Es kommt nicht allzu häufig vor, dass über eine einzelne politische Reform schon kurz nach ihrem Beschluss eigene juristische Fachliteratur verfasst wird. Bei der Ende vergangenen Jahres von der damaligen ÖVP/FPÖ-Koalition beschlossenen Reform der Sozialversicherungen ist das so: „Die Neuorganisation der Sozialversicherung in Österreich. Verfassungsrechtliche Grundprobleme“ heißt das im renommierten Manz-Verlag erschienene Buch, in dem prominente Juristen auf 222 Seiten das wohl größte Reformprojekt dieser Regierung zerlegen.

Ob sie mit ihrer Kritik – dazu gleich mehr – recht haben oder ob die juristischen Berater der Koalition – allen voran der jüngst verstorbene Staatsrechtler Bernhard Raschauer – richtiggelegen sind, die der Reform verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit attestiert haben, wird sich ab heute entscheiden.

Zwei Tage

Der Verfassungsgerichtshof nimmt heute seine Verhandlungen in der Sache auf: Ganze zwei Tage lang kommen Vertreter der SPÖ-Bundesratsfraktion, von Gebiets- und Betriebskrankenkassen, der Arbeiterkammern Tirol, Vorarlberg und Wien sowie der Bundeskammer, des Betriebsrats der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse, des Österreichischen Seniorenrats, des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht, mehrerer Versicherter sowie von 113 Dienstnehmern zu Wort, die zusammen 14 Anträge auf Gesetzesprüfung eingebracht haben.

Die Anträge – und die Kritik der Juristen – richten sich unter anderem gegen die Vereinigung der Gebietskrankenkassen und der Betriebskrankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK). Kern der Beschwerden ist, dass die Reform, die die Zahl der Sozialversicherungsträger von 21 auf fünf reduziert hat, gegen das in der Verfassung verankerte Prinzip der Selbstverwaltung verstoßen habe.

Die Kritikpunkte

Besonders kritisch sehen die Beschwerdeführer dabei, dass in den neuen Gremien der Kassen die Vertreter von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gleichermaßen repräsentiert sind – das sei bei mehr als drei Millionen Arbeitnehmern und nur rund 500.000 Arbeitgebern nicht gerechtfertigt.

Verfassungswidrigkeit wird etwa auch bei der Neugestaltung der Verwaltungskörper der Sozialversicherungsträger, der Einführung eines Eignungstests für die Mitglieder dieser Verwaltungskörper, der Neuregelung der staatlichen Aufsicht über die Sozialversicherungsträger sowie der Zusammenführung der Prüfung lohnabhängiger Abgaben und Sozialversicherungsbeiträge bei der Finanzverwaltung des Bundes unterstellt. Ein allzu schnelles Erkenntnis ist nach den beiden öffentlichen Verhandlungstagen heute und morgen jedenfalls nicht zu erwarten. Die Reform hängt so lange in der Luft.