Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat auch deutlich gemacht, wie abhängig Europa von Moskau ist. Sollte der Gashahn abgedreht werden, würden nächsten Winter 38 Prozent aller geplanten Gaslieferungen in die EU fehlen. Österreich wäre deutlich stärker betroffen: 80 Prozent des heimischen Gasverbrauchs kommen aus Russland. Gasimporte seien kurzfristig nicht zu ersetzen, betont Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung, denn "Erdgas ist der wichtigste Energieträger der Industrie".

Ein Ausstieg aus russischem Gas wäre daher vor allem ein Umstieg auf andere Quellen – und teuer. Zwischen 60 und 100 Milliarden Euro müsste die EU laut einer Studie des Beratungsunternehmens Aurora Energy Research dafür in die Hand nehmen. Den Analysten zu Folge bräuchte es eine Mischung aus mehr Flüssiggas- und Pipeline-Importen anderer Länder sowie einer stärkeren Erdgasförderung in Europa.

Zusätzlich könnte es nötig werden, den Gasverbrauch in Haushalten und einzelnen Industriebranchen zu reduzieren sowie die Abschaltung von Atom- und Kohlekraftwerken zu verzögern. Letzteres würde ohne russische Kohlelieferung allerdings eine "erhebliche Herausforderung", so die Studienautoren.

Fast leere Speicher

Wichtig wäre jedenfalls, die Gasspeicher bereits zu Beginn des kommenden Winters zu 90 Prozent zu füllen. Das wurde heuer verabsäumt. Schon im Herbst hatten Experten vor den niedrigen Speicherständen gewarnt. So befinden sich Österreichs Gasreserven zurzeit auf niedrigem Niveau. Enden die Lieferungen aus Russland, gingen sie wohl Ende März zur Neige.

Die Regierung will nun gegensteuern. Kanzler Karl Nehammer (ÖVP), Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) und Rohstoffministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) bemühen sich bei einer Reise in die Golfregion um Lieferungen von Flüssiggas (LNG) aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar. Gemeinsam mit Vertretern der OMV wollen sie so sicherstellen, dass Österreich kurz- und mittelfristig unabhängiger von russischem Gas wird. Auch eine Zusammenarbeit im Bereich Grüner Wasserstoff ist angedacht.

Abhängigkeit gezielt gefördert?

Die große Abhängigkeit von russischem Gas hätte nicht sein müssen, sagt Ex-OMV-Chef Gerhard Roiss im Nachrichtenmagazin "profil". Österreich und die OMV sei von einer Gruppe von Leuten gezielt in eine Abhängigkeit von Russland gelenkt worden. "Diese Leute haben ihre eigenen finanziellen Interessen über jede Moral gestellt."

So habe man 2012 im Schwarzen Meer vor Rumänien den größten Gasfund in der Geschichte der OMV verzeichnet. Die Annahme sei gewesen, dass wir mit Neptun künftig jährlich rund drei Milliarden Kubikmeter Gas nach Österreich liefern können. "Das hätte etwa ein Drittel des Jahresbedarfs gedeckt", rechnet Roiss vor. Stattdessen sollte die OMV "Basis dafür sein, die wechselseitigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Österreich und Russland zu vertiefen. Der OMV-Konzern sollte als eine Art Schrittmacher dienen. Da wurde kräftig lobbyiert", so Roiss.

Eigentümervertreter für die Interessen Österreichs an dem Wiener Öl- und Chemiekonzern ist der jeweilige Finanzminister. Das war zwischen 2014 und Ende 2017 Hans Jörg Schelling (ÖVP), der laut "profil" nach seinem Ausscheiden aus der Politik einen Beratervertrag beim russischen Gaskonzern Gazprom hatte. Dazu Roiss: "Hier zeigt sich ein generelles Problem, das in den vergangenen fünf, sechs Jahren sichtbar wurde – die enge Verzahnung von Politik und Wirtschaft. Wir haben nun nicht mehr nur Oligarchen aus dem Osten, wir haben längst auch kleine Austro-Oligarchen."

Roiss stand von 2011 bis 2015 an der Spitze des teilstaatlichen, börsennotierten Konzerns, sein Abgang erfolgte nicht ganz freiwillig, mittlerweile investiert er in Start-ups.