Sie haben kürzlich in einem Interview gesagt, dass sich Ihre Amtszeit bald dem Ende zuneigen sollte. Haben Sie schon genug von Ihrer Kanzlerschaft?

Brigitte Bierlein: Nein, das ist es selbstverständlich nicht. Aber Sie kennen unser Amtsverständnis. Wir haben als Expertenregierung in einer außergewöhnlichen Situation übernommen, um Schaden von der Republik abzuwenden. Und das, indem wir verwalten und die Besetzung einiger hochrangiger Posten und das Erlassen von Gesetzen der nächsten Regierung überlassen. Ich wünsche mir also nicht, dass das zu Ende geht, da es sich um eine der abwechslungsreichsten und spannendsten Zeiten meines Lebens handelt. Aber weil wir vor allem verwalten, sollte diese Phase in absehbarer Zeit ein Ende finden. Weil das Selbstverständnis dieser Amtsführung der Republik auf Dauer nicht guttäte.

Können Sie nachvollziehen, dass viele Beobachter enttäuscht von eben dieser passiven Amtsführung sind? Vor allem beim Thema Parteienfinanzierung wurden große Hoffnungen in die parteilose Regierung gesetzt, etwas zu ändern.

Ja, das kann ich nachvollziehen. Aber es war eben unser – mit dem Bundespräsidenten abgestimmter – Ansatz, die nachfolgende Regierung nicht mit dem Verabschieden von neuen Gesetzen zu präjudizieren oder finanziell zu belasten. Im freien Spiel der Kräfte sind ohnehin einige Beschlüsse im Nationalrat erfolgt, die zwar nachvollziehbar, aber äußerst kostenintensiv sein und die Regierung belasten werden. Zum Beispiel Pensionsbeschlüsse.

Werden Sie diese Passivität aufrechterhalten können, wenn sich die Koalitionsverhandlungen weiter in die Länge ziehen? Zahlreiche Personalentscheidungen stehen aus, unter anderem die Bestellung eines neuen Verfassungsgerichtshof-Präsidenten.

Nein, das wird nicht gehen. Sollten die Verhandlungen wirklich länger dauern, müssen wir unsere Strategie in Absprache mit dem Bundespräsidenten wohl ändern. Einige Spitzenpositionen in diesem Land kann man nicht länger unbesetzt lassen. Da werden wir uns dann einbringen müssen, ebenso wie bei manchen Gesetzen und Reformen. Da möchte ich aber nicht ins Detail gehen.

Haben Sie sich für Ihr Aktivwerden eine Deadline gesetzt?

Nein. Ich gehe davon aus, dass man in den nächsten Tagen hören wird, dass eine Regierungsbildung stattfinden kann. Sollte es länger dauern, zum Beispiel bis in den Februar hinein, müssten wir unsere Herangehensweise ändern.

In der Serie „The Crown“ erklärt die dargestellte Queen Elisabeth II.: „Nichts zu tun, nichts zu sagen ist das Schwierigste an diesem Job.“ Haben Sie sich damit auch manchmal schwergetan?

Nein, eigentlich nicht.

Ihrem Justiz- und Ihrem Verteidigungsminister fiel das offenbar deutlich schwerer, beide schlugen lautstark Alarm für ihre Ressorts. Hat Sie das geärgert?

Geärgert hat es mich nicht, die beiden haben mit ihren Wahrnehmungen nicht unrecht. Allerdings haben wir nur ein provisorisches Budget und wollen keine eigenen Gesetze auf den Weg bringen. Auch aus meiner langjährigen Arbeit im Strafrechtsbereich weiß ich um den Zustand der Justiz.

Apropos Justizbereich: Der Buwog-Prozess rund um Grasser und Co. feierte kürzlich ein trauriges Jubiläum, zwei Jahre dauert er schon. Zu lang in Ihren Augen?

