Als "sehr bundespräsidentenhaft" beschreibt Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle die Rede Van der Bellens bei der Eröffnung der Bregenzer Festspiele. Politikberater Thomas Hofer sieht das ähnlich. "Stimmig" sei die Ansprache gewesen, da sich die Kritik des Bundespräsidenten nicht gegen einzelne Personen oder Parteien, sondern gleichermaßen an SPÖ, ÖVP und FPÖ gerichtet habe.

Der Bundespräsident hatte bei seiner Eröffnungsrede vor einer populistischen Rhetorik gewarnt, die zwischen einem "wir" und "den anderen" unterscheide. Obwohl er keine Namen nannte, dürften sich wohl mehrere in der Spitzenpolitik angesprochen gefühlt haben: Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) kündigte etwa kürzlich an, Politik für "Normaldenkende" machen zu wollen, SPÖ-Vorsitzender Andreas Babler für "unsere Leit". Und FPÖ-Chef Herbert Kickl bringt sich als künftiger "Volkskanzler" in Stellung. Eine solche Rede sei zum momentanen Zeitpunkt also durchaus angemessen gewesen, befindet Hofer.

Festrede schon letztes Jahr mit klarer politischer Botschaft

Es war auch nicht das erste Mal, dass Van der Bellen die Rede in Bregenz für politische Botschaften genutzt hat. Schon im vergangenen Jahr hatte er angesichts der Energie- und Teuerungskrise Tempo von der Bundesregierung gefordert und die Abhängigkeit von Russland als "unerträglich" bezeichnet.

Dass es heuer erneut Kritik gab, überrascht Hofer daher nicht. Gleichzeitig habe Van der Bellen auch positive Visionen in den Vordergrund gestellt, das "Gemeinsame, das Lösungsorientierte" betont, hebt wiederum Stainer-Hämmerle hervor.

Eine große Wirkung der Rede auf den politischen Diskurs im Land erwarten die beiden Experten allerdings nicht. Angesichts des näher rückenden Wahltermins könnte sich der Tonfall eher noch verschärfen. Die FPÖ werde die Kritik wohl kaum tangieren, die Blauen sehen Van der Bellen generell als Feindbild. "ÖVP und SPÖ werden eher darüber nachdenken", glaubt Stainer-Hämmerle.

Hafenecker: "Grüne etablieren Autokratie"

Eine erste Reaktion kam gleich von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). Er und Van der Bellen "verstehen uns sehr gut". Allerdings sei es wichtig, "dass man Normalität in Österreich benennen darf." Er wolle Politik "für die vielen" machen und die "wenigen" dabei nicht vergessen. "Es ist okay, wenn jemand sich dazu entschließt, vegan zu leben. Aber es muss auch okay sein, wenn andere gerne Schnitzel essen."

Reaktionen rief die Rede auch bei der FPÖ hervor. Van der Bellen warne vor jener Autokratie, die seine Grünen Stück für Stück selbst etablierten, meinte FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker. "Die Spaltung der Bevölkerung und der Gesellschaft wurde von der aktuellen Bundesregierung in der Corona-Zeit längst vollzogen – unter Mitwirkung seiner Grünen im Speziellen, das dürfte dem Herrn Bundespräsidenten entgangen sein."