Mit Sophie Karmasin stand am Dienstag die erste hochrangige Politikerin aus dem Umfeld von Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vor Gericht. Die ehemalige Familienministerin auf ÖVP-Ticket soll sich auf Kosten des Staates bereichert haben. Die WKStA wirf ihr schweren Betrug und Wettbewerbsabsprachen vor. Karmasin drohen bis zu drei Jahre Haft, am Donnerstag wird der Prozess fortgesetzt, Urteile sollen am 9. Mai fallen. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Karmasin plädierte vor Gericht auf Freispruch: "Ich habe niemanden geschädigt oder getäuscht". Seine Mandantin habe keine verbotenen Preisabsprachen getroffen und bei ihrem zu Unrecht fortgezahlten Gehalt tätige Reue gezeigt, sagte ihr Anwalt. Auch der zweitangeklagte Beamte des Sportministeriums sah keinen Rechtsbruch und appellierte auf Freispruch. Sie sei "naiv" gewesen, "rückblickend war das ein Fehler und es tut mir leid", sagte die Ex-Ministerin vor Gericht immer wieder über die Entgeltfortzahlung.

Die WKStA ist sich in ihrer Anklage hingegen sehr sicher: Die Suppe sei so dick, "wenn man den Löffel auslässt, bleibt er aufrecht stehen", sagte WKStA-Oberstaatsanwalt Gregor Adamovic. Karmasin habe "jede sich bietende Gelegenheit zur eigenen Geldmaximierung ausgenutzt. All ihre Taten gingen auf Kosten der Allgemeinheit". Die frühere Ministerin sei weder von der Justiz noch von den Medien ungerecht behandelt worden, befand der Oberstaatsanwalt. Nicht Karmasin sei das Opfer, sondern die Steuerzahler: "Ich wünsche Ihnen, Frau Dr. Karmasin, dass Sie den Mut finden, die Opferrolle aufzugeben und Ihr Fehlverhalten einzugestehen."

Schweigen aufgrund von Traumata

Die frühere Ministerin hörte der Anklage mit stoischem Ausdruck zu, gegenüber der WKStA wollte sie vor dem heutigen Prozessbeginn im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Landesgerichts keine Aussage machen. Laut ihrem Anwalt Norbert Wess, weil er den rechtlichen Standpunkt der Staatsanwaltschaft nicht nachvollziehen konnte. Immerhin habe seine Mandantin gar keine Straftat begangen beziehungsweise tätige Reue bewiesen.

"Aufgrund der Traumata, die ich und meine Familie bei der Verhaftung erhalten haben, möchte ich keine Fragen beantworten", sagte Karmasin als die WKStA begann, sie zu vor Gericht befragen. Zuvor hatte sie rund eine Stunde lang die Fragen des vorsitzenden Richters Patrick Aulebauer beantwortet. Als Aulebauer die Fragen des Oberstaatsanwaltes wiederholte, antwortete Karmasin zunächst doch, berief sich dann aber wieder auf ihr Recht der Aussageverweigerung: "Dazu möchte ich keine Angaben treffen".

Er sei "zutiefst davon überzeugt, dass alles, was Sie hier vorgetragen haben, rechtlich eklatant falsch ist", sagte Wess in Richtung der Staatsanwaltschaft. Vor Gericht äußert sich auch Karmasin erstmals öffentlich zu den Vorwürfen: "Ich habe niemanden geschädigt oder getäuscht", sagt sie, und: "Ich räume im Nachhinein ein, dass manche meiner Handlungen und Äußerungen auch unbedacht und unnötig waren. Dafür haben meine Familie und ich auch schon viel auf sich nehmen müssen".

Karmasin auf dem Weg in den Gerichtssaal
Karmasin auf dem Weg in den Gerichtssaal © (c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)

Oberstaatsanwalt Adamovic erinnerte, dass die Anklage gegen Karmasin nur am Rande mit der Inseraten-Affäre zu tun hat, die die Volkspartei verfolgt: Die Meinungsforscherin Sabine Beinschab hatte ihre Kollegin und frühere Chefin schwer belastet, die Ex-Ministerin saß 26 Tage lang in Haft. Über Beinschab soll auch Karmasin auf Kosten des Finanzministeriums an für Kurz manipulierten Umfragen mitverdient haben. Karmasin will den Plan dahinter aber nicht gekannt haben. Ob das stimmt, werde sich in einem anderen Verfahren klären, deutete WKStA-Oberstaatsanwalt Adamovic in der Inseraten-Affäre eine Anklage an.

