Anmerkung: Bei diesem Artikel handelt es sich um die überarbeitete Version eines Artikels, der Anfang 2022 bei Futter, dem jungen Magazin der Kleinen Zeitung, erschienen ist.

Immer wieder hört man, dass viele Jugendliche heute nicht mehr wissen, was in Auschwitz-Birkenau passiert ist. Es gibt aber auch Studien, die sagen: Die jungen Leute haben ein überraschend großes Interesse an der NS-Zeit. Die Generation der 16- bis 25-Jährigen interessiere sich sogar deutlich mehr für die NS-Vergangenheit als die Generation ihrer Eltern (75 versus 66 Prozent) und verbinde die Auseinandersetzung mit akuten gesellschaftlichen Problemen wie Rassismus und Diskriminierung. Das sind Ergebnisse einer Studie, die von den "Arolsen Archives" – das weltweit umfassendste Archiv zu den Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus – in Auftrag gegeben und 2022 veröffentlicht wurde.

"Im Schulunterricht braucht es persönliche Geschichten, nicht nur Daten und Fakten", sagt Danielle Spera. Die Journalistin – vielen ist sie noch bekannt als Gesicht der "Zeit im Bild" – und ehemalige Direktorin des Jüdischen Museums in Wien ist selbst Jüdin und erzählt im Interview, wie sie den Holocaust ihren eigenen Kindern nähergebracht hat.

Haben Sie selbst aufgrund Ihrer Religion in der Vergangenheit Diskriminierung erfahren müssen?

Ich bin immer sehr offen damit umgegangen. Natürlich gab es hie und da Erlebnisse in meiner Studentenzeit. Ich habe das Gefühl, dass es früher salonfähiger war, Antisemitismus zu äußern als es heute ist. Früher hat man nicht darüber gesprochen, aber heute entsteht sofort eine Diskussion darüber. Das ist schon ein Quantensprung, dass man das heute nicht mehr einfach so wegwischen kann, dass es heute ein "No-Go" ist.

Auch wenn es passiert – es passiert leider – wird es nicht mehr toleriert. Ich glaube, dass das auch damit zu tun hat, dass so lange ein Schweigen da war – besonders in Österreich. Ich habe ja einige Jahre beim ORF gearbeitet und immer meine Kette getragen (Anmerkung der Redaktion: Kette mit Davidstern): Das war aber nie ein Thema. Diskriminierung in dem Sinne habe ich glücklicherweise nicht erfahren müssen.

Auch wenn Ihre eigenen Kinder mittlerweile erwachsen sind: Wie wurde oder wird der Holocaust bei Ihnen zu Hause thematisiert?

Dadurch, dass wir in unserer Familie Opfer haben, dadurch, dass auf beiden Seiten – also sowohl bei meinem Mann als auch bei mir – Menschen in Konzentrationslagern ermordet wurden und bei Erschießungskommandos ums Leben gekommen sind, war das ein Thema. Ich war mit allen drei Kindern in Auschwitz und wir haben in den Gruppen, in denen wir unterwegs waren, die Namen der ermordeten Familienmitglieder verlesen. Darunter waren auch viele Kinder: In der Familie meines Mannes – seine Onkel und Tanten, die schon Familien hatten – wo beide Ehepartner und die kleinen Kinder von zwei Jahren an ermordet wurden. Das ist etwas, was in unserer Familie selbstverständlich Thema war.

Haben Ihre Kinder auch mit den Großeltern darüber gesprochen?

Meine Kinder haben ihre Großeltern väterlicherseits nicht erlebt, sie sind beide relativ jung gestorben. Sie konnten ihre Geschichte also nicht erzählen. Aber sie haben meinen Vater glücklicherweise noch erlebt, der ihnen von seinen Erlebnissen erzählt hat. Mein Vater hat eigentlich geschwiegen bis zu dem Zeitpunkt, als meine Kinder ihn für ein Schulprojekt interviewt haben. Erst da habe ich dann Einzelheiten aus seiner Kindheit erfahren. Das war für mich unglaublich berührend und etwas, womit ich sehr, sehr lange in meinem Kopf mit umgehen musste – eben, weil er so lange darüber geschwiegen hat und das für ihn sehr bittere Erfahrungen waren.

Seit 2022 ist Danielle Spera Vorstandsmitglied der Leopold Museum-Privatstiftung und Executive Director "Kunst.Medien.Judentum"
Seit 2022 ist Danielle Spera Vorstandsmitglied der Leopold Museum-Privatstiftung und Executive Director "Kunst.Medien.Judentum" © Heribert Corn

Es hat also einfach die Zeit gebraucht, bis die nächste Generation es ansprechen durfte?

Genau. Wir müssen uns auch damit beschäftigen, dass es bald keine Zeitzeugen mehr geben wird. Wie gehen wir nachfolgenden Generationen damit um? In der zweiten Generation haben wir noch mit diesem Schweigen umgehen müssen, das die Familien durchzogen hat. In der dritten Generation, also bei den Enkeln, war es schon ein bisschen das "Komm, sprechen wir doch darüber – ihr seid die Letzten, die das erlebt haben". Das ist einfach wichtig: Wie hat die Enkelgeneration das reflektiert? Was erzählen sie dann weiter? Das ist ein ganz wichtiger Aspekt in der Diskussion, den wir nicht außer Acht lassen dürfen.

Viele junge Menschen wissen heute nicht mehr, was der Holocaust ist. Warum ist es Ihrer Ansicht nach so wichtig, ihn auch – und besonders – heute noch zu thematisieren?

Das Allerwichtigste ist diese abstrakte Zahl der 6 Millionen (Anmerkung der Redaktion: 6 Millionen Jüdinnen und Juden wurden von den Nazis ermordet). Liest man diese Zahl in den Geschichts- oder Schulbüchern, kann sich da niemand hineinversetzen – einfach, weil das so abstrakt ist.

Wie könnte man es besser machen?

Ich glaube, das Wichtige ist das Herunterbrechen auf eine Geschichte. Diese Geschichte von Anne Frank zum Beispiel: Ihre Perspektive kann jedes Kind, jeder Jugendliche, jeder Erwachsene in irgendeiner Form nachvollziehen. Das ist das Wesentliche: Dass wir es an persönlichen Geschichten festmachen können, die wir weiter erzählen. Damit diese Geschichten einfach nicht verloren gehen.