Herr Vizekanzler, was ist denn in den vergangenen Wochen schiefgelaufen?

Werner Kogler: Der erste Lockdown war erfolgreich. Wir haben mehr und schneller gelockert als in anderen Ländern. Die Infektionszahlen haben das hergegeben, einen möglichst normalen Sommer zu haben. Ich glaube, das hat uns allen gut getan.  Wir haben dann mit der Ampel stark auf Regionalisierung gesetzt: die Cluster regional einzugrenzen verbunden mit der klaren Vorgabe, zwischen Test, Ergebnis, Absonderung und Contact Tracing sollten jeweils maximal 24 Stunden liegen – das wird auch in Zukunft wieder wichtig.

Das hat doch nie flächendeckend funktioniert.

Es gibt einen Erlass des Gesundheitsministers dazu aus der dritten Mai-Woche. Sagen wir, es ist in den Ländern unterschiedlich gut umgesetzt worden.

Das ist stark beschönigend. In manchen Ländern warten noch immer Leute tagelang auf ihr Testergebnis.

Dass in einzelnen Bundesländern nicht mit viel mehr Personal und rechtzeitig eingeschritten worden ist, hat viel dazu beigetragen, dass letztlich überall die Zahlen gestiegen sind. Einzelne Landeshauptleute und Bezirksbehörden haben gehandelt, wo es nötig war – aber andere haben abgewartet, bis die Bundesregierung wieder handeln muss. Wenn wir wieder in eine Phase kommen, in der man wieder lockern kann, muss das regional deutlich besser funktionieren.

Aber wie wollen Sie gewährleisten, dass das jetzt funktioniert, wo es die vergangenen Monate überhaupt nicht funktioniert hat.

In der letzten Konsequenz kann das Gesundheitsministerium als Weisungsspitze, regionale Einschränkungen anordnen, wenn sich ein Bezirks- oder Landeshauptmann nicht traut, unpopuläre Maßnahmen zu treffen.

Vizekanzler Werner Kogler in seinem Büro im Wiener Amtsgebäude Radetzkystraße.
Vizekanzler Werner Kogler in seinem Büro im Wiener Amtsgebäude Radetzkystraße. © Christoph Kleinsasser

Warum hat es so lange gedauert, bis der Lockdown verhängt worden ist, obwohl die Zahlen seit Wochen steigen?

Das zentrale Ziel war und ist, jeder der ein Intensivbett braucht, soll eines bekommen – aber natürlich gab es auch andere Prioritäten, wie das Aufrechterhalten von Bildung, Wirtschaft und Beschäftigung und sozialem Leben. Sonst hätten wir ja sagen können, wir sperren nach dem Sommer das halbe soziale Leben zu oder halten die Grenzen dicht. Aber das hätte auch die Bevölkerung nicht mitgetragen. Als klar war, dass die Modellrechnungen nicht halten, haben wir entschieden, den Lockdown bundesweit zu verhängen, wenn wir ein paar Tage hintereinander mehr als 6.000 Neuinfektionen haben. Wo sich alle Expertinnen und Experten getäuscht haben war, wie schnell sich die Verdoppelungszeiträume verkürzt haben.

Aus der ÖVP heißt es, wenn es nach dem Kanzler gegangen wäre, hätte man schon viel früher schärfere Maßnahmen gesetzt. Warum haben die Grünen gebremst?

Wichtig ist, dass man als Regierung handlungsfähig bleibt und dass wir unsere gemeinsamen Ziele im Sinne der Bevölkerung erreichen. Wir haben in fast allen Bereichen Einigkeit gehabt, und zwar sowohl was die Geschwindigkeit wie auch die Maßnahmen angeht. Eine Ausnahme waren sicherlich die Schulen und Kindergärten. Da wollte der Bundeskanzler früher und ganz zumachen.

In den letzten Wochen hat man öfter den Eindruck, in der Regierungskommunikation ist der Wurm drin: Ob die Schulen jetzt geschlossen oder geöffnet sind, oder bei der Ankündigung der Massentests. Sie sind auch Regierungskoordinator: Wo hakt es denn da?