Provision für Beinschab-Studien als Ministerin

Als Kronzeugin brachte Beinschab die Ermittler allerdings auf zwei neue Vorwürfe, die zur Anklage gebracht wurden: Nach ihrem Ausscheiden aus der Regierung im Dezember 2017 kassierte Karmasin insgesamt 75.589,95 Euro Gehaltsfortzahlung. Daneben hätte die heute 56-Jährige daneben kein Einkommen haben dürfen. Eine Tatsache, die der Ex-Ministerin durchaus bekannt war, wie ein Mailverkehr mit dem Kanzleramt zeigt.

Dennoch soll Beinschab weiterhin eine 20-prozentige Provision etwa für die Umfragen im Auftrag des Finanzministeriums an die Firma von Karmasins Mann überwiesen haben. "Keinesfalls war ich in die Vergabe involviert", sagte die Ex-Ministerin zu den Beinschab-Studien, sie habe nur den Kontakt zwischen Beinschab und Thomas Schmid hergestellt. Ob sie es in Ordnung fände, als Frauenministerin öffentliche Aufträge des Finanzministeriums einzufädeln, fragte der Richter. "Ich habe nicht gewusst, woher das Geld kommt", antwortete Karmasin.

Richter Patrick Aulebauer fragt genau nach
Richter Patrick Aulebauer fragt genau nach © APA/GEORG HOCHMUTH

Dass Beinschab die Provision an die Firma von Karmasins Mann überwiesen hatte, habe einen einfachen Hintergrund: Weil Beinschab Ende 2017 Druck gemacht hätte, das Geld loszuwerden - und sie als Ministerin keine eigene gehabt habe, so Karmasin: "Eine andere Firma gab es zu dem Zeitpunkt nicht". Über das Nebenverdienstverbot als Ministerin, das sie dadurch gebrochen hatte, habe sie sich nie erkundigt. Da das Gesetz dafür keine Strafe vorsieht, muss sich Karmasin zumindest in diesem Punkt aber keine Sorgen machen.

Doch auch die Entgeltfortzahlung betreffend sei das Gesetz "watschen einfach zu interpretieren", befand Karmasins Verteidiger Wess: Die Beinschab-Provisionen seien rechtlich unproblematisch, da Karmasin diese schon in ihrer Zeit als Ministerin erhalten hatte – und daher bevor ihr Ministergehalt teils fortgezahlt wurde. Für Dezember und Jänner sei die Gehaltsfortzahlung daher jedenfalls in Ordnung gewesen, findet Wess.

Falsche Angaben auf Kosten des Staates

Darüber hinaus begann die ehemalige Ministerin allerdings ab Februar trotz Gehaltsfortzahlung auch zu arbeiten: 31.910 Euro brachten ihr Vorträge, Umfragen und andere Aufträge ein, die sie zwischen Februar und Mai durchgeführt hatte. Allerdings verrechnete sie deren Kosten erst Ende Juni. Denn, wie sie Beinschab per Mail erklärte: "Ich darf nix verdienen". Es sei eine "schwierige berufliche Situation" gewesen, da sie weder in ihr aufgrund ihrer politischen Tätigkeit verkauften Familienunternehmen zurückkehren konnte und ein anderes Job-Angebot gescheitert sei, sagte sie vor Gericht.

Das Kanzleramt habe ihr klar gesagt, dass sie nichts dazuverdienen dürfte, hielt ihr der Richter vor: "Wie kann man das anders verstehen?" Sie sei zwischen Jobs gestanden und nicht gewusst, was sie mit ihrer Zukunft anfangen sollte, antwortet Karmasin: "Ich war naiv" und "es war rückblickend ein Fehler", wiederholt sie immer wieder.

Vorträge - unter anderem bei der ÖVP-Parteiakademie - seien auch "eine Art Werbung gewesen", um neue Jobs zu finden. Sie habe sich bezahlen lassen, um den eigenen Wert zu ermitteln: "Ich bin zu unvorsichtig damit umgegangen". Das sehe sie ein, deshalb habe sie die Gehaltsfortzahlung dem Staat zurückerstattet. Was sie gemeint habe, als sie Beinschab im Juni mitteilte: "Ich kann jetzt abrechnen"? Karmasin: "Ich habe das zu leichtfertig betrachtet". Sie sei zu dem Zeitpunkt erst wieder Geschäftsführerin eines Unternehmens geworden und hätte daher erst zu Sommerbeginn wieder Rechnungen stellen können.

"Staatsanwalt" Martin Thür

Für WKStA-Ankläger Adamovic ist all das ein klarer Fall von Sozialleistungsbetrug: Karmasin habe das "Arbeitslosengeld für Minister" mit vollem Bewusstsein zu Unrecht bezogen - und den eigenen Verdienst gar mit Scheinrechnungen vertuscht. Eine Diversion ist für die Ankläger aber ausgeschlossen: Karmasin hätte das Geld erst aus der U-Haft heraus überwiesen - und vor allem erst nachdem ZIB2-Moderator Martin Thür die Causa bereits öffentlich gemacht hätten, erklärte WKStA-Ankläger Adamovic: "Auch wir Staatsanwälte schauen ZIB2". Die Rückzahlung käme Karmasin aus seiner Sicht als Milderungsgrund, nicht aber als tätige Reue zu Gute.

