In den kommenden zwei Tagen dreht sich in der Wiener Hofburg alles um ein Thema, das in Corona-Zeiten deutlich an Brisanz verloren hat - die illegale Migration. Für heute, Mittwoch, und Donnerstag hat Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) nun zu einem Migrationsgipfel geladen, um die Lage zu bewerten und neue Maßnahmen zu ergreifen. Neben Deutschlands Innenminister Horst Seehofer werden auch die Innen- bzw. Migrationsminister aus Dänemark, Griechenland, Slowenien, Tschechien und Ungarn sowie Staatssekretäre aus Polen und Slowakei erwartet.

Dass das einstige Dauerthema in Corona-Zeiten in den Hintergrund geraten war, ist nicht verwunderlich. Denn Lockdown und Co. bescheren Österreich einen beachtlichen Rückgang der Asyl-Antragszahlen.

Während im Jänner die Zahl im Vergleich zum Vorjahr deutlich nach oben gestiegen war, fiel sie im April um ganze 65,7 Prozent. Das zeigt die Asylstatistik des Innenministeriums.

Die Asylstatistik des Innenministeriums aus 2020 zeigt den deutlichen Abfall bei den Antragszahlen mit Beginn des Lockdowns.
Die Asylstatistik des Innenministeriums aus 2020 zeigt den deutlichen Abfall bei den Antragszahlen mit Beginn des Lockdowns. © BMI

Schlepperei trotz geschlossener Grenzen

"Die Schlepperei hat aber trotz Corona-bedingter Grenzschließungen nie aufgehört". Das erklärt Gerald Tatzgern, Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität und des Menschenhandels, im Gespräch mit der "Kleinen Zeitung". "Geschlossene Grenzen und fast gänzlich gestoppter Personenverkehr machen es den Schleppern natürlich schwerer. Aber weil die Menschen weiterhin hohe (und in der Krise teils noch höhere) Summen dafür bezahlen, lassen sie sich neue Wegen einfallen." Diese führen laut Tatzgern aktuell vor allem über den Warenverkehr, "denn der ist ja nie gestoppt worden".

Erst vor wenigen Tagen sei ein LKW in Nordmazedonien gestoppt worden. Im Anhänger kauerten 211 Personen, dicht zusammengepfercht. "Zwei Drittel von ihnen haben einen Mund-Nasen-Schutz getragen. Eine traurige Ironie." Aufgriffe wie diese gab es auch in anderen Balkanländern, neben LKWs wurden Migranten auch in Containern und Transportern geschmuggelt.

© AP

120.000 Personen sitzen fest, einige wollen nach Österreich

Die geschlossenen Grenzen führen jedoch auch dazu, dass viele Migranten nun in Ländern entlang der Balkan-Route festsitzen, in denen sie eigentlich nicht bleiben wollten. "Wir gehen davon aus, dass entlang der Route - Griechenland eingeschlossen - 100.000 bis 120.000 Menschen festsitzen", erklärt Tatzgern.

Gehen die Grenzen in absehbarer Zeit wieder auf, wird das auch Österreich zu spüren bekommen. "Sobald der Personenverkehr wieder zunimmt, wird es für die Schlepper wieder leichter. Und die Menschen machen sich wieder auf den Weg." In den aktuellen Ländern sei die Lage oft schon für Einheimische schlecht, Migranten hätten kaum Chancen, dort dauerhaft Fuß zu fassen. Zudem sei die Versorgung schlecht. "Viele wollen deshalb weiter - unter anderem auch noch Österreich." Damit solle keine Panik verbreitet werden, sagt Tatzgern. "Man muss die Lage aber ernst nehmen."

Gerald Tatzgern, Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität und des Menschenhandels
Gerald Tatzgern, Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität und des Menschenhandels © APA/HELMUT FOHRINGER

Juli und August sind seit jeher "Hauptsaison" für die Schlepperei über das Meer, das in diesen Monaten dank warmem Wetter besonders ruhig und passierbar ist. Deshalb verzeichne man laut Tatzgern trotz Corona bereits jetzt eine erneute Verstärkung des Migrationsdrucks aus der Türkei Richtung Griechenland.

"Ein zweites 2015 werden wir nicht mehr erleben"

"Ein zweites 2015 werden wir in der Form aber sicher nicht mehr erleben", sagt Tatzgern. "Wir sind heute deutlich besser vorbereitet." Seither habe sich viel getan, heute gebe es eine enge Zusammenarbeit zwischen den Staaten entlang der Routen. Diese solle auch bei der Konferenz weiter intensiviert werden. Das Ziel: Die Migranten bereits in den einzelnen Ländern aufgreifen, prüfen, wie sie eingereist sind und sie in das Erstankunftsland zurückzuschicken. Darüber, dass es sich dabei bei den meisten um das seit Jahren heillos überforderte Griechenland handelt, macht sich auch Tatzgern keine Illusionen. "Hier ist natürlich die EU gefordert, zu einer einheitlichen Lösung zu kommen." Aktuell nützen die Schlepper diese Schwachstelle der EU für ihre Machenschaften aus.

Da eine Entsprechende Einigung aktuell nicht in Sicht ist, setzen Tatzgern und seine Kollegen in den Balkanländern auf eine andere Strategie - mit den Herkunftsstaaten verhandeln. "Wir als kleines Österreich können hier ja nicht viel ausrichten, aber wenn sich hier mehrere Staaten zusammentun, kann das funktionieren." Österreich werde hier als Drehscheibe funktionieren. "Wir als kleines, neutrales Land können mit allen reden."