Am Dienstag stand in Salzburg ein 40-jähriger Lungauer wegen Verharmlosung der Judenverfolgung vor Gericht. Über soziale Medien hat er Videos verbreitet, in denen er einen handgroßen, gelben Stern in die Kamera hält, auf dem "Ungeimpft" stand. Und er hat – laut Anklage der Staatsanwaltschaft – den Holocaust in öffentlichen Aussagen verharmlost: "Hitler habe nie jemanden getötet, das Gas in Konzentrationslagern sei nur zur Desinfektion gewesen. Die Nationalsozialisten seien Leute, die nur ihren Job gemacht hätten, und jemand habe damals nicht sauber gearbeitet – sonst hätten wir keine Pandemie."
Video: Was sagen Schüler zum Holocaust-Gedenktag?
Fälle wie dieser beschäftigen Gerichte regelmäßig. Im Jahr 2021 kam es zu 226 Verurteilungen wegen Wiederbetätigung. Auch 78 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau, der am heutigen Holocaust-Gedenktag gedacht wird, ist Antisemitismus in Österreich immer noch verbreitet. Die Österreichischen Akademie der Wissenschaft wird dem Thema deshalb künftig einen Schwerpunkt widmen. "Wir werden uns intensiv mit Gegenwartsantisemitismus beschäftigen, weil wir hier Forschungslücken sehen", sagt Heinz Faßmann, der Präsident der ÖWA: "Die Frage des Ausmaßes und der Herkunft von Antisemitismus ist stark politisiert. Wir wollen dazu handfeste wissenschaftliche Daten auf den Tisch legen."
Derzeit beschäftigt man sich an mehreren Stellen in Österreich mit Antisemitismus. Das Parlament hat im Jahr 2018 erstmals eine große Erhebung über die Einstellung in der Bevölkerung zum Antisemitismus durchführen lassen. Eine Folgestudie wurde im Jahr 2020 ausgewertet, die nächste Studie erscheint im April. Die Daten daraus stehen auch der ÖAW zur Verfügung, die sie noch tiefergehend analysieren wird: "Etwa ein Drittel der Menschen, die in Österreich leben, hat so etwas wie einen latenten Antisemitismus, der sich nicht in Handlungen artikuliert. Etwa zehn Prozent haben einen manifesten Antisemitismus, mit tiefgreifenden Vorurteilen", fasst Faßmann den Wissensstand zusammen.
Unter Beobachtung des Verfassungsschutzes
Auch die Direktion für Staatssicherheit und Nachrichtendienst widmet in ihrem jüngsten Verfassungsschutzbericht dem Antisemitismus in Zeiten der Pandemie ein eigenes Kapitel: "Das Mobilisierungspotenzial antisemitischer Agitationen in Österreich ist gegeben", heißt es darin. Im Zentrum der Agitation stehen jede Art von Holocaust-Leugnung und -Relativierung (etwa durch den Vergleich von Coronamaßnahmen und der Judenverfolgung) sowie der antiisraelische Antisemitismus. "Der hat eine Verstärkung durch die Zuwanderung aus arabischem Raum erfahren", sagt Faßmann. Ein Fellowship-Programm soll daher ermöglichen, dass sich Forscherinnen und Forscher an der ÖAW auch intensiv mit importiertem Antisemitismus befassen.
Rückschlüsse auf die Verbreitung von Antisemitismus lassen sich auch aus den Daten der Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinschaft ziehen, die Vorfälle dokumentiert. Allein im ersten Halbjahr 2022 wurden 381 Fälle gemeldet – zwar weniger, als im Rekordjahr davor, aber: "Bei näherer Betrachtung zeigen sich aber besondere Probleme, denn die Zahl der Bedrohungen und physischen Übergriffe ist weiter auf dem hohen Vorjahresniveau", sagt IKG-Präsident Oskar Deutsch: "Wir sehen aber heute, dass die Mitte der Gesellschaft die Gefahr des Antisemitismus ernst nimmt und wichtige Impulse zur Trendumkehr setzt."
So hat die Regierung etwa vor zwei Jahren eine Nationale Strategie gegen Antisemitismus verabschiedet. "Ich bin stolz, dass Österreich mit der Nationalen Strategie gegen Antisemitismus Vorreiter und wichtiger Impulsgeber bei der Förderung jüdischen Lebens und im Kampf gegen Antisemitismus in Europa ist", sagt Verfassungsministerin Edtstadler. Der nächste Umsetzungsbericht wird kommende Woche veröffentlicht.
Der Salzburger Angeklagte wurde am Dienstag von den Geschworenen übrigens freigesprochen. Die Geschworenen sahen in seinen Aussagen kein strafbares Verhalten. Die Regierung hat im Spätherbst beschlossen, das Verbotsgesetz zu verschärfen, um Strafbarkeitslücken zu füllen.
Veronika Dolna