Karmasin-Verteidiger Wess erinnerte hingegen daran, dass "Staatsanwalt Thür", der "verlängerte Arm der WKStA", in Wahrheit ORF-Mitarbeiter sei. Der Moderator, der selbst im Gerichtssaal sitzt, nahm das mit einem Lächeln zur Kenntnis. Da Karmasin die Gehaltsfortzahlung ab Dezember und nicht erst ab Februar zurückgezahlt habe, hätte sie dem Staat sogar mehr zurücküberwiesen als notwendig gewesen sei, findet ihr Verteidiger. Auch die Freiwilligkeit sei vorgelegen, da tätige Reue selbst noch bei Androhung einer Anzeige vorliegen könne - und ein journalistischer Beitrag doch noch geringer einzuschätzen sei, so Wess.

"Ja, ich habe das Thema mit der Entgeldfortzahlung auf die leichte Schulter genommen", gestand auch Karmasin: Ihr "naives Verständnis" sei gewesen, dass eine berufliche Neuausrichtung die Fortzahlung nicht beeinflusst hätte. "Rückblickend war das ein Fehler und es tut mir leid", sagt Karmasin, betont aber, dass sie das Doppelte des erhaltenen Gesamtbetrages – nämlich den Brutto-Betrag, obwohl ihr natürlich nur netto ausgezahlt wurde – zurückgezahlt habe.

Angeblich abgesprochene Angebote

Nach ihrer Zeit als Ministerin soll Karmasin sich durch illegale Preisabsprachen mit anderen Meinungsforscherinnen – darunter Beinschab – lukrative Aufträge des Sportministeriums erschwindelt haben. Von einem "Scheinvergabeverfahren" sprach WKStA-Ankläger Adamovic. So hätte die Ex-Ministerin ihre Vertraute Beinschab gebeten, andere Angebote an das Ministerium zu legen, da die öffentlichen Aufträge ausgeschrieben werden müssen.

Zusätzlich hätte sich Karmasin einen Informationsvorteil verschafft, so der Oberstaatsanwalt - und zwar sowohl über die internen Wünsche des Ministeriums als auch über die Angebote der abgesprochenen Gegenangebote, die teurer als ihre eigenen werden würden. So schrieb sie Anfang Mai 2018 etwa an Beinschab:

Ende erst mit Hausdurchsuchung

"Sind das jetzt Absprachen, oder sind es ganz klare Absprachen?", fragte Adamovic in den vollen Saal. Der zuständige Abteilungsleiter des Ministeriums ist mitangeklagt, auch ihm drohen drei Jahre Haft - auch wenn er laut WKStA "sicher nicht der große Rädelsführer" gewesen sei: Seine Taten seien "ganz sicher nicht vergleichbar mit der erheblichen kriminellen Energie Karmasins", dennoch müsste man Fehlverhalten von Beamten unterbinden. So hätte der Angeklagte etwa für äußerst kurze Fristen zur Angebotsstellung gesorgt und Karmasin exklusive Informationen weitergegeben. Auch der Zweitangeklagte bekennt sich nicht schuldig, sein Anwalt plädiert auf Freispruch: "Auf gut Deutsch ist es mir wurscht, wer den Auftrag kriegt", sagte der suspendierte Beamte.

Die WKStA glaubt das nicht: "Diese Praxis hätte wohl bis heute weiter stattgefunden", sagt WKStA-Ankläger Adamovic. Denn ein drittes Angebot an das Ministerium zog Karmasin erst "aus Kapazitätsgründen" zurück, nachdem die WKStA am Tag zuvor bei ihr eine Hausdurchsuchung durchgeführt hatte und das Sportministerium eine interne Prüfung in Auftrag gegeben hatte. Auch die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) hat aufgrund der mutmaßlichen Preisabsprachen Anträge auf Geldbußen gegen Karmasin und Beinschab gestellt.

Karmasin-Anwalt: Auftrag vor Absprachen

Karmasins Anwalt Norbert sieht hier allerdings überhaupt kein rechtliches Fehlverhalten seiner Mandantin. Vereinfacht gesagt argumenrierte er vor Gericht, dass Karmasin keine wettbewerbsrechtlichen Absprachen getroffen hätte, da die ehemalige Ministerin schon zuvor einen Zuschlag vom Ministerium erhalten hatte - und dieses den Auftrag auch als Direktvergabe an sie vergeben hätte können.

