Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, dass der Karfreitag nach dem Gleichheitsprinzip für alle als Feiertag zu gelten hat, lag der Ball bei der Regierung, eine Lösung zu finden, mit der alle gut leben können.
Für die Evangelischen ist der Karfreitag von zentraler Bedeutung. Es gäbe kein Ostern, keine Auferstehung ohne den Karfreitag.

Der Blick auf das Kreuz erinnert uns, dass Gott nicht drübersteht, sondern mitten im persönlichen Leiden und im Leiden der Welt gegenwärtig ist, auch wenn wir das nicht immer spüren und wahrnehmen, sondern immer wieder mit Jesus und dem Psalmisten anklagend fragen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Das zu verstehen und zu begreifen ist Herausforderung und Zumutung. Denn viel sympathischer ist uns Ostern, das Fest der Auferstehung und des Sieges über Tod und Elend. Aber das eine ist ohne das andere nicht zu haben.

Kraft aus Glauben schöpfen

Für Luther und die Reformatoren war der Blick auf das Kreuz entscheidend, es macht uns bewusst, dass wir von uns aus nicht in der Lage sind, uns selber zu erlösen. Erlösung und Befreiung sind ein Geschenk. Christus ist für uns durch Tod und Hölle gegangen, um die Welt zu erlösen und um uns zu ermutigen, für die Würde des Menschen, für Freiheit, Gerechtigkeit und die Liebe einzutreten und aufzustehen. Das Kreuz hat eine vertikale und eine horizontale Ausrichtung. Das bedeutet: Wir sind mit Gott verbunden. Er ist ganz nah, er ist bei uns, auch wenn wir leiden und mit unserem Schicksal hadern. Aus diesem Glauben heraus sollen wir Kraft schöpfen für das Miteinander, sollen wir Orientierung erhalten für die persönliche und gemeinschaftliche Lebensgestaltung.

Die Gottesdienste in unseren Gemeinden sind an diesem Tag voll, der freie Tag ermöglicht und gewährleistet die freie Religionsausübung. Die meisten Gottesdienste finden am frühen Vormittag statt, das heißt, dass ein halber Feiertag ab 14 Uhr für viele Evangelische, die am Vormittag arbeiten müssen, eine massive Schlechterstellung bedeuten würde. Sie müssten sich trotz halben Feiertags für den Besuch des Gottesdienstes freinehmen, das ist untragbar und diskriminierend.

Karfreitag: Bedeutung für alle Christen

Der Karfreitag betrifft nicht nur uns Evangelische, er ist für alle Christen von Bedeutung. Wir haben vor wenigen Tagen eine Unterschriftenaktion im Netz gestartet, einen Aufruf, dafür einzutreten, dass der Karfreitag ein ganzer Feiertag für alle sein soll. Bereits nach drei Tagen haben über 18.000 Menschen unterschrieben. Wir wollen damit politischen Druck erzeugen und signalisieren, dass wir gegen eine halbe Lösung vehement protestieren. Es ist erfreulich und tut gut, dass viele Katholiken unser Anliegen mittragen und unterstützen, obwohl ich mir von offizieller Seite und aus der Ökumene mehr Rückenstärkung und deutlichere Worte gewünscht hätte. Diese Aktion liegt als Unterschriftenliste in den Gemeinden auf.

Die öffentliche Diskussion um den Karfreitag als ganzen Feiertag für alle wurde aber nicht theologisch geführt, sondern sie lief sofort in eine völlig andere Richtung. Die Wirtschaft hat sich unmittelbar zu Wort gemeldet und die Argumente, die nicht neu sind, vorgebracht: Einen zusätzlichen Feiertag könnten wir uns nicht leisten, wir haben sowieso schon zu viele Feiertage etc. Bei aller Wertschätzung tüchtigen und erfolgreichen Wirtschaftens glaube ich, dass uns und unserer Gesellschaft die Feiertage guttun.

Möglichkeit zum Auftanken

Jeder Feiertag gibt Raum, dem Glauben Gestalt zu geben, innezuhalten und – ob religiös oder nicht – die Möglichkeit, aufzutanken und sich persönlich zu entfalten. Feiertage haben besonders in unserer so beschleunigten und aufgeheizten Zeit auch therapeutische und reinigende Wirkung. Wenigstens für einige Stunden und Augenblicke aus dem Hamsterrad treten und das eigene Leben reflektieren, Ruhe und Entspannung genießen.

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, er braucht geistige und geistliche Nahrung. Wir stärken das soziale und gesellschaftliche Zusammenleben, wir fördern Integration, Toleranz und gegenseitige Wertschätzung, wenn wir jeder anerkannten Religionsgemeinschaft die Möglichkeit einräumen, ihren wichtigsten Feiertag frei zu feiern und zu gestalten. Es darf uns nicht schrecken, ja, es wäre aus meiner Sicht ganz selbstverständlich und konsequent, dass Juden und Muslime ihren Feiertag haben und begehen sollen. Es tut allen anderen gut, diese Feiertage mitzubedenken und mitzubegehen, so wie wir die katholischen Feiertage nützen und dafür dankbar sind.

Kein finanzieller Ruin

Bereits um 1800 schreibt der Dichter Novalis: „Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren sind Schlüssel aller Kreaturen“. Ein weiterer Feiertag wird unser Land sicherlich nicht in den finanziellen Ruin treiben, davon bin ich überzeugt und manchmal ist im Leben weniger mehr. Vielleicht sind es gerade die Feiertage oder die Feierkultur, die unser Land auszeichnet, und die oft zitierte Gemütlichkeit oder Gelassenheit ein wesentlicher Schlüssel für ein erfülltes Leben, abseits von Zahlen, Fakten und Gewinnen.

Es freut mich, dass sich Arbeiterkammer und Gewerkschaftsbund so klar und deutlich positioniert haben und mit uns für einen ganzen Feiertag kämpfen. Unterschiedliche Vorschläge wurden ins Spiel gebracht.
Mit dem Zeitdruck stieg die Erwartung, dass die Regierung dafür einsteht, dass uns dieser Tag als Feiertag erhalten bleibt und unsere Minderheitsrechte gewahrt bleiben. Ja, ich hatte eine Zeit lang sogar die Hoffnung, dass sich die Regierung zu einem mutigen Schritt durchringen kann, zu einem ganzen Feiertag für alle, der nicht nur uns Evangelische, sondern auch andere anerkannte Religionsgemeinschaften im Blick hat. Diese Erwartung wurde bislang enttäuscht. Trotzdem hoffe und bete ich, dass die Regierung einlenkt und die angekündigte halbe Lösung verwirft.