Pro

Allein die mediale und politische Diskussion über einen „Abschiebestopp“ reicht aus, dass Schlepper den Flüchtlingen eine „Bleibegarantie“ versprechen. Es befeuert das Geschäft der Schlepper und organisierte Kriminalität.

Von Gerald Tatzgern (er leitet seit 20 Jahren das Büro für Schleppereibekämpfung im Bundeskriminalamt)

Ich bin seit mehr als zwei Jahrzehnten in der Bekämpfung der Schlepperei tätig. Schlepperei ist eine menschenverachtende Form der organisierten Kriminalität. Das Leben des einzelnen Menschen der auf der Flucht zählt nur insoweit, als dadurch Profit erwirtschaftet werden kann.

Schlepperei dient nicht zuletzt auch der Finanzierung von Terrororganisationen islamistischer Prägung.
Illegale Migration ist durch „Push“- und „Pull“-Faktoren geprägt. Unter Push-Faktoren verstehen wir Umstände, die Menschen dazu veranlassen, ihr Heimatland zu verlassen. Neben Verfolgung auf Grund von Religion oder Ethnie sind das vor allem auch wirtschaftliche Überlegungen. Hier sprechen wir von den „Wirtschaftsflüchtlingen“, die sich anderswo ein besseres Leben erwarten.

Pull-Faktoren sind hingegen Umstände, die diese Menschen nach ihrer Flucht in ein ganz bestimmtes Land „ziehen“, um dort einen Asylantrag zu stellen. Österreich ist ein Wohlfahrtsstaat – das ist ein enormer Pull-Faktor: Es gibt umfassende, für alle Flüchtlinge tatsächlich paradiesisch anmutende Sozialleistungen und Unterstützungen, bis hin zur eigenen Wohnung.

Allein die mediale und politische Diskussion über einen „Abschiebestopp“ reicht aus, dass Schlepper den Flüchtlingen eine „Bleibegarantie“ versprechen. Deutschland und andere EU-Staaten haben vor wenigen Tagen einen Abschiebestopp kommuniziert. Innerhalb weniger Stunden sprach sich die Nachricht bei den extrem gut vernetzten Schleppern und Flüchtlingen herum.

Ein Abschiebestopp – wenn er einmal kommuniziert wurde – befeuert also vor allem das Geschäft der Schlepper und fördert die organisierte Kriminalität. Die Macht der Medien kann hier nicht hoch genug bewertet werden. Aktuell ist die Zahl der Anlandungen von Migranten aus der Türkei in Griechenland sehr gering. Obwohl der Migrationsdruck in die Türkei aus dem Iran steigt, sind die türkischen Behörden darum bemüht, die Schlepperei nach Griechenland zu unterbinden.

Mehr als 52.000 Afghanen haben seit 2015 in Österreich einen Asylantrag gestellt. 34.000 Personen wurde dieser Schutz auch gewährt. Damit gehört Österreich, noch vor Deutschland, zu den am meisten belasteten Ländern. Der überwiegende Teil der Asylwerber aus Afghanistan sind junge Männer, die kaum lesen oder schreiben können und in einer vom islamischen Patriachat geprägten Gesellschaft erzogen wurden. Das stellt unsere gesamte Gesellschaft – nicht zuletzt unsere Sicherheit – vor riesige Herausforderungen.

Kontra

Genau jetzt müsste man die Bevölkerung offen und ehrlich darüber informieren, dass es unanständig und eine Missachtung der Menschenrechte ist, Menschen nach Afghanistan abschieben zu wollen.

Von Annemarie Schlack (Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich)

Die Frage, ob Österreich weiterhin nach Afghanistan abschieben soll, stellt sich eigentlich nicht. Sie kann sich gar nicht stellen. Abschiebungen nach Afghanistan sind derzeit in unserem Land, in dem die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) direkt anwendbares Verfassungsrecht darstellt, weder rechtlich zulässig noch faktisch durchführbar, da es aus Sicherheitsgründen so gut wie keine Flüge nach Kabul gibt.

Die Frage, die wir uns viel eher stellen sollten, ist die, warum wir dieses Thema überhaupt öffentlich diskutieren müssen. Warum mein Gegenüber auf dieser Seite – im Auftrag eines auf unsere Verfassung angelobten Innenministers – öffentlich bekundet, dass Österreich an den Abschiebungen nach Afghanistan festhält.

Die Rechtslage zu Abschiebungen nach Afghanistan ist sehr klar. In Länder, in denen Menschen weitverbreitet ermordet, gefoltert, unmenschlich oder erniedrigend behandelt werden, darf nicht abgeschoben werden. Dazu braucht es keine Diskussion, das ist rechtlich eindeutig.

Genau jetzt wäre also der Moment, um die österreichische Bevölkerung offen und ehrlich darüber zu informieren, wie sich die Lage in Afghanistan täglich zuspitzt, dass den Menschen dort Mord, Folter und Auspeitschungen drohen.

Dass es unanständig, aber auch eine Missachtung der Menschenrechte ist, wenn Österreich in ein Land abschieben will, in dem terroristische Gruppen im Vormarsch sind und jede zivile Ordnung im Chaos versinkt.

Dass es die internationalen und österreichischen Rechtsnormen wohl für lange Zeit schlichtweg verbieten, nach Afghanistan abzuschieben.

Doch statt objektiver Information und Aufklärung bekommen wir hier in Österreich von der Bundesregierung – ausgehend von einem abscheulichen Verbrechen, das offenbar für populistische Aussagen missbraucht wird – etwas ganz anderes präsentiert: Nämlich die Selektion bestimmter Menschen, für die Menschenrechte noch gelten – oder vielmehr den Ausschluss anderer.

Die Frage, die wir uns daher stellen müssen, ist also eine ganz andere: Nämlich jene, ob unsere Bundesregierung das internationale Menschenrechtssystem und die darauf basierenden Verfassungsnormen künftig nur für einzelne gelten lassen will. Dann aber sollten wir auch offen darüber diskutieren, welche hier in Österreich lebende Menschen als nächste vom Schutz der Menschenrechte ausgeschlossen werden – weil es der Regierung opportun erscheint.