Schritte sind es, die Nina Ortlieb nach ihrer schweren Verletzung im Dezember des Vorjahres macht, keine Sprünge. Und diese Schritte schmerzen auch hier und da noch, wie die Vorarlbergerin nach ihrem Bruch des Schien- und Wadenbeins erklärt. „Der Alltag gestaltet sich schmerzfrei, ich kann das meiste machen. Aber wenn ich etwa Treppen abwärts gehe, tut das noch nicht wirklich gut, da ist das Bewegungsbild noch nicht rund.“ Das ÖSV-Ass arbeitet derzeit am leichten Sprungaufbau und will das Training „möglichst bald“ steigern, um „die volle Athletik herzustellen“.

Bis dahin bleiben es aber nach wie vor kleine Schritte, „und ich weiß, dass noch einige vor mir stehen.“ Zumindest kann Ortlieb den Heilungsprozess schon etwas genauer prognostizieren. In einigen Wochen soll es auf den Ski-Simulator gehen, im Spätsommer will sie dann auf Schnee stehen. „Aber das ist alles schwierig zu vorhersagen, vor allem, weil Geduld nicht meine Stärke ist“, gesteht die WM-Silbermedaillengewinnerin in der Abfahrt 2023. Kurioserweise hilft ihr dabei aber ausgerechnet der Schmerz, um richtig und nachhaltig voranzukommen. „Er lässt dich gar nicht in die nächste Phase des Heilungsprozesses, anders als etwa bei Bänderverletzungen, wo man es nicht so spürt. Das Feedback des Knochens hilft mir, das Ganze schrittweise aufzunehmen, auch wenn ich natürlich immer wieder gerne Schritte überspringen würde.“

Für Ortlieb ist es nicht die erste Verletzung, mit der sie zu kämpfen hat. Mehr als 20 Operationen liegen hinter der 28-Jährigen. Eingriffe, die nicht nur körperlich Narben hinterlassen haben. „Zum Teil fragt man sich schon: Warum trifft es immer wieder mich? Was habe ich falsch gemacht? Warum ich?“, gesteht Ortlieb, die mit der Zeit aber auch einen anderen Zugang gefunden hat. „Man kann sich aber auch fragen, warum habe ich Glück gehabt, überhaupt in dieser Lage zu sein, diesen Sport zu machen und an der Weltspitze mit zu fahren. Andere haben diese Fähigkeiten nicht. Deshalb hat jeder seine eigenen Hürden, die er überwinden muss und jeder muss für sich seinen eigenen Weg finden.“ Starke Worte einer starken Persönlichkeit, die sich vor ihrem schweren Sturz in St. Moritz 2023 auch mehrere Kreuzbandrisse zugezogen hatte.

Spezielle Abfahrtskugel

Aufgeben war für sie nie eine Option, auch aufgrund ihrer Rolle innerhalb des österreichischen Speed-Teams der Frauen. Trotz Verletzung pflegte sie engen Kontakt zum Team, verfolgte die aus rot-weiß-roter Sicht erfolgreiche Saison vor dem Fernseher und in Saalbach-Hinterglemm sogar im Zielstadion. „Über die Jahre sind viele meiner Teamkolleginnen zu Freundinnen geworden und gerade in solchen Phasen sieht man dann, wer eine Freundin, und wer nur eine Teamkollegin ist.“ Die Abfahrtskugel von Conny Hütter sei „sehr speziell“ gewesen für das gesamte Team. „Solche Erfolge sind auch eine richtige Motivation für mich. Generell freue ich mich schon auf meine Rückkehr, da ich mich in diesem Umfeld wirklich wohlfühle.“

Bis dahin steht noch viel Konditionstraining und Therapie auf dem Programm. Zwischendurch bleibt für den leidenschaftlichen Sport-Fan Zeit, um den Fernseher einzuschalten. „Ich verfolge Tennis und die Formel 1 ganz genau“, verrät Ortlieb. Während sie in der Motorsport-Königsklasse Fernando Alonso die Daumen drückt, ist mit Roger Federer ihr großer Tennis-Held bereits zurückgetreten. „Jetzt fiebere ich eben Grigor Dimitrov und Jannick Sinner mit: „Sinner ist ja ehemaliger Skifahrer und Head-Spieler.“ Wie viel Zeit in den nächsten Monaten für die Lieblingssportarten bleibt, ist offen, arbeitet Ortlieb doch enorm hart an ihrem Comeback – mit einem großen Ziel. „Bis zur Heim-WM in Saalbach sind es noch acht Monate. Ich will dort nicht nur dabei sein, sondern eine Medaille gewinnen!“