Die Koalition hat diese Woche die Indexierung der Familienbeihilfe beschlossen, was vor allem Pfleger aus dem EU-Ausland treffen wird. Wie wird sich das auf das Pflegesystem auswirken?
BERND MARIN: Es wird die Gewinnung ausländischer Pflegerinnen, die wir dringendst brauchen, noch einmal erschweren. Das Gesetz wird wohl in Brüssel als EU-rechtswidrig abgeschmettert – das ist vermutlich auch die politische Inszenierung.

Gehen wir mit dem Pflegethema insgesamt adäquat um?
Nein. Die Abschaffung des Pflegeregresses ohne jedes Konzept und Finanzierungsmodell durch fast alle Parteien im Wahlkampf war eine katastrophale und historisch nun unumkehrbare Fehlleistung. Sie wird eine Kostenlawine lostreten und macht die teuerste aller Varianten, die Heime, plötzlich zur attraktivsten. Und kroatische Pflegekräfte weiter auszuschließen, ist einfach nur dumm und kurzsichtig.

Wäre eine allgemeine Pflegeversicherung eine Lösung?
Man sollte das abseits solcher Schlagworte diskutieren. Man wird nicht umhinkommen, das Pflegesystem neu aufzusetzen: Man wird dem Wunsch der 96,5 Prozent älteren Menschen entsprechen müssen, zu Hause von Familienangehörigen in Ergänzung zu professioneller Pflege betreut zu werden. Wir sollten bei externen Angeboten Tageszentren und ambulante Pflege ausbauen, den Ausbau der Heime stoppen.

Apropos Pensionen: Die Regierung hat gerade die höchste Pensionserhöhung der letzten Jahre beschlossen. Ist das sinnvoll?
Diese und alle Vorgängerregierungen haben das Gesetz verletzt, das ja die Wertsicherung der Pensionen vorsieht. Sie haben meist Hunderte Millionen mehr als vorgesehen ausgezahlt. Das ist sehr bedenklich: ein Gesetz als schlecht wahrzunehmen, es dennoch beizubehalten und dann ständig zu verletzen – statt es durch ein besseres zu ersetzen. Aber das würde eine korrekte und transparente Selbstbindung bedeuten und Stimmenkauf durch außergesetzliche Bonifikationen nach Gutsherrenart à la Jörg Haider unterbinden.

Bisher wurden höhere Pensionen unter der Inflation erhöht.
Man sollte das Gesetz nicht vorsätzlich und systematisch brechen. Über Jahrzehnte wurden die niedrigsten Pensionen über der Inflation angehoben – das obere Drittel oft unter der Inflation. Diese Umverteilung kann man mit guten Gründen wollen, aber das geht mittel- bis langfristig in Richtung einer Volkspension. Die Österreicher wollen aber überwiegend Beitragsgerechtigkeit: dass ihre Pension in etwa der Stellung in der Einkommenspyramide zu Erwerbszeiten entspricht. Umverteilung ist durchaus legitim, aber ohne Etikettenschwindel eines vermeintlichen „Lebensstandards“-Prinzips.

Ist das derzeitige Pensionssystem nachhaltig?
Nein, das ist es nicht. Man muss die staatlichen Pensionen konsolidieren und die betrieblichen Pensionen ausbauen. Die fast völlige Abhängigkeit nur von staatlichen Leistungen, die jederzeit verringert werden können, verschafft kein ausreichendes Sicherheitsgefühl. In den vergangenen Jahrzehnten haben zig Pensionsrefornen stattgefunden, die allesamt Leistungen verschlechtert haben. Meine Generation alleine hat rund 30 Prozent der Ansprüche verloren, die uns noch 1988 versprochen wurden.