Exakt 449 Tage, nachdem in Österreich der erste Fall des SARS-CoV-2-Virus nachgewiesen worden ist, schlendern Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) - flankiert von Bodyguards und Polizei - in das Schweizerhaus im Wiener Prater. Vor dem Mittagessen anlässlich der Öffnungen, bei dem auch Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) und Kulturstaatssekretärin  Andrea Mayer (Grüne) anwesend sind, wurde ein Medientermin einberufen, um die Freude über die Öffnungen kundzutun.

Doch das Statement wird mehrfach von Klimaaktivisten und Corona-Maßnahmengegnern gestört, die vor allem dem Kanzler "Pfui" und Buh-Rufe zukommen lassen. Zwei Männer werden von der Polizei zu Boden gerissen und abgeführt. Und auch im Inneren des gut besuchten Gastgartens sind immer wieder "Kurz muss weg" Rufe von Gästen zu vernehmen.

"Tag der Freude"

Der Kanzler gibt sich dennoch unbeirrt. Es sei ein "Tag der Freude", an dem das Land wieder aufsperren könne. "Das können wir heute guten Gewissens tun", die Infektionszahlen seien auf einem guten Niveau. Dennoch mahnt er zur Vorsicht, ebenso wie Kogler: "Es ist Zeit für Freude und Mut, aber nicht für Übermut."

Der Weg vom ersten Fall bis zu über drei Millionen gegen Corona geimpften Menschen war weder ein einfacher, noch ein durchwegs erfolgreicher. Was ist Österreich in den letzten knapp 15 Monaten im Kampf gegen die Pandemie gelungen – und was nicht?

Die erste Reaktion

Wenige Tage nach dem ersten Coronafall in Österreich nahm zunächst der Ischgl-Skandal seinen Lauf. 11.000 Infektionen in ganz Europa ließen sich letztlich auf den Wintersportort zurückführen, die Behörden reagierten zu spät. Am 16. März schickt die Bundesregierung schließlich das ganze Land in einen harten Lockdown. Die Bevölkerung trägt Ausgangsbeschränkungen und Schließungen mit, die Maßnahmen zeigen bald Wirkung, die Infektionszahlen sinken. Neben Ländern wie Australien, Dänemark und Israel gilt Österreich als “First mover” und wird auch international als Corona-Musterschüler gefeiert. Schon im April kommt es daher zu Öffnungsschritten, im Mai darf auch die Gastronomie wieder aufsperren.

Sehenden Auges in die zweite Welle

In den warmen Monaten des Vorjahres verabsäumt es die Regierung, Maßnahmen für den Herbst zu treffen. Weder wird wissenschaftlich evaluiert, welche Lockdown-Maßnahmen was bewirken, noch wird das Contact-Tracing ausgebaut, Gesundheitsdaten vereinheitlicht oder Risikogruppen ausreichend geschützt. Stattdessen nehmen Schuldzuweisungen zwischen Bund und Ländern zu. Erst als die zweite Welle bereits Fahrt aufnimmt, tretenverschärfende Maßnahmen in Kraft.

Im Oktober warnen immer mehr Mediziner vor Versorgungsengpässen. Bei bereits über 200 Patienten auf den Intensivstationen sieht der damalige Gesundheitsminister Rudolf Anschober Österreich von einem zweiten Lockdown noch “weit entfernt”. Wenige Tage später tritt er in Kraft. Am 12. November weist das Dashboard der Ages den bisherigen Spitzenwert der Sieben-Tage-Inzidenz von 565,9 aus. Von den bis heute knapp über 10.000 Corona-Todesfällen entfallen fast 7.000 auf den Zeitraum zwischen September und Jänner.

Testen, testen, testen

Während die Zahl der Neuinfektionen nach dem Jahreswechsel wieder nach unten geht, schnellt die der durchgeführten Coronatests pro Tag hinauf. Egal ob an öffentlichen Teststraßen, in Apotheken oder zuhause – einen Coronatest kann man in Österreich seit einigen Monaten ohne große Probleme durchführen. Die Antigen- und PCR-Tests geben nicht nur über den eigenen Gesundheitsstatus Auskunft, sie dienen auch als Eintrittstest zum Frisör oder ins Gasthaus. Ein Konzept, das aufgeht. Pro Woche werden in Österreich derzeit rund 1,7 Millionen Coronatests durchgeführt. Vergangene Woche waren es pro 1.000 Einwohner laut der Plattform “Our World in Data” weltweit nur in Zypern mehr.

Impfshow statt Impfturbo

Die Ankündigungspolitik der Regierung stand im Verlauf der letzten 15 Monate des Öfteren in der Kritik. Besonders eklatant wurde die Diskrepanz zwischen Versprechungen und Wirklichkeit im Zusammenhang mit der Beschaffung des Corona-Impfstoffs. Nach dem via TV groß inszenierten Impfstart am 27. Dezember passiert lange nichts. Grund dafür sind folgenschwere Fehler im Einkauf, für die letztlich der Beamte Clemens Martin Auer verantwortlich gemacht wird und seinen Hut nehmen muss. Kanzler Sebastian Kurz kündigt daraufhin den Kauf von einer Million Sputnik-Impfdosen an, um vom stotternden Impffortschritt abzulenken. Bis heute ist kein russischer Impfstoff in Österreich angekommen.

Erst am 20. März waren eine Million Österreicher zumindest einmal geimpft, dazu verfolgt jedes Bundesland seine eigene Strategie. Dank vorgezogener Liefermengen zog das Impftempo in den letzten Wochen zwar an, noch hat aber immer nicht jeder, der möchte, auch die Möglichkeit, immunisiert zu werden.

Koste es, was es wolle

Seit Beginn der Krise wurden zahlreiche Hilfsinstrumente geschaffen, um die Wirtschaft zu unterstützen – vom Ausfallsbonus über die Kurzarbeit bis zum Fixkostenzuschuss. Ganz nach dem Motto “Koste es, was es wolle” hat die Regierung die Staatskassen geöffnet. 36 Milliarden Euro an Hilfszahlungen wurden bislang ausbezahlt oder zugesagt. Anfängliche Abwicklungsprobleme konnten zwar großteils überwunden werden, dafür wirft die Verteilung der Gelder Fragen auf. Ausbezahlt wurde oft mit der Gießkanne und auch an Firmen, die gar keine Verluste machten. Gleichzeitig rissen die Ausgaben ein tiefes Loch ins Staatsbudget. Am Mittwoch hat sich das ohnehin schon üppige Defizit per Gesetzesnovelle noch einmal um 8,1 Milliarden auf fast 31 Milliarden Euro erhöht.

Weitere Lockerungen im Sommer

Was den weiteren Fahrplan betrifft, gibt sich die Regierung dieser Tage verhalten. Nun gelte es, die Bevölkerung auf die aktuellen Öffnungen einzuschwören, heißt es dort. Dennoch sei im Sommer eine Rückkehr ins "alte Leben" geplant, wie Kanzler Kurz verspricht. Dann sollen auch Maßnahmen wie Maskenpflicht und das Verbot für Hochzeiten oder große Veranstaltungen fallen.