Die Erkenntnis, dass Österreich heimlich von Beam regiert werde, ist nicht neu. Sie zieht sich wie ein roter Faden aus der Hofburg-Seidentapete durch unsere Geschichte. Und doch ist seit gestern Mittag alles anders, denn zwölf regierende Beamte stehen nun plötzlich nicht mehr im Schatten, sondern im Zentrum der Politik. Nicht mitgerechnet ein Bundespräsident, der als gelernter Universitätsprofessor ebenfalls Beamter ist.

In der Krise sollen es also jene richten, die eben noch viel geschmäht und oft verdächtigt wurden – als Privilegienritter, Intrigenspinner oder schlicht als zu bequem für die Privatwirtschaft. Nicht nur in Stammtischwitzen sind die pragmatisierten Staatsdiener seit jeher begehrte Prügelknaben, auch die politische Programmatik greift gerne in diese Kiste.

Die Folge des legendär schlechten Rufs: Als Berufsstand hätten die Beamten den Privatisierungs- und Liberalisierungsfuror der letzten Jahrzehnte fast nicht überlebt. „Beamte weg?“, fragte schon 1991 das deutsche Magazin „Der Spiegel“. In Österreich wurde 2003 unter viel Beifall ein Pragmatisierungsstopp ausgerufen, nur Justiz, Polizei und Heer blieben verbeamtet.

Kein Relikt, sondern Garant der Legalität

Dabei läuft ohne die Beamten im Rechtsstaat nichts. Sie sind kein anachronistisches Relikt, sondern die fleischgewordene Garantie der verfassungsmäßig verbürgten Legalität. Jegliches Verwaltungshandeln nur auf Basis von Gesetzen: Das ist das Versprechen, das der Beamte unter Missachtung aller Partei- und Privatinteressen erfüllen muss.
Nicht zufällig geht das heimische Berufsbeamtentum auf den aufgeklärten Absolutismus zurück: Kaiser Joseph II. wollte die Macht des Adels in der Verwaltung zurückdrängen und schuf den „bürgerlichen“ Staatsdiener, der streng auf den Kaiser und die Gesetze verpflichtet war.
Dieser Beamte zeichne sich durch eine „warme Seele für des Staates Bestes und eine vollkommene Entsagung seiner selbst und aller Gemächlichkeiten“ aus, forderte der Kaiser anno 1783. Das war nicht weniger als eine Absage an die Willkür staatlicher Macht.

In der nachnapoleonischen Ära des 19. Jahrhunderts wurden Beamte europaweit zum Rückgrat des Verfassungsstaates. Österreich hinkte freilich bald hinterher, weil Kaiser Franz Joseph I. sein Heil im Neoabsolutismus suchte und die Entwicklung konstitutionell verbriefter Garantien nach Kräften verzögerte. Wie viel vom „josephinischen Geist“ in der Monarchie am Beginn des Ersten Weltkriegs noch übrig war, ist bis heute Gegenstand engagierter Debatten.

Was wäre die österreichische Literatur ohne sie?

Die Literatur jedenfalls nahm sich eifrig der ergiebigen Doppelgestalt des heimischen Beamtentums als Bremser und Förderer von Veränderung an. Schnurren aus den Tiefen der längst versunkenen kakanischen Tintenburgen finden sich bei Franz Kafka und Heimito von Doderer ebenso wie bei Robert Musil oder Franz Grillparzer. Letzterer war selbst ein Beamter, in 43 staatlichen Dienstjahren brachte er es zum Direktor des Hofkammerarchivs.

Dass die liebevoll-bösartigen Schilderungen bürokratischer Ineffizienz bis heute unseren Blick auf den Staatsdienst prägen, kommt freilich nicht von ungefähr. Denn die spezifische Verlässlichkeit des bürokratischen Betriebs gibt es nur um den Preis von Langsamkeit, Formalismus und Genauigkeit bis hin zur Pedanterie.