Natürlich handelt es sich hier um ein sehr komplexes Verfahren, das sich nicht von heute auf morgen erledigen lässt. Aber zehn Jahre Ermittlungen und Prozess sind einfach zu lang. Man wird sich etwas überlegen müssen, um die Dauer solcher Großverfahren zu reduzieren.

Wie schwierig ist es, Kanzlerin dieser Republik zu werden, wenn man wie Sie ohne politische Vorerfahrung in dieses Amt kommt?

Das war wirklich ein Sprung ins kalte Wasser. Ich durfte schon zuvor in meiner juristischen Laufbahn viel Verantwortung tragen. Aber die Verantwortung für eine gesamte Regierung und für dieses Haus zu übernehmen, in dem ich gar nicht alle der mehr als 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter persönlich kenne, war eine große Umstellung. Aber diese aufregende Tätigkeit wird durch mein Team deutlich erleichtert. Und man hat den Vorteil, dass man nicht wiedergewählt werden muss.

Dabei hätten Sie gute Chancen auf eine Wiederwahl. Ihre Regierung genießt aktuell Beliebtheitswerte, von denen andere nur träumen können. Macht Sie das stolz oder nachdenklich?

Das hat mich sehr überrascht, das gebe ich zu, und es freut mich natürlich. Ich glaube, dass wir in den Augen der Bevölkerung einfach Ruhe und Gelassenheit in die damals so aufgeheizte Situation gebracht haben. Und es hat den Menschen gezeigt, dass der Staat funktionieren kann, ohne dass Lärm gemacht wird.

Mit der neuen Regierung wird es also wieder lauter. Werden Sie darin als Justizministerin vertreten sein?

Ich würde nicht sagen, dass es lauter wird. Meine derzeitige Funktion ist hochinteressant und wunderschön, aber ich strebe keine politische Funktion mehr an. Sie kennen meine Jahresringe: Irgendwann sollte man für die Jüngeren Platz machen.

Sollte Türkis-Grün kommen: Glauben Sie, dass diese Regierung erstmals die vollen fünf Jahre durchhalten könnte?

Ich hoffe es sehr, aber wer kann das schon wissen. Ich habe die Verlängerung auf fünf Jahre im Jahr 2011 für gut befunden, weil damit genug Zeit für Sacharbeit bleibt, ohne gleich wieder auf die nächste Wahl schauen zu müssen. Heute überlege ich aber, ob die Verlängerung wirklich eine gute Idee war.

Nervt Sie die Frage danach, wie es ist, die erste Bundeskanzlerin im Land zu sein?

Nein und ich verstehe auch, warum man mich das fragt. Mit ein Grund, warum ich diese Tätigkeit übernommen habe, war, für die Sache der Frauen ein gutes Zeichen zu setzen. Ich gehe davon aus, dass es so rasch keine Bundeskanzlerin geben wird. Und ich finde, dass es an der Zeit war.

Welchen Rat haben Sie für die jungen Frauen in diesem Land?

Eine gute Ausbildung zu machen – wenn das möglich ist – und zielstrebig zu sein. Denn es wird einem nichts geschenkt. Und man sollte sich einen Bereich aussuchen, der einem liegt. Obwohl Jus auch nicht meine erste Wahl war. Aber ich bin jeden Tag mit Freude zur Arbeit gegangen.

Sie wollten Künstlerin werden. Bereuen Sie nicht, das nicht gemacht zu haben?

Nein (lacht), das bereue ich nicht. Im Gegenteil. Ich hätte wohl nicht reüssiert.

Eine „Erste Frau in dieser Position“-Medaille gäbe es für Sie noch zu holen – Bundespräsidentin Brigitte Bierlein. Wie klingt das?
Das klingt schön, aber unrealistisch. Wir haben einen hervorragenden Bundespräsidenten und ich hoffe sehr, dass er noch einmal antreten wird. Ich sehe meine Kanzlerschaft als Höhepunkt meiner Karriere. Und wenn das vorbei ist, wird es wieder ruhiger.