Wir haben uns dafür eingesetzt, dass es es für alle, die es brauchen, Lernbetreuung in Kleingruppen gibt. Trotzdem werden die Kontakte reduziert und die sozialen und bildungspolitischen Ziele kommen nicht zu kurz. Das ist eine gute gemeinsame Lösung, trotz anfangs unterschiedlicher Ansichten.

Wann haben denn Sie erfahren, dass die Massentests kommen sollen?

Wir haben das länger besprochen. Es war klar, dass die Ankündigung binnen einiger Tage kommen würde. Zu dem Zeitpunkt waren das Bundesheer und das Gesundheitsministerium schon involviert.

Haben Sie gewusst, dass der Kanzler das in der Pressestunde ankündigen wird?

Ja, knapp vorher. Ich halte das aber nicht für entscheidend, wo das angekündigt wird.

Das können Sie so sehen; aber ist es so gescheit wenn, die, die es mit umsetzen müssen, die Landeshauptleute, das aus den Medien erfahren?

Das müssen Sie die Landeshauptleute fragen, ob sie das aus der Pressestunde erfahren haben.

Etliche Landeshauptleute sagen das so.

Das wundert mich jetzt.

Funktioniert die Regierungszusammenarbeit gut?

Es kann schon sein, dass da es und dort Brösel drinnen gibt, aber die politischen Herausforderungen für diese Regierung sind von der Schwierigkeit her einmalig in der Geschichte der letzten Jahrzehnte. Bei vielen Entscheidungen ist es so, dass wir manchmal binnen Stunden Entscheidungen mit schwerwiegenden Folgen für Millionen Menschen treffen müssen. Ich verstehe schon, dass da mancher mehr erwartet, aber im Großen und Ganzen funktionieren die Prozesse gut. Im Frühling sollten wir darüber resümieren, wie das gelungen ist.

Was wäre ein geeignetes Forum dafür? Ein Untersuchungsausschuss?

Das meine ich nicht; was viel entscheidender ist, ist wie es mit Wirtschaft, Beschäftigung und unserem Zusammenleben weiter geht. Im 21er Jahr wird es darum gehen, wie wir uns aus dieser Wirtschafts- samt Beschäftigungskrise hinausinvestieren. Das beginnt jetzt schon, aber die meisten Klimaschutz-Investitionen werden nächstes Jahr mit vielen Unternehmen gemeinsam auf die Piste gebracht. Das wird mega. 2021 wird das Jahr des wirtschaftlichen Comebacks und das Jahr des Klimaschutzes. Die größten Teile der neuen Investitionsprämie werden jetzt schon für klimaschutzrelevante Investitionen verwendet. Da haben wir jetzt über eine Milliarde und wir verlängern das Programm laufend, jetzt haben wir dann drei Milliarden Euro draußen. Das schafft eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und neue Jobs.

Es gibt beim jetzigen Lockdown je nach Branche den Umsatz-Ersatz. Warum stellt man da auf den Umsatz ab und nicht wie es ursprünglich im Epidemie-Gesetz vorgesehen war, auf den Gewinn?

Der Umsatzersatz ist ein Spezifikum, das ist richtig. Aber jetzt, wo noch einmal de facto ein Lockdown da ist, musste man sofort helfen. Der Vorteil dieses Umsatz-Ersatzes ist, er kann sofort abgewickelt werden, weil der Umsatz, bei allen, die im System des Finanzministeriums drinnen sind, eine erfasste Größe ist. Für die Gastro- und Hotelbetriebe ist Mitte November das Geld schon angekommen, das geht mit anderen Berechnungsformeln nicht. Eine Gewinn- und Verlustberechnung wäre langwierig zu berechnen. Der Umsatz-Ersatz geht schnell, große Überförderungen wird es über das Jahr betrachtet nicht geben. Es war immer die Kritik, dass zu wenig kommt und zu langsam, aber jetzt gibt es schnell und viel. Wir hatten da auch Matches mit der Wirtschaftskammer und dem Finanzministerium, aber da haben sich auch die Grünen durchgesetzt am Schluss. Diese Hilfen funktionieren jetzt ziemlich gut, auch der Härtefallfonds. Dazu kommt jetzt die zweite Phase des Fixkosten-Zuschusses; der ist zwar etwas langsamer als der Umsatzersatz, aber dafür besonders treffsicher.