Während sich nämlich die Arbeitswelt ringsum rasant gewandelt hat und in den Büros und Fabriken kein Stein auf dem anderen blieb, sitzt der Amtsschimmel von ehedem noch immer unangefochten im Sattel. „Die Arbeitswelt ändert sich, unsere Werte haben Bestand“, liest man auf der Homepage der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, die immerhin 250.000 Menschen vertritt.

Tatsächlich ist das Beamtentum bis heute durch eine Dominanz von Hierarchien, Konventionen und auch Distinktionen geprägt. Ein Gehaltsschema mit starren Einstufungen, Dienstklassen und Amtstiteln, dazu das strikte Disziplinarrecht und das Anciennitätsprinzip pressen das amtliche Getriebe in ein enges Korsett. „Sektionschef Tuzzi besaß das Recht, die übrigen leitenden Beamten zu sich rufen lassen zu können“, spricht etwa Musil die hierarchische Feingliederung im „Mann ohne Eigenschaften“ an.

Im Kontrast zum amorphen Fluidum in vielen Privatfirmen mag das Beamtendienstrecht rasch wie ein kafkaeskes Regelwerk um seiner selbst willen wirken. Doch die Alleinstellung dieser behäbigen Organisationsform macht sie zu einer Säule der Stabilität. Das ist übrigens nicht neu: Schon der antike griechische Schriftsteller Plutarch sah das Beamtentum als „einen festen Anker“ für einen „ungewiss schwankenden Staat“ zwischen Tyrannei und Populismus.

Zunehmender Rechtfertigungszwang

In der Zweiten Republik erfuhr das Beamten-Prinzip jedoch viel Verwässerung. Nachdem 1945 in einem der ersten Rechtsakte das „Gesetz über die Wiederherstellung des Beamtentums“ verabschiedet war, wurde in großem Stil auch in den nicht-hoheitlichen Bereichen des Staatshandelns pragmatisiert. Bei Post und Bahn gab es forthin „Beamte“, von denen niemand wusste, weshalb für sie Unversetzbarkeit und Unkündbarkeit notwendig waren. In den Ministerien wiederum bildete das parteipolitisch gebundene Beamtentum in den wachsenden Stäben der „politischen Büros“ ein Ärgernis. 

Spätestens mit den wachsenden Budgetnöten der 1970er-Jahre geriet der Beamtenstand in einen pauschalen Rechtfertigungszwang. Der nahm seither stetig zu, wobei vor allem das deutlich bessere Pensionsrecht der Beamten als ungerecht gilt. Je turbulenter der private Arbeitsmarkt wurde, desto privilegierter erschien der Staatsdienst. In der Folge musste auch er Federn lassen. Das öffentliche Dienstrecht wurde für Neueinsteiger weitgehend ans Privatrecht angeglichen. Heute sind nur mehr 53 Prozent der öffentlich Bediensteten „definitiv gestellt“, wie die Unkündbarkeit im Amtsdeutsch heißt. Weil der Nachwuchs fehlt, ist der Durchschnittsbeamte heute 46 Jahre alt, gegenüber 38,5 Jahren Altersschnitt in der Privatwirtschaft.

Die Gesamtzahl der öffentlich Bediensteten ist indes seit Jahren stabil. Beim Bund und bei den Ländern arbeiten je rund 150.000, bei den Gemeinden rund 80.000. Der Großteil sind Lehrer und Polizisten. Nimmt man hingegen das eigentliche Führungspersonal der Republik, hat man es mit rund 9000 Menschen zu tun, die in den Ministerien das Rückgrat der Verwaltung bilden. Sie zumindest dürften auch in Zukunft in ihrer Sonderstellung unverzichtbar bleiben. Oder, wie Ex-Rechnungshofpräsident Franz Fiedler einmal schrieb: „Entgegen realitätsfernen Ansichten wird und muss es den österreichischen Beamten auch weiterhin geben.“