Als Swetlana auf Youtube ein Anastasia-Video findet, ist die Entscheidung schnell getroffen: Sie will auch so leben, wie die Menschen, die sie lachend und zufrieden durch das Video hüpfen sieht. Wir haben das Jahr 2017, Swetlana ist überarbeitet, mutet sich nach ihrem Studium zu viel zu und schrammt am Rande eines Burn-outs. Aber die Inhalte, die ihr diese Videos zeigen, nämlich völlig harmonisch im Einklang mit der Natur zu leben, das verspricht Rettung. Sie bucht also ein Yoga-Retreat in Russland und ist begeistert von all den lieben Menschen, die "mich so wertgeschätzt und umsorgt haben, als wären wir schon lange beste Freunde".
Heute ist Swetlana, deren Eltern in den 1990er-Jahren aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind, auf der anderen Seite. Sie vergleicht die Sekte, die auch im aktuellen steirischen Extremismusbericht vom Dezember 2022 auftaucht, mit einer "toxischen Beziehung. Erst wirst du mit Aufmerksamkeit überschüttet, also wie love bombing und dann, wenn du etwas hinterfragen willst, spricht man dir gleich ganz deine Realitätssicht ab, das wäre dann gaslighting".

Hier gibt es den Podcast mit Swetlana zur Anastasia-Bewegung

Die Anastasia-Bewegung gibt es seit 2012 in Österreich und fußt auf einer Fantasy-Roman-Reihe des russischen Autors Wladimir Megre. Anastasia ist – salopp formuliert – eine Waldfee, die in der Taiga lebt, nur Blätter und Gräser ist und hellseherische Fähigkeiten hat. In zehn Bänden erzählt Megre von Begegnungen mit dieser weißen, blonden Frau und diese Beschreibung ist ein Grund, weswegen die Anhänger aus Kärnten, Tirol und Oberösterreich unter Beobachtung des "Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung" stehen.

Hören Sie hier den Podcast mit Anastasia-Anhänger Bruno Weihsbrodt

Der "Dokumentationsfonds von religiös motiviertem Extremismus" hat der "Bewegung" jetzt sogar einen kompletten Bericht gewidmet. Der Vorwurf: Die Anhänger seien antisemitisch, antifeministisch und antidemokratisch. In der Coronapandemie habe "Anastasia" einen Boom erfahren, dokumentieren die Extremismusstellen, wobei eine genaue Zahl trotzdem schwer zu beziffern sei, weil sich die Anhänger lose und nicht als gemeinsame Gruppe organisieren, es sollen ein paar Hundert sein. Was Österreich aber anziehend für "Anastasia-Anhänger" im gesamten deutschsprachigen Raum macht, ist die Möglichkeit, Kinder zu Hause zu unterrichten und sie damit früh vom staatlichen System fernzuhalten.

Wie genau ist Anastasia antisemitisch?

Was aber genau ist denn so antisemitisch bei Menschen, die einfach gut zur Natur sein möchten? "Es ging oft um Rassentheorie, also dass jüdische Menschen die arische Rasse unterwandern würden. Und dann gab es natürlich auch die Erzählung, die Elite und die Pharma-Lobby würde alles steuern und auch eine Translobby wurde erfunden, die uns die Weiblichkeit und Männlichkeit nehmen wolle." Swetlana will zuerst einmal widersprechen, doch die Gruppen reagieren immer nach dem Motto "Also, wir wollen hier einfach gut beim Yoga entspannen und wenn du jetzt so aggro daherkommst, ist das bitte dein Problem. Wir sind sowieso nicht politisch", erinnert sich die 31-Jährige. Doch die Mischung aus Frauenfeindlichkeit und Antisemitismus lässt Swetlana, die selbst einen jüdischen Hintergrund hat, genauer hinhören. "Ich hab dann gesagt: Ja, und was ist mit mir, zerstöre ich auch die arische Rasse oder wie?"
Trotzdem dauert es viele Monate, ehe sich Swetlana distanziert. Und während sich viele durch Corona in die Anastasia-Bewegung geflüchtet haben, tritt bei ihr 2020 der gegenteilige Effekt ein. "Was in diesem WhatsApp-Gruppen los war und wie viele Fake News verbreitet wurden, das hat mich abgeschreckt. Und ich dachte mir: Wie kann es sein, dass linke Hippies mit Neonazis gemeinsam demonstrieren?"
Rückblickend meint Swetlana: "Ich habe mich oft gefragt, wie ich in etwas hineingeraten konnte, das eigentlich gar nicht meinen politischen Überzeugungen entsprochen hat. Ich war einfach selbst orientierungslos und wollte offenbar ganz fest, dass es so eine heile Welt wirklich gibt.2