© Christoph Kleinsasser

Jetzt haben wir lange darüber geredet, wer wie viel Geld bekommt. Wer wird das irgendwann einmal bezahlen?

Momentan ist in der Philosophie retten und helfen, aber nicht nur konservieren, sondern auch ökologisch Hinausinvestieren. Da geht es um die Zukunft. Das geht, weil wir immer noch nominal um null Prozent  Geld aufnehmen können.

Trotzdem müssen wir es zurückzahlen.

Der Gesamtschuldenstand wird ca. so hoch werden wie nach der Finanzkrise und das hat Österreich gut bewältigt. Man darf ja auch mal die Vorgängerregierungen loben. Auch damals wurde mit Kurzarbeit richtig reagiert, nur die Bankenrettung war, wie Sie wissen, nicht nach meinem Geschmack. Da hätten wir uns ein paar Milliarden sparen können. Was die Realwirtschaft angeht, hat es funktioniert. Das wird auch jetzt gelingen. Bei Schulden ist es wie in einer Firma, da ist nur wichtig, was mache ich mit dem Geld. Die erfolgreichsten Firmen haben immer Schulden gehabt, weil sie klug investiert haben. Die Frage ist, kann man mit so einem Schuldenstand leben und ich sage ja, wenn wir klug investieren. Aber die Neuverschuldung wird in den nächsten Jahren nicht so hoch bleiben können. Gegen Ende der Legislaturperiode sollten wir wieder deutlich niedrigere Defizite haben als jetzt.

Wie geht es unter diesen Vorzeichen mit der ökosozialen Steuerreform weiter?

Die Ökologisierung hat ein Herzstück, das ist der schrittweise Einstieg in die CO2-Bepreisung. Da laufen die Vorbereitungsarbeiten: 2021 werden da die ganz großen Entscheidungen vorbereitet. Wir planen nach wie vor, am 1. 1. 2022 in die CO2-Bepreisung einzusteigen. Alles, was umweltfreundlich ist und vor allem die menschliche Arbeit wird günstiger und billiger und was klimaschädlich ist, wird teurer. Das Gute entlasten und das Schlechte belasten. Die ersten Schritte haben wir heuer schon gesetzt.

Das klingt ja optimistisch, wie am ersten Tag in der Regierung. Sind die Grünen derzeit glücklich in der Koalition?

Politik darf glücklich machen, muss aber vor allem Sinn machen und es macht sehr viel Sinn, dass die Grünen in der Regierung sind. Es zählt das Ergebnis für die Menschen, die in Österreich leben.

Wo sieht man die Grüne Handschrift?

So viele Klimaschutz-Milliarden wie in unserem Budget gibt es, gemessen an der Wirtschaftsstärke glaube ich nirgendwo in Europa. Zweitens, das soziale Sicherungspaket – Senkung der Lohnsteuer, 1000 Euro Mindestpension und damit auch eine Erhöhung der Mindestsicherung, 150 Euro Coronabonus pro Monat für Arbeitslose und so weiter - das macht einen Unterschied für hunderttausende Menschen. Drittens haben wir jetzt pro Budget für die Justiz weit über 100 Millionen mehr. Die Justiz ist davor jahrelang fast kaputtgespart worden. Wir haben die nächste Uni-Milliarde, das Frauenbudget steigt um fast 50 Prozent, das Volksgruppen-Budget wird verdoppelt. Der Auslandskatastrophen-Fonds für humanitäre Krisen in Krisenregionen wird aufgestockt. Das war bei fünf bis zehn Millionen, dann haben wir auf 25 erhöht, und das steigt in den jetzt für die nächsten Jahren auf 60 Millionen. Das war im internationalen Vergleich früher immer zum Fremdschämen, die paar Millionen, die Österreich da stehen gehabt hat als eines der Schlusslichter. Das hat sich vervielfacht. Da muss sich die SPÖ schon die Frage gefallen lassen, die da als Opposition gerne herumkritisiert, wo in dieser Geschichte der humanitären Hilfe, der Unterstützung für Arbeitslose in Krisenzeiten, des Frauenbudgets hat die SPÖ haben die jemals in einer Koalition mit der ÖVP so viel durchgesetzt?

