Frau Rauskala, Sie sind jetzt seit etwas mehr als zwei Monaten Ministerin. Was haben Sie in dieser Zeit gelernt?

Iris Rauskala: Unglaublich viel. Wenn man aus der Präsidialsektion kommt, hat man den Fokus auf die administrativen Abläufe, aber hier im Amt, sieht man viel stärker, wie das System wirkt. Von der Elementarpädagogik bis hin zum Forschungssystem, dieser gesamte Bildungsbogen ist schon sehr beeindruckend.

Das ist sehr abstrakt. Was sieht man denn aus dieser gesamthaften Perspektive besser?

Zum Beispiel den größeren Bogen des Wohlfahrtsystems, zu dem die Bildung gehört. Dass Bildung natürlich für jeden Einzelnen wahnsinnig wichtig ist, dass wir aber auch als Gesellschaft größtes Interesse an Inklusion in das Bildungssystem haben, dass so viele Menschen wie möglich gut gebildet sind. Weil sich das nicht nur auf die spätere Erwerbstätigkeit, auf Steuer- und Pensionszahlungen auswirkt – sondern zum Beispiel auch auf das Gesundheitssystem. Gebildete Menschen sind besser in der Lage für sich selbst zu sorgen. Das sind wesentliche Faktoren, die wir in die Bildungsdiskussion grundsätzlich einbauen müssen.

Gerade bei der Inklusion hinkt Österreich im internationalen Vergleich hinterher – Bildungserfolg ist kaum in einem anderen entwickelten Land so sehr vom Elternhaus abhängig wie bei uns.

Da gibt es aus meiner Sicht durchaus Hausaufgaben, die die Politik zu erledigen hat. Der Befund, den sie erwähnt haben, ist seit längerer Zeit bekannt und man versucht auch seit längerer Zeit etwas zu tun. Wir müssen hier noch den Schritt weiterzugehen, damit wir so nah wie möglich an jedes einzelne Kind heran kommen. Es ist extrem wichtig, jedes einzelne Kind dort abzuholen wo es ist.

Das ist doch eine hohle Phrase. Was konkret muss sich ändern?

Wir müssen an jene Kinder besser herankommen, deren Eltern nicht so gut in der Lage sind das Kind zu fördern. Es ist in den letzten Jahren nicht gelungen, diese Lücken zu schließen. Das fängt damit an, dass wir Förderbedarf vernünftig feststellen und dann individualisierte, verpflichtende Maßnahmen ableiten. Das betrifft nicht nur das migrantische Eck, der sozioökonomische Hintergrund der Eltern ist entscheidend.

Geht das bis zum komplett verpflichtenden Kindergarten?

Wir verlieren bereits nach der Volksschule viele Kinder. Wir müssen also so früh wie möglich beginnen, Kinder ins Bildungssystem einzubinden. Die ersten Maßnahmen müssen schon im Kindergarten greifen – und wichtig ist, die Schnittstellen in den Griff zu bekommen. Wir haben derzeit keine verpflichtende Datenweitergabe zwischen Kindergarten und Volksschule, sodass man wieder von vorn anfangen muss.

Braucht es ein weiteres verpflichtendes Kindergartenjahr?

Wichtig wäre, das zweite Kindergartenjahr für Kinder verpflichtend zu machen, bei denen man Defizite feststellt. Wir dürfen Handys nicht vergessen, diese Dinger haben eine unglaubliche Wirkung auf die Entwicklung. Kinderärzte warnen schon, wenn Kinder von früh an Bildschirme in die Hand gedrückt bekommen, macht das im Kindergartenalter Entwicklungsunterschiede von bis zu zwei Jahren aus.

Der Staat kann ja Eltern nicht vorschreiben, ob und wie oft sie ihre Kindern vors Handy setzen.

Das ist richtig, aber man versucht es natürlich dezent. Wir versuchen in diesem Bereich der Elementarpädagogik stärker mit pädagogischen Konzepten einzuwirken. Und eben damit, ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr einzuführen.

Das ist eine Gratwanderung.

Man kommt da sehr, sehr rasch in die private Lebensführung von Eltern. Wir wissen, der Stress nimmt in allen gesellschaftlichen Schichten permanent zu. Und Eltern sind wahrscheinlich auch zunehmend froh und glücklich, wenn sie wissen ihr Kind ist in guter pädagogischer Betreuung.

In den Bildungsdebatten der letzten Monate ging es oft um Detailfragen: Ziffernnoten ja oder nein, Ethikunterricht . . . haben Sie das Gefühl, dass das Bewusstsein in der Politik für den großen Bildungsbogen da ist, den Sie angesprochen haben?

Ich denke schon. Wir haben uns in den letzten Jahren sehr auf institutionelle Debatten eingelassen, die nicht zwangsläufig das Gelbe vom Ei sind. Wenn wir bereits in der Volksschule Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien verlieren, ist die Gesamtschuldebatte obsolet – die Volksschule ist ja eine Gesamtschule. Wichtiger ist die Abstimmung der Systeme aufeinander – gerade im Hinblick auf frühkindliche Entwicklung müssen wir auch versuchen, die Sozial- und Gesundheitssysteme und das Bildungssystem besser miteinander abzustimmen, sodass wir Kinder so gut wie möglich abfedern.