Herr Pesendorfer, Sie haben bis Ende 2019 die Statistik Austria geleitet. Ab 2016 soll Sebastian Kurz und sein engstes Umfeld Umfragen des Instituts "Research Affairs" verfälscht zu haben, so die Vorwürfe. Gab es in Ihrer Zeit Versuche, auf die Objektivität der Statistik Austria Einfluss zu nehmen?

Ganz klar ja. Ich habe diese Ansinnen aber immer zurückgewiesen, egal von welcher politischen Seite sie gekommen sind. Das hat mir teilweise den Ruf gebracht, schwierig zu sein, weil Politiker aller Couleurs ihre Message zum richtigen Zeitpunkt platzieren wollen und Zahlen gut dafür instrumentalisiert werden können. Aber ich konnte in Gesprächen immer erklären, warum die Unabhängigkeit des Statistikamts wichtig ist.

Gab es Personen, die diese Erklärungen weniger schnell akzeptiert haben?

Das zieht sich durch alle Parteien. Ich will jetzt nicht mit dem Finger auf jemanden zeigen. Aber dass die Regierung Kurz nicht zufrieden war mit mir an der Spitze der Statistik Austria, ist kein Geheimnis. Und in dem Sinn haben sie sich dann gegen eine Verlängerung meines Vertrags und für eine Neubesetzung entschieden – was legitim ist.

Warum ist das Interesse der Politik an Zahlen – von Meinungsumfragen bis statistischen Daten - so groß?

Zahlen haben immer den Anschein, Objektivität zu vermitteln, wahrheitsgetreu zu sein. Wenn die Zahlen korrekt sind, dann kann die Politik auf diese Evidenz aufbauen und evidenzbasierte Politik machen. Jetzt gibt es aber natürlich auch die Idee, dass man Einfluss nimmt auf bestimmte Zahlen, um die eigene Politik bestätigt zu wissen, um irgendwie seine eigene Position besser darzustellen. Hier muss ein Statistikamt eine ganz klare Linie ziehen.

Vor dem Ende Ihrer Amtszeit haben Sie einen Maßnahmenkatalog vorgelegt, um die Unabhängigkeit der Statistik Austria zu wahren. Inwiefern war die Unabhängigkeit in Gefahr?

Die Unabhängigkeit einer Behörde besteht in ihrer Handlungsfähigkeit. Sie muss mit Personen ausgestattet sein, die ihre Arbeit unberührt und seriös ausüben können. Das war in Frage gestellt, weil bis heute nicht genügend Budget zu Verfügung steht. Es wurde auch in den Raum gestellt, dass statistische Veröffentlichungen vorab dem Bundeskanzleramt vorgelegt werden sollten. Und es gab dann den Versuch, meine Handlungsfähigkeit in der Position einzuschränken. Man hat versucht, Druck auf mich auszuüben, auch meinen Vertrag vorab zu beenden. Die normale Geschäftstätigkeit, wie ich sie in den neun Jahren zuvor kannte, war für mich so nicht möglich.

Besteht die Handlungsfähigkeit der Statistik Austria heute?

Mein Nachfolger hat die Vorabberichte an das Kanzleramt ausgesetzt und prüfen lassen. Diese Aktion hat eine Klarstellung herbeigeführt, die notwendig war. Insofern ist die Statistik Austria heute durchaus handlungsfähig. Die budgetäre Situation ist aber einer so wichtigen Institution nicht würdig.

Worauf kann man achten, um zu erkennen, ob Daten vertrauenswürdig sind?

Was zählt, ist, ob eine Umfrage oder Statistik seriös erarbeitet worden ist. Wie erkenne ich das? Vereinfacht gesagt: Wenn viele zusätzliche Informationen - über Institution, Methodik, Stichprobengröße, Fragestellung, - zugänglich gemacht werden, ist das schon ein sehr gutes Zeichen dafür, dass sich das Meinungsforschungsinstitut um Transparenz bemüht. Wenn mir ein Institut noch nie untergekommen ist, dann wäre ich doppelt vorsichtig. Bevor ich deren Zahl für bare Münze nehme, sollte ich das Institut selbst überprüfen. Das ist auch etwa auf Social Media, wichtig: Da wirft jemand eine Zahl in den Raum und viele Menschen teilen diese Information sofort. Das ist gefährlich: Ungeprüft sich selbst in die Reihe jener zu stellen, die Informationen ungeprüft teilen. Deswegen ist Reflexion immer – aber besonders bei Statistiken – wichtig. Da kommt man nicht darum herum, das Gehirn einzuschalten.

Gibt es Quellen, denen man mehr vertrauen darf als anderen?

Als Chef der Statistik Austria war meine Antwort natürlich immer: Der Statistik Austria – weil sie auch institutionell zu Unabhängigkeit, Transparenz und Objektivität in der Kommunikation verpflichtet ist. Allgemein muss Vertrauen aber langsam aufgebaut werden. Wenn ich etwa sehe, dass die Zahlen in einer Zeitung immer stimmen, bin ich eher bereit, zu glauben, was dort gedruckt wird. Da gibt es vielleicht andere Blätter, die darauf nicht so sehr Wert legen - und dort muss ich vorsichtig sein.

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