Kommt das bei der Grünen Basis auch an?

Wir sind ja nicht für uns selber da. Wir regieren nicht für die Grünen, sondern für die gesamte österreichische Bevölkerung und die spürt, wo die Verbesserungen wirklich ankommen. Ich halte mich nicht mit Umfragen auf, aber wenn man Wahlergebnisse heranziehen will, dann haben wir seit 2019 bei jeder Wahl einen historischen Höchststand erreicht. 

Als Sportminister möchte ich Sie fragen: Wann können wir wieder Skifahren gehen?

Das Skifahren selber ist ja ohne Aufstiegshilfen jederzeit möglich. Auf der Piste beim Runterschwingen, dürfte es relativ wenig Ansteckungsfälle geben. Die Sportausübung im Freien ist ja empfehlenswert.

Ich versuche es anders: Wann wird Skifahren wieder so gemütlich, wie wir es gewohnt sind, möglich sein?

Da sind die Liftbetreiber für Konzepte gefordert, sodass man beim Anstellen zu den Liften die Schlangen so entflechten kann, dass nicht einer am anderen pickt. Zweitens braucht man Begrenzungen in den Gondeln, ganz etwas anderes ist der Sessellift. Wenn man am Vierer-Sessellift jeden zweiten Platz besetzt oder eine Familie, die sowieso in einem Haushalt lebt, fährt, das ist ja völlig okay. Das Allerwichtigste ist aber, dass es diese Après-Ski Virenschleudern nicht mehr gibt und die wird es nicht geben. Wo ich schon einen Grant kriege ist, wenn die Liftbetreiber das zulassen, wie wir das im Herbst gesehen haben, dass sich ganz enge Schlangen bilden oder wenn nicht Vorsorge getroffen wird, dass es mit Quadratmeter-Regeln eine Reduktion in den Gondeln gibt. Die können nicht voll sein.

Aber auf ein Datum wollen Sie sich nicht festlegen?

Es wird nur ein schrittweises und behutsames Öffnen sein können. Das ist jetzt Ende November noch verfrüht. Wir werden uns nächste Woche anschauen, was überhaupt rund um den 8. Dezember möglich ist. Schulen, besonders Pflichtschulen werden ein wichtiger Punkt sein. Mein Vorschlag ist, dass stärker kontrolliert wird. Und das betrifft nicht nur Liftbetreiber, sondern auch große Kaufhäuser, ob es jetzt Möbelgeschäfte sind oder sonst welche, die hier mit völlig unverantwortlichen Rabattschlachten die Virusausbreitung begünstigen.

Rabattschlachten, die nach den Vorgaben der Regierung aber nicht illegal waren.

Eh nicht, aber es geht um so etwas wie eine gesellschaftliche und soziale Verantwortung von Unternehmen. Es wird sicher stärker kontrolliert werden und die Einkaufszentren, die sich da nicht daran halten, müssen damit rechnen, dass sie gröbere Probleme kriegen - und zwar zurecht.

Höre ich da durch, am 8. Dezember ist der Handel wieder offen, aber es wird scharf kontrolliert?

Jedenfalls müssen Einkaufszentren und diese verhaltensauffälligen Möbelhäuser mit wesentlich schärferen Kontrollen rechnen. Sie sind angehalten, die Sicherheitskonzepte stärker auszuweisen, wie halten sie die Quadratmeter-Regel ein, den Abstand in den Geschäften. Das wird mit Sicherheit verlangt werden und auch viel schärfer kontrolliert. Da bin ich mit dem Innenminister schon einig.