Beide trafen einander in Brüssel zu einem Abendessen. Nur Stunden vorher hatte Johnson in London den Ton verschärft und beklagt, die EU bestehe auf Standpunkten, die "kein Premierminister dieses Landes akzeptieren sollte". Ein guter Deal sei aber trotzdem noch möglich. Bei Johnsons Ankunft in der EU-Kommission trat von der Leyen mit ihm für Fotos vor die Kameras. Beide nahmen kurz die Masken ab, bevor sie nach wenigen Sekunden hinter einer Türe verschwanden. Die EU-Seite dämpfte die Erwartungen an das Gespräch.

Einziges Tischthema: der Brexit. Es ist kaum noch Zeit, einen Deal über die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU zustande zu bringen, und dennoch sind drei gravierende Bereiche (Streitschlichtung, fairer Wettbewerb und Fischerei) noch ungelöst. Johnson selbst provozierte noch Stunden vor dem Treffen – bei dem es passenderweise Fisch gab –, indem er beklagte, die EU bestehe auf Standpunkten, die „kein Premierminister dieses Landes akzeptieren sollte“.

Dass von der Leyen nun Johnson Fisch servieren ließ, sahen manche Kommentatoren als gezielte Geste, andere als Zeichen, dass die Brüsseler Behörde doch einen Sinn für Humor hat.

Das Menü ist durchaus pikant: Ausgerechnet um Jakobsmuscheln tobte noch vor knapp zwei Jahren ein heftiger Streit zwischen französischen und britischen Fischern im Ärmelkanal. Grund für den Konflikt waren Schonzeiten, die zwar für die Franzosen galten, nicht aber für die Briten. Französische Boote attackierten daraufhin die britische Konkurrenz auf dem Wasser. Die wehrten sich vehement. Etwa 35 französische und 5 britische Schiffe waren an dem Zwischenfall im Ärmelkanal beteiligt. Es flogen Steine, Farbdosen und Leuchtraketen; Boote wurden gerammt. Britische Medien sprachen von einem "Jakobsmuschel-Krieg".

Kurz nach 23 Uhr verließ Boris Johnson das Kommissionsgebäude, wenig später hieß es, der Abend habe keine neue Annäherung gebracht und die Gespräche seien „hitzig“ verlaufen. Längstens bis kommenden Sonntag soll noch weiterverhandelt werden, dann ist wohl endgültig Schluss. Der Brexit steht an sich nicht auf der Agenda des heutigen EU-Gipfels, von der Leyen wird die Staats- und Regierungschefs aber auf den letzten Stand bringen – und vom Abendessen mit Boris berichten.

Die strittigen Punkte

Die strittigen Punkte sind seit Monaten dieselben: die EU-Forderung nach fairen Wettbewerbsbedingungen, die Fischerei in britischen Gewässern und die Ahndung möglicher Verstöße gegen das Abkommen. "Der Premierminister wird heute Abend klarmachen, dass er nichts akzeptieren kann, was unsere Fähigkeit beeinträchtigt, über unsere Gesetze oder unsere Gewässer zu bestimmen", sagte eine Regierungssprecherin in London.

Die EU hoffte jedoch auf Bewegung der britischen Seite. "Im Moment haben wir noch große Meinungsunterschiede" bei diesen Punkten, bekräftigte EU-Unterhändler Michel Barnier bei einer Veranstaltung des Ausschusses der Regionen in Brüssel. "Die nächsten Tage werden sehr wichtig werden." Auf beiden Seiten wurde erwartet, dass Barnier und sein britischer Kollege David Frost noch einmal Verhandlungen aufnehmen müssten.

Großbritannien hatte die EU Ende Jänner verlassen. Ein Vertrag müsste bis zum 31. Dezember stehen, dann läuft die Brexit-Übergangsphase aus. Ohne Vertrag drohen zum Jahreswechsel Zölle, lange Grenzstaus und andere Handelshürden.