Frau Professor, was wählen wir heute eigentlich genau?

ANNA GAMPER: Wir wählen den österreichischen Bundespräsidenten, der für sechs Jahre im Amt ist. Er darf maximal zwei Amtsperioden direkt hintereinander im Amt sein. Es handelt sich um das Staatsoberhaupt der Republik Österreich mit vielfältigen Funktionen, die alle Staatsgewalten betreffen.

Man sagt oft, der Bundespräsident ist "Ersatzkaiser": Er amtiert in der Hofburg, hat ein kaiserliches Jagdschloss, es gibt zahlreiche Rituale um das Amt. Steckt viel Monarchie in unserem Präsidenten?

Das sehe ich nicht so. All die Dinge, die Sie angesprochen haben, gibt es in Republiken genau wie in Monarchien; in der Regel ist eine Person an der Spitze, mit einem repräsentativen Amtssitz. Die wesentlichere Frage ist die nach der Regierungsform; ein Präsident kann genau wie ein Monarch in eine Demokratie eingebettet sein – aber auch in eine Diktatur. Wenn man von einem Kaiser spricht, ist genauso die Frage: Spricht man von einem neoabsolutistischen Kaiser von Österreich oder dem Kaiser von Japan? In Japan etwa hat der Kaiser kaum eigenständige Funktionen nach der Verfassung, das ist ein nahezu symbolisches Amt. Unser Bundespräsident ist so eingebettet in die demokratische Regierungsform, dass er definitiv kein Ersatzkaiser ist. Es gibt Checks and Balances zwischen den Staatsgewalten, da unterliegt auch der Bundespräsident verschiedensten Kontrollen.

Wie mächtig ist denn unser Präsident tatsächlich?

Auf den ersten Blick hat er viel Macht. Er beurkundet Gesetze, ernennt die Bundesregierung, ist durch den Abschluss von Staatsverträgen auch in Außenangelegenheiten involviert. Nur: In fast all diesen Funktionen ist er an einen Vorschlag gebunden – ohne den er nicht handeln kann, oft braucht er Gegenzeichnung durch ein anderes Organ. Diese Klammer begrenzt seine Machtfülle.

Wie mächtig ist er, verglichen mit anderen Staatschefs?

Unterscheiden wir zwischen parlamentarischen und präsidialen Systemen. In präsidialen Systemen wie den USA oder Frankreich gibt die Verfassung den Präsidenten natürlich weit mehr Macht, als sie der österreichische Präsident hat. Dann gibt es parlamentarische Regierungssysteme wie in der Mehrheit der europäischen Staaten – dort hat das Parlament das Übergewicht. Unser Regierungssystem entspricht einer Mischform. Nach der Verfassung des Jahres 1920 wurde der Bundespräsident noch von der Bundesversammlung gewählt, nicht vom Volk. Er hatte auch noch weniger Befugnisse. Erst 1929 wurde die Volkswahl eingeführt.

Was war denn der Gedanke hinter der Volkswahl?

Das verschiebt die Gewichte im politischen Zusammenspiel: Nationalrat und Bundespräsident sind die einzigen Staatsorgane, die direkt vom Bundesvolk gewählt sind. Ein solcher Bundespräsident kann natürlich viel stärker gegenüber dem Parlament auftreten als einer, dessen Wahl von diesem abhängt. Am anderen Ende des Spektrums steht die Monarchie, in der Staatsoberhäupter in der Regel dynastisch bestimmt werden. Dort kann Demokratie nur verwirklicht werden, wenn der Monarch kaum Macht hat bzw. starken demokratischen Schranken unterliegt.

Im aktuellen Wahlkampf haben viele Kandidaten damit kokettiert, dass sie sofort die Regierung entlassen würden. Geht das denn einfach so?

Das ist die Macht des Bundespräsidenten – er kann von sich aus den Bundeskanzler oder die ganze Bundesregierung entlassen, für einen einzelnen Minister bräuchte er einen Vorschlag des Bundeskanzlers. Aber man muss sich vorstellen, was dann passieren würde. Der Bundespräsident könnte zwar eine neue Bundesregierung ernennen, unterliegt aber selbst der parlamentarischen Kontrolle. Der Nationalrat könnte ein Absetzungsverfahren gegen ihn einleiten – dann entscheidet darüber die Bundesversammlung (Nationalrat und Bundesrat zusammen, Anm.). Wenn es dort eine Mehrheit für die Absetzung gibt, folgt eine Volksabstimmung, ob der Präsident wirklich abgesetzt werden soll.

Jetzt gibt es diese Möglichkeiten, praktisch sind sie noch nie angewendet worden . . .

Ja, aber denken Sie an die Regierungskrise 2019: Das erste Misstrauensvotum im Nationalrat, das eine Bundesregierung zu Fall brachte, die Entlassung eines Ministers durch den Bundespräsidenten – das waren bis dahin alles Dinge, über die wir im Hörsaal den Studierenden erklärt hatten, das sei eigentlich totes Recht. Unsere Verfassung hat in einer sehr weitsichtigen, subtilen Art Vorkehrungen getroffen, die in politischen Krisen sehr gute Bremsen darstellen.

Die "Schönheit und Eleganz", mit der sie der Amtsinhaber beschrieben hat.

Ich würde gar nicht sagen, dass die Verfassung so besonders schön und elegant ist – aber sie ist eine sehr durchdachte, sehr stabilisierende Verfassung.

Wäre die Bundesverfassung auf einen aktiv destabilisierenden Präsidenten vorbereitet?

Auch, ja. Sie bietet Checks and balances, die dem Präsidenten klare Grenzen setzen. Neben dem politischen Absetzungsverfahren, gibt es auch noch ein Verfahren, wenn der Bundespräsident sich etwas rechtlich zuschulden kommen lässt. Dann gibt es ein Anklageverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof – dort könnte die Bundesversammlung ihn anklagen, und der Verfassungsgerichtshof kann ihn theoretisch sogar des Amts entheben.

Was wäre ein solcher Anwendungsfall?

Der Bundespräsident ist beispielsweise verpflichtet, das verfassungsmäßige Zustandekommen von Gesetzen zu beurkunden. Nach der herrschenden Lehre steht es ihm dabei nicht zu, Gesetze einfach so nicht zu beurkunden – er darf nur die Richtigkeit des Verfahrens prüfen. Würde ein Bundespräsident sagen, er unterschreibt das nicht, weil es ihm ideologisch nicht gefällt, könnte man ihm vorwerfen, er verletze die Verfassung – das wäre wiederum ein Grund für eine Anklage vor dem Verfassungsgerichtshof.

Wenn man Ihnen zuhört, bekommt man den Eindruck von einem recht solide konstruierten Amt – würden Sie etwas daran ändern?

Es flammt immer wieder die Diskussion auf, ob man von der Volkswahl zur Wahl durch das Parlament zurückgehen oder seine Funktionen reduzieren sollte. Das ist eine rechtspolitische Frage. Ich sehe es so: Für das, was der Bundespräsident derzeit tun darf, gibt es so viele Schranken, dass die Möglichkeiten für Machtmissbrauch gering sind. Ich glaube, die Verfassung hat das ganz gut im Griff.