Die Maxime von Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein ist löblich. Man werde keine politischen Initiativen ergreifen, keine Gesetzesentwürfe einbringen, keine inhaltlichen oder personellen Weichenstellungen vornehmen, weil es dem Selbstverständnis einer Beamtenregierung widerspreche. Nicht nur besitzt die vom Bundespräsidenten eingesetzte Übergangsregierung keine Mehrheit im Parlament, erstmals seit 1945 ist eine Regierung im Amt, die nicht aus freien Wahlen hervorgegangen ist, der also die direktdemokratische Legitimität fehlt. Verwalten statt gestalten, lautet die Devise.

Doch die neue politische Gemengelage könnte folgenschwere Konsequenzen nach sich ziehen - für rund 132.000 Schüler, die auf eine Nachmittagsbetreuung angewiesen sind. Das von Ex-Bildungsminister Heinz Faßmann mit den Ländern in den letzten Monaten ausverhandelte Bildungsinvestitionsgesetz harrt einer Beschlussfassung im Ministerrat, seit dem Auftauchen des Ibiza-Videos liegen alle Projekte auf Eis. Faßmanns Nachfolgerin, Iris Eliisa Rauskala, drängt auf eine baldige Behandlung im Ministerrat - bisher vergebens.

Das Gesetz sichert die Fortsetzung der bereits bestehenden Nachmittagsbetreuung für 132.000 Schüler ab September finanziell ab. Darüber hinaus sollten weitere 40.000 Betreuungsplätze im Sinn der Vereinbarkeit von Beruf und Familie geschaffen werden. Bleibt der mit den Landeshauptleuten akkordierte Entwurf, der bereits in Begutachtung war, in der Schublade, droht womöglich ab September ein veritables Betreuungschaos an den Schulen am Nachmittag.

„Ich sehe dann nur zwei Möglichkeiten“, erklärt Gemeindebundpräsident Alfred Riedl im Gespräch mit der Kleinen Zeitung. „Entweder wird die Betreuung ab September eingestellt, oder die Eltern werden zur Kassa gebeten.“ Riedl hat bereits Bundespräsident Alexander Van der Bellen kontaktiert. Im Bildungsministerium heißt es: „Die Zeit drängt. Die Ministerin versucht hartnäckig, das Vorhaben noch in den Ministerrat zu bringen“.

Ernst der Lage bewusst

Im Bundeskanzleramt ist man sich des Ernstes der Lage durchaus bewusst. „Die Begutachtung ist abgeschlossen. Wir werden schauen, wie wir damit weiterverfahren“, erklärt ein Sprecher der Kanzlerin zur Kleinen Zeitung. Hinter den Kulissen ist in Regierungskreisen zu erfahren, dass die Vorlage im Nationalrat als Initiativantrag eingebracht werden könnte – mit ungewissem Ausgang: Ein solcher Antrag müsste von einer Handvoll Abgeordneter initiiert werden. Faßmann gehört nicht dem Parlament an, kann also für sein Projekt nicht mehr werben.

Die Schwierigkeit ist eine andere: Nimmt der Nationalrat das Heft in die Hand, dürfte das mit den Ländern ausverhandelte Paket wieder aufgeschnürt werden. Mit unabsehbaren Folgen für den engen Zeitplan. Noch dazu müsste im Nationalrat erst eine Mehrheit gefunden werden. Denkbar wäre, dass die ÖVP das noch unter Türkis-Blau geschnürte Faßmann-Paket im Parlament einbringt. Die FPÖ hat allerdings verkündet, sie fühle sich nicht mehr der einstigen Koalitionsdisziplin verpflichtet.