Wie bewerten Sie die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs? Ist das ein Schlag ins Gesicht der Regierung? Oder haben wir es mit der übliche Praxis zu tun, dass der VfgH immer wieder Gesetze oder Verordnungen aufhebt?
BERND CHRISTIAN FUNK: Wir haben es mit einer besonderen Konstellation zu tun. Es ist nicht ungewöhnlich, dass durch Fehlleistungen des Gesetzgebers oder der Behörde Fehler passieren. Dafür gibt es ja den Verfassungsgerichtshof als Prüfungsorgan. Das ist nicht außergewöhnlich. Die Entscheidungen sind allerdings wegen der Tragweite der Maßnahmen von besonderer Aktualität.

Dass die Höchstrichter die Verordnung zu den Ausgehbeschränkungen gekippt haben, ist doch verheerend?
BERND CHRISTIAN FUNK: Wir haben hier die pikante Situation, dass Maßnahmen getroffen worden sind, die zum Teil gesetzwidrig waren, die aber gleichzeitig höchst wirksam waren. Hier liegen Fehler in der legistischen Routine und Qualität vor. Dias Verbot des Betretens öffentlicher Orte ist sehr bald von Kollegen, etwa  Alfred Noll, zurecht kritisiert worden. Andererseits gab es natürlich einen enormen zeitlichen Druck. Hätte das Gesundheitsministerium den Verfassungsdienst einbezogen, wäre das womöglich nicht passiert.

Kann jemand, der wegen des Ausgehverbots zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, nun sein Geld zurückfordern?
BERND CHRISTIAN FUNK: Grundsätzlich ist es nur dann möglich, wenn man das Organstrafmandat nicht bezahlt, sondern beeinsprucht hat. Wer die Strafe bezahlt hat, bei dem ist der Zug abgefahren. Da gibt es keine Möglichkeit. Was nicht geht, ist eine Generalamnestie dass man eben sagt: Von nun an sind alle Bußgelder zurückzuzahlen und alleVerfahren einzustellen. Zweiteres kann man noch.

Wir haben es hier also schon mit einem ordentlichen juristischen Patzer, einen handwerklichen Fehler zu tun, der nicht nur der Schnelllebigkeit der Ereignisse geschuldet ist?
BERND CHRISTIAN FUNK: Es bestand viel Luft nach oben, um diese legistischen Mängel zu vermeiden. Das hätte nicht passieren dürfen.

Was hätten die Juristen im Sozialministerium bei der Ausformulierung der Verordnung anders machen müssen?
BERND CHRISTIAN FUNK: Sie haben es sich relativ einfach gemacht. Sie haben mit einer Generalklausel gearbeitet und sinngemäß geschrieben „Verboten ist das Betreten öffentlicher Orte“. Es hätte genügt, wenn jemand elementare, juristische Grundkenntnisse angewandt hätte, die da lauten: Wenn im Gesetz das Betreten bestimmter Orte verboten ist, dann ist es nicht zulässig, in einer Verordnung generell das Betreten aller öffentlichen Orte zu verbieten. Man hätte sich die Mühe machen müssen, in einem Katalog auszuweisen, welche öffentlichen Orte davon betroffen sind.

Zur 400 Quadratmeter-Entscheidung: Können Handelsketten, die ihre Geschäfte nicht öffnen konnten, weil sie eine große Verkaufsfläche haben, den Staat auf Schadenersatz klagen?
BERND CHRISTIAN FUNK: Ich halte das durchaus für erwägenswert. Diese Leute sind durch die Rechtswidrigkeit einer Verordnung unmittelbar gehindert worden, ihre geschäftliche Tätigkeit auszuüben. Da könnte ein Schadenersatzanspruch unter dem Titel der Amtshaftung erfolgreich sein.

Das gilt auch für jene, die Opfer der Regelung waren, ohne vor Gericht gezogen zu sein?
BERND CHRISTIAN FUNK: Ich meine schon. Wegen der zeitlichen Enge konnte niemand Rechtsmittel ergreifen, die sofort wirksam geworden wären.

In einem Punkt gab der VfGH der Regierung recht, dass Unternehmen nicht nach dem Epidemie-Gesetz entschädigt werden müssen?
BERND CHRISTIAN FUNK: Nach der alten Rechtslage war es so, dass es bei Eingriffen in die Berufsausübung Einzel-Entschädigungen vorzunehmen waren. Nun hat der VfGh einen Systemwechsel vorgenommen. An der Stelle der punktuellen Einzelverfahren für betroffene Unternehmen hat man in Hinblick auf die Reichweite dieser Pandemie ein System von Unterstützungen und Beihilfen eingeführt. Der Beschwerdeführer hatte vorgebracht, dass es sich um einen Eingriff in das Eigentumsrecht handelt. Statt des Einzelfalls-Systems ist ein generelles System getreten, bei dem Betroffene, sehr wohl Rechte besitzen.

Zahllose Unternehmer klagen allerdings, dass sie nur partiell für den Verlustentfall entschädigt werden. Nach dem alten Epidemie-Gesetz wären sie umfassender entschädigt worden.
BERND CHRISTIAN FUNK: Das ist eine Frage der rechtspolitischen Gestaltungsfreiheit, die der VfgH dem Gesetzgeber zubilligt. Es mag schon sein, dass neue Ungleichgewichte entstehen, nur liegt das in der gesetzgeberischen Beurteilungsfreiheit. Das Gesetz darf nicht exzessiv gleichheitswidrig sein.