Karmasin hätte das Sportministerium zu keinem Zeitpunkt getäuscht, im Gegenteil: Laut Wess habe Karmasin eine neue Methodik ausgearbeitet und sei davon ausgegangen, dem Sportministerium damit "extrem hilfreich" sein zu können. Daher habe sich die Ex-Ministerin bereits im März 2019 vor der ersten Angebotslegung initiativ an das Sportministerium gewandt, der zuständige Beamte sei "begeistert" gewesen, so Wess. Mitte März hätte sie ihre Idee einer größeren Runde im Ministerium präsentiert, Anfang April hätte sie ein Konzept vorgelegt – inklusive konkretem Preis, der mit dem Ministerium vereinbart worden sei. "Mir wurde gesagt, dass es eine Direktvergabe sein soll", sagte auch Karmasin vor Gericht.

"Naive" Ex-Ministerin

Die Ex-Ministerin habe deshalb immer den Zuschlag bekommen, weil das Ministerium Karmasins Konzepte für den Einladungstext übernommen hätte. Ministeriums-intern seien die "Ausschreibungen" unter Anführungszeichen gesetzt worden, da sie unter 100.000 Euro lagen und damit nicht ausschreibungspflicht waren. Dieselben umfassenden Ausarbeitungen und Vereinbarungen beschreibt Wess auch bei den nächsten Angeboten seiner Mandantin an das Sportministerium.

Karmasin sei dann "so naiv" gewesen, auf eine "rechtlich falsche Bitte" des Sportministeriums einzugehen und zwei vertrauenswürdige Meinungsforscherinnen als weitere Angebotsstellerinnen zu nennen, so Wess. Aus Sicht ihres Anwalts ein Fehler, aber für seine Mandantin "rechtlich völlig wurscht", da der Auftrag ohnehin schon an die Ex-Ministerin vergeben worden sei und das Ministerium daher nicht getäuscht worden sei. Die anderen beiden Meinungsforscherinnen hätten gewusst, dass es reine "Dokumentationsangebote" gehandelt habe.

"Ich habe auf keinen Fall angeregt, meine Kontakte zu verwenden. Dieser Wunsch kam ausdrücklich vom Auftraggeber", sagte Karmasin. Sie sei darüber überrascht gewesen, es sei aber klar gewesen, dass es sich um eine rein formale Bitte "rein für die internen Akten" des Ministeriums gehalten habe. Nach heutiger Sicht sei das "unnötig" gewesen, befand Karmasin, doch: "Ich habe mich hier einspannen lassen". Heute sei ihr klar: "Ich hätte dieser Bitte, diesem Gefallen, um den mich der Auftraggeber bat, nicht nachkommen sollen". Aus Sicht ihres Verteidigers hätten die anderen Meinungsforscherin ohnehin das Urheberrecht verletzt, wenn sie Karmasins neue Methodik verwendet hätten: "Unbefugte Verwertung wäre sogar mit rechtlicher Strafe verbunden gewesen". 

Die WKStA hätte andere Rechtsbereiche wie Kartell-, Vergabe- oder Urheberrecht ignoriert und sei daher beim Strafrecht gelandet, so Karmasins Verteidiger. Doch liege gar keine wettbewerbsschädliche Absprache gekommen, denn das Ministerium habe Karmasin den Auftrag gegeben und: "Wo kein Wettbewerb eröffnet wird, kann auch kein Wettbewerb geschehen". Zum selben Schluss sei auch das Sportministerium - heute unter der Führung von Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) - im Zuge einer internen Prüfung gekommen. Das Geschehene sei "unschön", doch man dürfte nicht alles Unschöne mit der Strafjustiz-Keule verfolgen, findet Karmasins Verteidiger: Es könne nicht sein, dass etwas vergabe-, wettbewerbs- und urheberrechtlich zulässig, aber strafrechtlich verboten sei, so Wess.

Richter auf Drogendelikte spezialisiert

Die Verhandlung der Ex-Ministerin führt ein Richter, der auf Suchtgift-Delikte spezialisiert ist. Den Karmasin-Akt bekam er nur zugeteilt, weil die Wirtschaftsabteilung im Wiener Straflandesgericht derart überlastet war, dass andere Richterinnen und Richter in einem Ausmaß Wirtschaftsdelikte übernehmen mussten. Diese Regelung ist mittlerweile wieder außer Kraft, die Wirtschaftsabteilung ist hinreichend entlastet worden und kann sich wieder vollumfänglich um ihre Sonderzuständigkeit kümmern.

Am Donnerstag soll der Prozess fortgesetzt werden, am 9. Mai werden Urteile erwartet.