber vielen Kassandrarufen zum Trotz wird also nun doch tatsächlich noch gelebte Wirklichkeit, was 2012 dem laut vorgebrachten Gedanken eines inzwischen Geächteten entsprungen war. Als die Fußball-EM 2012 in Polen und in der Ukraine in den letzten Zügen lag, erblickte durch einen gewissen Michel Platini die Idee eines multinationalen Turniers das Licht Europas.

Die Eingebung seines Vorgängers lässt dem aktuellen UEFA-Präsidenten keine Ruhe mehr. Am Freitag geht es zur Eröffnung nach Rom, am Samstag folgt St. Petersburg, Sonntag steht London auf dem Plan, am Montag wird es in Sevilla extrem heiß, und über München gelangt Ceferin schließlich am Mittwoch nach Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans, das eigentlich schon Asien zuzurechnen ist. Somit legt der höchste europäische Fußballfunktionär in nur sechs Tagen insgesamt 11.775 Kilometer zurück. Damit ist im Rennen um den ökologischen Fußabdruck kein Preis mehr zu gewinnen.

Keine Wiederholung

Aber so etwas lässt sich bei dieser multinationalen Veranstaltung gar nicht verhindern bzw. nicht auf anderem Wege lösen. Und Ceferin verhehlt auch nicht, dass es eine Europameisterschaft in dieser Form nicht mehr geben werde, zumindest nicht in seiner Amtszeit. "Ich würde eine solche Veranstaltung nicht befürworten", erklärte der Slowene gegenüber der Kleinen Zeitung. Gegen den Grundsatzgedanken, verschiedene Kulturen zusammenzubringen, gebe es nichts einzuwenden. "Aber in organisatorischer Hinsicht hat so ein Turnier viele Schwachpunkte. Und für die Fans ist es wirklich sehr kompliziert, zu den Spielen zu kommen." Dies sei jetzt aber nicht mehr zu ändern. "Wir müssen nun das Beste draus machen."

Problemstellungen ergeben sich durch die Mehrfachbelastung jenseits des Fußballs ohnehin zur Genüge. Denn zum paneuropäischen Turnier gesellte sich die Pandemie, und es gab im vergangenen Jahr kein adäquates Antivirenprogramm, das die planmäßige Durchführung der Euro 2020 bewerkstelligen hätte können. Mit einem Jahr Verspätung soll die Großveranstaltung nun durchgezogen werden.

Dem Fußball wird auf diese Weise eine Schlüsselrolle auf dem langen Weg zurück in die Normalität zugespielt. Die Bedeutung der gesellschaftlichen Rolle dieses Sports ist in der Tat nicht hoch genug einzuschätzen. Der Fußball kann sich einmal mehr als Ventil bewähren, um von den problembeladenen Zuständen abzulenken.

"Licht am Ende des Tunnels"

Covid-19 ist noch nicht überstanden, aber die Euro soll zeigen, wie das Leben wieder annähernd so funktionieren kann wie einst. Der Corona-Berater der UEFA, Daniel Koch, erklärte erst kürzlich, dass der Mensch ein Anrecht darauf habe, sich wohlzufühlen. "Es ist aus meiner Sicht extrem wichtig, dass man sich nicht nur auf das Verbieten konzentriert. Für mich ist das sehr relevant für das Wohlbefinden der europäischen Bevölkerung", meinte der Schweizer im Deutschlandfunk.

Dem schließt sich Ceferin vollinhaltlich an. "Es sieht mittlerweile sehr gut aus, die Menschen sehen Licht am Ende des Tunnels. Wir sind sehr optimistisch", meint der seit 2016 an der Spitze der Europäischen Fußball-Union stehende Jurist, der sich gewissermaßen in dieser Rolle  auch als Anwalt des Volkes versteht. "Wir bringen positive Energie. das ist ganz entscheidend, die Pandemie dauert ohnehin schon viel zu lange", meint Ceferin. 

Die UEFA habe gezeigt, dass sie in der Lage sei, die Hürden zu überwinden. "In der Mehrheit der Länder läuft alles bestens." Allerdings gebe es lokale Problemfelder. "Wir müssen uns den Gegebenheiten täglich anpassen." Dazu gehört etwa der aktuelle Fall der Spanier, die mit Sergio Busquets und Diego Llorente bereits zwei positive Corona-Fälle aus ihren Reihen vermelden müssen. Spieler werden nachnominiert, dazu wurde mittlerweile eine sogenannte "Reserve-Blase" eingerichtet, die aus Sicherheitsgründen unabhängig vom eigentlichen Team agiert. Auch die Schweden vermelden zwei positive Fälle (Dejan Kulusevski, Mattias Svanberg).

Apropos Blase: Dass sich die Fußballer weitestgehend von der Umwelt abgeschottet, auf die EM bzw. die Spiele vorbereiten, ist im Grunde keine den Pandemie-Umständen zuzuschreibende Maßnahme. Schon bei den vergangenen Turnieren war der unmittelbare Kontakt zwischen dem Volk und den Profis enden wollend.

"Wir werden eine großartige Stimmung erleben"

Die Maßnahmen seien grundsätzlich extrem streng, vor allem auch gegenüber den eigenen Funktionären. "Alles müssen sich testen lassen, auch wenn sie schon geimpft sind." Ceferin verweist auf die ordnungsgemäße Abwicklung einer Fußball-Saison. "Es gab 1300 internationale Spiele und 98 Prozent davon gingen problemlos über die Bühne. Ich blicke zuversichtlich nach vorne." 

Auch die Bedenken, dass unter den gegebenen Umständen und der enormen geografischen Streuung keine typische EM-Stimmung aufkommen werde, teilt Ceferin nicht. "Ich denke, dass wir eine großartige Fußball-Atmosphäre erleben werden. Wir haben zwar in der Mehrheit der Spielorte keine vollen Stadien, aber es wird Zuschauer geben. Wir haben die Fans vermisst, die Fans haben den Fußball vermisst." Das Champions-League-Finale sei ein ideales Beispiel für die Aufwärtsentwicklung gewesen. "Wir hatten 14.000 Zuschauer und es war wirklich extrem emotional."