Als Ende März erste pikante Details aus den Chats von Noch-Öbag-Chef Thomas Schmid mit Kanzler Sebastian Kurz („kriegst eh alles was du willst“) und Finanzmister Gernot Blümel („SchmidAG fertig“) inklusive peinlicher Emojis die Runde gemacht haben, registriert ein intimer Kenner der Politik hektische Aktivitäten: Innerhalb kürzester Zeit wechselten unzählige Politiker, Kabinettsmitglieder, Pressesprecher zum Kurznachrichtendienst Signal. Im Unterschied zu den SMS oder zu WhatsApp gilt Signal nicht nur als abhörsicher, bei Bedarf können Nachrichten mit einem Ablaufdatum versehen werden – die Bandbreite reicht von einer Sekunde bis vier Wochen. Ex-Sektionschef Christian Pilnacek half Signal freilich wenig. Bei der Razzia filmten zwei IT-Experten noch schnell seine Signal-Chats ab.

Die Schmid-Chats haben in der politischen Blase ein mittleres Erdbeben ausgelöst. Nicht nur, dass Politiker, Mitarbeiter, Journalisten sofort ihren SMS-Verkehr mit dem langjährigen Pressesprecher und späteren Spitzenbeamten durchgegangen sind – das haben viele bereits nach Auswertung des Handys von SMS-VielschreiberHeinz-Christian Strache durch die Justiz getan. „Es wird jetzt wieder viel mehr telefoniert“, erklären mehrere Insider gleichlautend – nicht nur in der Regierung, sondern auch in Oppositionskreisen. Mit einem Schlag wurde allen politischen Akteuren ihre eigene Verwundbarkeit im Zeitalter moderner Kommunikationstechnologie vor Augen geführt.

Mitarbeiter ehemaliger Kanzler wundern sich ohnehin über die Chat-Aktivitäten des Kanzlers und seines Ministers. Seit Jahrzehnten wird Spitzenpolitikern und deren Mitarbeitern vor Amtsantritt ein Slogan eingebläut, der dem einstigen ÖVP-Kanzler Julius Raab zugeschrieben wird: „Jedes Schriftl is a Giftl.“ So soll Ex-Kanzler Werner Faymann während seiner Amtszeit kein einziges Mail verschickt haben, weil niemand wissen konnte, ob so manches Schreiben nicht der Opposition oder den Medien in die Hände fallen und den Weg an die Öffentlichkeit finden könnte. Generell werden in der Wiener Blase sensible Informationen weder per Mail noch per SMS und WhatsApp verschickt.

Dass Kurz und sein Team die Gefahr kannten, beweist die legendäre Schredder-Affäre. Als Kurz nach Ibiza und der Abwahl durch das Parlament seine Sachen packen musste, ließ ein enger Mitarbeiter noch vor dem Votum im Nationalrat mehrere Festplatten bei einem privaten Anbieter vernichten. Die Angst war groß, dass diese, sobald Kurz nicht mehr das Sagen im Kanzleramt hat, von IT-Experten des Hauses beiseitegeschafft werden, um allenfalls später politisch ausgeschlachtet zu werden. Warum man dennoch nicht aufgepasst hat? „Wahrscheinlich waren sie so abgehoben, dass sie sich gedacht haben, sie können sich alles leisten“, so ein Vertrauter eines ehemaligen Kanzlers. Gerüchten zufolge sollen manche Ministerbüros nicht am Server des Ministeriums hängen, sondern eigene Rechner installiert haben – um auf Nummer sicher zu gehen.

Die peinlichen Chat-Enthüllungen rütteln an den Grundfesten moderner Staatskunst: Das Handy ist heute das allerwichtigste Utensil des Politikers. Die Vorstellung, dieser sitze stundenlang im Büro, um Papiere zu sichten und Akten zu wälzen, stammt aus dem letzten Jahrtausend. Ein Blick ins Büro des Kanzlers, aber auch vieler Minister überrascht: Der Schreibtisch dient nur noch als Zierde. Auch einen Standcomputer oder einen Laptop sucht man vergeblich – das gilt übrigens auch für das Oval Office. „Entweder ist der Chef am Telefon, oder er sitzt in Besprechungen, empfängt einen Gast, fährt zu Terminen außer Haus“, verweist ein Pressesprecher auf den eng getakteten Terminkalender seines Ministers. Das Handy ist der ständige Begleiter, der für offene Kommunikationskanäle zur Sekretärin, zu den Mitarbeitern, zum Koalitionspartner, zu den Dienststellen, zu anderen Akteuren außerhalb der Politik, zu den Medien sorgt – und auf dem die wichtigsten Unterlagen abgerufen werden können. Im Büro werden Besprechungen abgehalten, Interviews durchgeführt, Papiere unterschrieben. So gesehen war Politik-Legende Bruno Kreisky seiner Zeit voraus. Ex-Kabinettschef Alfred Reiter meinte einmal: „Würde Kreisky heute leben, er wäre andauernd am Handy.“

Die Sorge, dass Spitzenpolitiker von ausländischen Geheimdiensten ausspioniert werden, rangiert unter ferner liefen. Als im Zuge der Snowden-Affäre publik wurde, dass das Handy von Kanzlerin Angela Merkel von der NSA abgehört worden war, gab es Überlegungen, abhörsichere Kommunikationswege einzurichten. Die Gespräche scheiterten an der Frage, ob der Server im damals schwarzen Innenministerium oder im roten Verteidigungsministerium angesiedelt wird. Gewisse Vorkehrungen gibt es sehr wohl: Bei besonders sensiblen Gesprächen werden in der Hofburg oder in manchen Ministerien alle Handys abgenommen und in abhörsicheren Boxen im Nebenraum verstaut.