Am Dienstag ist es ein Jahr her, dass Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) die Wiener Hofburg als Parteichefs betraten und als Kanzler und Vizekanzler wieder verließen. Die damals angelobte türkis-blaue Regierung, die nun „papierene Hochzeit“ feiert, hat seither 120 Gesetze ins Parlament geschickt, unzählige gemeinsame Auftritte absolviert und dabei stets erfolgreich öffentliche Streitigkeiten vermieden. An Wählergunst scheint es der Koalition auch nach diesem ersten Jahr im Amt nicht zu mangeln. Aktuelle Umfragen bescheinigen Kurz und Strache sowie ihren jeweiligen Parteien stabile Zustimmungswerte. Ein Überblick über die sechs größten Reformen von Türkis-Blau.

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12-Stunden-Tag

Der 12-Stunden-Tag erhitzte im Juli die Gemüter der Opposition. Die Regierung brachte die „Arbeitszeitflexibilisierung“, die den 12-Stunden-Tag ermöglicht, per Initiativeintrag ein und damit im Eiltempo durch. ÖVP und FPÖ sprachen bei der von Wirtschaft und Industrie seit einigen Jahren geforderten Reform von einer „Win-win-Situation“ für Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die mehr Freiheit bei der Einteilung der Arbeitszeit ermögliche. Zudem bleibe die Freiwilligkeit erhalten. Die Gewerkschaft lief Sturm und kritisierte massive Verschlechterungen für Dienstnehmer. Es folgten Demonstrationen und hitzige Debatten. Die Ausweitung der Höchstarbeitszeit trat dennoch am 1. September in Kraft.

Gewinner: Industrie und Wirtschaft, Arbeitnehmer, die flexibler arbeiten wollen

Verlierer: Arbeitnehmer, bei denen erste Verstöße gegen die Freiwilligkeit bekannt wurden

Aus für Rauchverbot

Ebenfalls per Initiativantrag hat die Regierung die Aufhebung des Rauchverbots in der Gastronomie beschlossen. Hitzige Debatten im Nationalrat und ein Volksbegehren für ein generelles Rauchverbot mit fast 900.000 Unterschriften änderten daran nichts. Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) verteidigte den Beschluss damit, dass man Suchtkranke nicht ausgrenzen solle.

Gewinner: Gastronomie und Raucher

Verlierer: Nicht-Raucher

Mindestsicherung

Im Ministerrat wurde ein bundesweit einheitliches Gesetz zur Mindestsicherung beschlossen. Bezieher dieser Sozialleistung, die nicht genug verdienen oder nicht genügend Versicherungsleistungen beziehen, um sich selbst zu erhalten, sollen künftig in jedem Bundesland maximal 863 Euro im Monat bekommen. Bei Wohnkosten und Sachleistungen dürfen die Länder aufstocken. Der Entwurf, der sich aktuell in Begutachtung befindet, sieht zudem Kürzungen für Familien mit mehr als zwei Kindern und für Menschen mit nicht ausreichenden Deutschkenntnissen vor. Familien bekommen künftig keinen Fixbetrag pro weiterem Kind, sondern degressiv gestaffelte Aufschläge. Wer nicht gut genug Deutsch spricht, bekommt nur maximal 561 Euro. Menschen mit Behinderung und Alleinerzieher können hingegen Zuschläge bekommen. Wie es mit der angekündigten Abschaffung der Notstandshilfe weitergehen soll, ist bisher nicht bekannt. Bis Herbst nächsten Jahres soll es eine Lösung geben, versicherte Gesundheitsministerin Hartinger-Klein (FPÖ).

Gewinner: Behinderte und Alleinerzieher

Verlierer: kinderreiche Familien, Personen mit mangelhaften Deutschkenntnissen

Indexierung der Familienbeihilfe

Die Indexierung der Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder sieht eine Anpassung der Beihilfe an die Lebenshaltungskosten im Heimatland des Kindes vor. Dies solle mehr Gerechtigkeit schaffen, so die Regierung. Dadurch verringert sich die Beihilfe für Kinder in osteuropäischen Ländern deutlich. EU-Kommission und EU-Parlament lehnen die Indexierung als rechtswidrig ab.

Gewinner: Kinder in Hochpreisländern

Verlierer: Kinder in Osteuropa

Kassenreform

Am Donnerstag wurde laut Regierung „die größte Reform der Zweiten Republik“ beschlossen – eine Reform der Sozialversicherung. Die neun Gebietskrankenkassen werden zu einer österreichischen Gesundheitskasse zusammengelegt. Aus der Gewerblichen und der Bäuerlichen Sozialversicherung wird eine Selbstständigen-Kasse und auch die Beamten- und Eisenbahner-Kassen fusionieren. Arbeitgeber erhalten in den Gremien mehr Macht, die Bedeutung des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger wird geschmälert. Dem Beschluss ging im Nationalrat die wohl heftigste Debatte der letzten Monate voraus. SPÖ und Gewerkschaft warnten vor Verschlechterungen für Patienten, der Seniorenrat kündigte eine Verfassungsklage an.

Gewinner: alle Österreicher (laut Regierung)

Verlierer: rote Funktionäre (laut Regierung), Patienten (laut Opposition)

Familienbonus

Mittelstandsfamilien mit 1700 Euro Bruttoeinkommen werden ab 1. Jänner mit einem Absetzbetrag von bis zu 1500 Euro pro Kind/Jahr belohnt. Familienbeihilfe-Bezieher bekommen für Kinder über 18 bis zu 500 Euro. Gering verdienenden Alleinerziehern winkt ein Kindermehrbetrag von zumindest 250 Euro je Kind.

Gewinner: Familien mit genügend hohem Einkommen

Verlierer: „Großzuwandererfamilien“ (Vizekanzler Strache)