Das Match zwischen der türkis-blauen Bundeskoalition und der rot-grünen Stadtregierung in Sachen Mindestsicherung ist am Freitag in die nächste Runde gegangen. Nach der heftigen Kritik durch Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Donnerstag, teilte nun Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) aus: Er sprach bei der Regierungsklausur in Mauerbach von einem "Förderprogramm für tschetschenische Großfamilien".

"Wir haben es mit zwei Modellen zu tun: Auf der einen Seite eine rot-grüne Stadtregierung, die offensiv für ein Förderungsprogramm für tschetschenische Großfamilien eintritt", so Strache. 70 Prozent der Mindestsicherungsbezieher in Wien hätten Migrationshintergrund. Daran erkenne man, wofür die rot-grüne Stadtregierung stehe. Es gehe ihr nicht darum, die sozialen Probleme der eigenen Bürger zu lindern - "das ist eine Beleidigung gegenüber der Wiener Bevölkerung", so Strache in Richtung Wiener SPÖ, die die gestrigen Ausführungen von Kurz als "massive Beleidigung der Wiener" bezeichnet hatte.

Die Wiener Stadtregierung, die die Mindestsicherungsreform nicht umsetzen will, stelle sich hin und sage: "Gesetze interessieren uns nicht, wie werden das verweigern, wir stellen uns außerhalb des Verfassungsbogens." Wer ein solches Verständnis habe, sollte zurücktreten, so Strache. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) "hat seine Stadträte nicht im Griff". "Es kann nicht sein, dass weiterhin eine Zuwanderung ins Sozialsystem forciert wird."

"Wien hinkt hinterher"

Auch Kanzler Kurz, der gestern gemeint hatte, in Wien würden in vielen Familien in der Früh nur mehr die Kinder aufstehen, weil die Eltern nicht arbeiten gehen, legte heute in seiner Kritik an der Bundeshauptstadt nach. Auf die Frage, ob er bei dieser Aussage bleibe, antwortete er: "Ich bleibe bei den Fakten." In Wien gebe es 13 Prozent Arbeitslose und 15.000 Obdachlose und jeder zweite Mindestsicherungsbezieher sei ein Ausländer. Es gebe ein massives Wachstum an Beziehern. "Mein Bild von einem erfolgreichen Österreich schaut anders aus. Wien hängt im Vergleich mit den anderen Ländern deutlich hinterher. Wir helfen der Stadt Wien, die Trendwende zu schaffen", so Kurz.

Die Bundeshauptstadt habe die höchste Zahl an Zuwanderern, die ins Sozialsystem einwandern. Auch beim Schuldenabbau mache Wien nicht mit. "In Wien gibt es eine massive Überschuldung." Die Stadt Wien sollte in einen Dialog mit der Bundesregierung treten. Denn wenn man sozial sei, sollte man ein Interesse daran haben, dass die Menschen arbeiten und nicht immer mehr Menschen Mindestsicherung beziehen, so Kurz.

"Es kann nicht sein, dass der Arbeitende schlechter aussteigt. Das ist Gift für unsere Gesellschaft", so der Kanzler, der versicherte, dass die Reform verfassungsrechtlich und europarechtlich halten werde.

Dass die Bundesregierung am Freitag bei der Kritik an Wien nachgelegt hat, sorgt in der Bundeshauptstadt erneut für Empörung. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) setze seine "letztklassigen Angriffe" gegen die Wienerinnen und Wiener fort, konstatierte etwa Wiens SPÖ-Landesparteisekretärin Barbara Novak in einer Mitteilung.

"Der Kanzler schlägt wild um sich"

"Die Sozialdemokratie stellt sich nachdrücklich hinter die Wiener Bevölkerung. Wir werden es nicht zulassen, dass der österreichische Bundeskanzler die österreichische Bundeshauptstadt permanent schlecht redet", versprach die Parteimanagerin. Kurz agiere nicht wie ein Staatsmann, er schlage vielmehr "wild um sich" und wolle damit von den "vielen Unzulänglichkeiten" in seiner eigenen Partei ablenken - wobei der "BVT-Skandal" oder das "Caritas-Bashing" ins Treffen geführt wurden.

Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) zeigte sich erstaunt über die heutigen Aussagen, weil die Fakten und Zahlen ein komplett anderes Bild zeichnen, wie er beteuerte. Wien wird vom Bund derzeit nämlich nicht nur in Sachen Mindestsicherung angegriffen, herangezogen werden auch Arbeitslosenzahlen oder der Schuldenstand.

"Mit Dezember 2018 verzeichnete Wien mit rund 844.000 Beschäftigten einen Dezember-Höchstwert in der Zweiten Republik. Die Arbeitslosigkeit in Wien sinkt seit zwei Jahren durchgehend und ist in allen Bereichen unter die Werte von 2015 gefallen", konterte Hanke in einer Stellungnahme. Dies seien gute Nachrichten und das, obwohl die Bundesregierung "in der Arbeitsmarktpolitik jeden Tag Steine in den Weg legt". Kritisiert wurde etwa die "AMS-Segmentierungsstrategie" oder der Stopp der Aktion 20.000.

Hanke verlangt "faktenbasierte Diskussion"

Natürlich sei jede arbeitslose Person eine zu viel, befand der Ressortchef. Aber umso wichtiger wäre es jetzt, gemeinsam an einem Strang zu ziehen und Menschen in Beschäftigung zu bringen, "als eine medial groß inszenierte Kampagne gegen Wien aufzufahren". "Wenn die Bundesregierung eine faktenbasierte Diskussion führen will, könnte sie als allererstes damit aufhören, die Studie zur Aktion 20.000 zurückzuhalten", hielt Hanke fest.

"Wien ist und bleibt der unangefochtene Wirtschaftsmotor Österreichs", versichert er. Mit einer Wirtschaftsleistung von 92,36 Mrd. Euro (2017, Anm.) liege die Stadt mit Abstand auf dem ersten Platz aller Bundesländer: "Damit verzeichnet Wien einen Wert, der um mehr als 50 Prozent höher ist als jener des zweitplatzierten Oberösterreich." Nicht nur österreichweit, sondern auch international spiele Wien "an der Weltspitze mit".

"Auch bei den Wiener Finanzen wird sich Wien durch die Bundesregierung nicht aus der Ruhe bringen lassen", beteuerte der SPÖ-Politiker: "Wir verfolgen konsequent das Ziel, 2020 eine schwarze Null zu schreiben. Darüber hinaus verzeichnet Wien lediglich einen Pro-Kopf-Schuldenstand von 3.862 Euro. Damit liegt Wien genau im Mittelfeld aller Bundesländer." Die Schulden des Bundes würden hingegen 86,93 Prozent der gesamten öffentlichen Schulden der Republik ausmachen.

Zudem sei die Stadt Wien im Bundesländervergleich Nettozahlerin, rechnete der Stadtrat vor: "Während rund 26 Prozent aller Steuereinnahmen des Bundes aus Wien kommen, bekommt Wien nur rund 23 Prozent aus dem Finanzausgleich zurück."

Hashtag "#WienStehtAuf"

Unterdessen entwickelte sich - nach der gestrigen Aussage des Kanzlers zu spät aufstehenden Wienern - der Hashtag "#WienStehtAuf" auf den diversen Social-Media-Kanalen zum absoluten Renner. Auf Twitter führte er am Freitag sogar die heimische Trend-Hitliste an. Zahlreiche Menschen teilten dem Kanzler mit, bereits früh ihr Tagwerk begonnen zu haben. Geteilt wurden aber auch wissenschaftliche Daten zum Alltag von Arbeitslosen. Die Stadt selbst beteiligte sich ebenfalls - etwa in dem sie Frühaufsteher wie Mitarbeiter der MA 48 porträtierte. Sogar Sozialstadtrat Peter Hacker fügte den Tag an seine Facebook-Postings an.