Pro: Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres

COVID-19 beherrscht seit März unser Leben. Im Frühjahr ein Lockdown, dann ein relativ ruhiger Sommer, gefolgt von einem exponentiellen Anstieg der Infektionen mit weiterem Lockdown im Herbst. Trotz des Lockdown sinken die Zahlen sehr langsam. Nur etwa die Hälfte der Infizierten sind positiv getestet und in Quarantäne, was bedeutet, dass zigtausende Infizierte potenziell ansteckend sind und von ihrer Erkrankung nichts wissen. Jeder Patient, den man als infiziert identifiziert ist ein Vorteil, da man ihn in Quarantäne schicken und damit weitere Ansteckung verhindern kann.

Seit einigen Wochen gibt es sogenannte Antigen-Schnelltests, mit deren Hilfe man nach einem Abstrich innerhalb von etwa 15 Minuten feststellen kann, ob die betroffene Person sich mit COVID-19 infiziert hat und auch ansteckend ist. Obwohl diese Tests weniger empfindlich sind als sogenannte PCR-Tests und frühe Infektionen oder Infektionen mit geringer Virusbelastung nicht erkennen, macht die Geschwindigkeit der Analyse diesen Nachteil mehr als wett. Es gelingt, in Zeiten, in denen PCR-Resultate erst nach Tagen verfügbar sind und das Contact Tracing aufgrund der hohen Infektionszahlen nicht mehr funktioniert, rasch zu reagieren und Infizierte zu identifizieren.

Jeder infizierte und ansteckende Mensch, der so gefunden werden kann, hilft bei der Eindämmung der Pandemie. Eine Herausforderung ist die Logistik beim Testen: Hier sollte es möglich sein, elektronisch eine Uhrzeit in einer der Teststraßen zu buchen und dann ohne lange Wartezeiten und ohne Ansteckungsgefahr getestet zu werden. Wir wissen, dass sich ein Großteil der Bevölkerung so testen lassen möchte.

Man muss bedenken, dass es sich hier um eine Momentaufnahme handelt. Der Test sollte – wie es auch geplant ist – nach einigen Tagen wiederholt werden. Nur so kann man Personen finden, die nach einem anfänglich negativen Test die Krankheit ausbrüten. Sie bilden in der Zwischenzeit mehr Viren und können dann im zweiten Test als infiziert erkannt werden. Ich hoffe, dass sich möglichst viele Menschen mittels Antigen-Schnelltest testen lassen, damit man die Infektionskette unterbrechen kann.

Ich bin zuversichtlich, dass es uns gemeinsam gelingt, solche Massentests erfolgreich durchzuführen. Nur so können wir weitere Lockdowns vermeiden. Jedenfalls müssen wir die Zahl der Infektionen zumindest bis zur Möglichkeit einer Schutzimpfung soweit drücken, dass weitere Lockdowns verhindert werden. Wenn Massentests dabei helfen, ist es gut so.

Contra: Public Health-Expertin Barbara Nußbaumer-Streit

Das Konzept „Massentest“ wirkt auf den ersten Blick vielversprechend. Man testet die ganze Bevölkerung, fischt alle Coronavirus-Infizierten heraus und verhindert so weitere Ansteckungen. Wenn man genauer hinsieht, ist ein einmaliges bevölkerungsweites Testen jedoch wenig bis nicht sinnvoll.

Alle Corona-Tests sind immer nur eine Momentaufnahme, auch Antigen-Schnelltests. Wer heute einen negativen Test hat, kann ein paar Tage später schon ansteckend sein. Dazu kommt, dass Tests nicht perfekt sind. Rund 20 Prozent der Infizierten bekommen ein negatives Testergebnis, obwohl sie das Virus in sich tragen.

Wird ein negativer Test dann als Freibrief verstanden, sich sorglos zu verhalten, kann das schnell zu imer neuen Clustern führen.
Gleichzeitig führen Tests in der gesamten Bevölkerung auch zu vielen falschen Alarmen. Lassen sich in Österreich beispielsweise fünf Millionen symptomfreie Menschen testen und erkennt der Test 99 Prozent der Gesunden richtig, bekommen trotzdem rund 50.000 ein positives Testergebnis, obwohl sie gar nicht infiziert sind.

Das wäre in etwa so, als würde man ganz Villach in Isolation schicken, obwohl niemand infiziert ist. Nachgelagerte PCR-Tests können diese Fehlalarme reduzieren, belasten aber das Testsystem zusätzlich. Schon jetzt warten Erkrankte oft tagelang auf PCR-Testresultate.
Ein einmaliger Test der gesamten Bevölkerung kann das Infektionsgeschehen im besten Fall kurz dämpfen. Nach kurzer Zeit werden sich die Infektionszahlen aber wahrscheinlich wieder so entwickeln, als hätte es keinen Massentest gegeben.

Berechnungen der Harvard Universität zeigen: Damit ein Massentest nachhaltig das Infektionsgeschehen bremst, müsste er mindestens einmal pro Woche wiederholt werden. Das ist logistisch kaum zu schaffen.

Großflächige Tests können aber sinnvoll sein, wenn sie zielgerichtet durchgeführt werden, beispielsweise zum Schutz von Risikogruppen in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen oder in Regionen mit steigenden Infektionszahlen.

In diesem Rahmen ist auch regelmäßiges Testen in kurzen Zeitabständen umsetzbar, was einen nachhaltigen Effekt ermöglicht.
In der Slowakei wurde eine Wiederholung des Massentests auf unbestimmte Zeit verschoben. In Großbritannien wurde er überhaupt gar nicht durchgeführt und wieder abgesagt.

Das sollte zumindest dazu anregen, den Massentest in Österreich wissenschaftlich zu evaluieren, um daraus zu lernen.