Die ÖVP ließ die Repräsentanz von Politikern mit NS-Vergangenheit in ihren Reihen in einer Studie aufarbeiten. Ein Ergebnis daraus: Die Zahl der ÖVP-Mandatare mit einer NSDAP-Vergangenheit liegt etwa gleichauf mit der Anzahl der NSDAP-Mitglieder in der Gesamtbevölkerung.

Der Auftrag zur Erstellung der Studie erging an das Karl von Vogelsang-Institut, das den unabhängigen Historiker Michael Wladika beauftragte. Untersucht werden sollte, inwieweit Personen, die vor 1945 NSDAP-Mitglied waren, in der Zweiten Republik in verantwortlicher Funktion für die Volkspartei tätig waren. Die rund 200 Seiten umfassende Studie ist ab 2. Mai auf der Homepage des Vogelsang-Instituts veröffentlicht.

Von den 560 untersuchten Personen waren laut einer Unterlage 36 (6,4 Prozent) Angehörige der NSDAP; 17 Personen werden als Zweifelsfälle bezeichnet. Die Bandbreite der NSDAP-Mitglieder liege somit zwischen 6,4 und 9,5 Prozent. Die Anzahl der ÖVP-Mandatare mit einer NSDAP-Vergangenheit liegt damit etwa gleichauf mit der Anzahl der NSDAP-Mitglieder in der Gesamtbevölkerung (7,5 Prozent). Zwischen sechs und 16 (1,07 bis 2,8 Prozent) der untersuchten 560 Personen waren entweder "Alte Kämpfer" oder "Illegale".

Zielgruppe der Studie waren politische Funktionäre, die nach 1945 eine bedeutende Position eingenommen haben. Insgesamt wurden 560 Personen, die aufgrund ihrer Biografien potenziell zu einem Kreis zählten, bei denen eine NSDAP-Mitgliedschaft möglich schien, untersucht. Darunter waren etwa ÖVP-Regierungsmitglieder, Parlamentarier, Landtagspräsidenten oder Klubobmänner der Landtage. 63 Personen hat man sich im Detail angeschaut. Untersucht wurden Mitgliedschaften in der NSDAP, "Alte Kämpfer", "Illegale", SA, SS, NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps) und NSFK (nationalsozialistisches Fliegerkorps).

In der Einleitung wird darauf hingewiesen, dass es sich um ein "gruppenbiographisches Forschungsprojekt" handle.  Im Mittelpunkt stehe die statistische Erfassung von NSDAP-Mitgliedern, "die per se noch keine moralische Wertung beinhaltet". Als Beispiel werden die Biografien des Steirers Eduard Pumpernig und des Niederösterreichers Walter Riehl angeführt, denen nominell keine NSDAP-Mitgliedschaft zugeschrieben werden kann.

Der am 9. März 1920 in Scheifling in der Steiermark geborene Pumpernig schloss sich in der NS-Zeit der „Antifaschistischen Freiheitsbewegung Österreichs (AFÖ)“, einer Widerstandsgruppe aus dem katholisch-konservativen-bürgerlichen Lager gegen das NS-Regime an und war an Flugblattaktionen beteiligt. Als die Gruppe, der etliche Franziskanermönche angehörten, von der Gestapo ausgehoben wurde und es zum Prozess vor dem Volksgerichtshof kam, drehte Pumpernig „den Spieß“ um und stellte sich als Opfer dar, der zu den Taten von der AFÖ verleitet worden wäre. Die Gestapo konnte ihn so als „Kronzeugen der Anklage“ gewinnen. Pumpernig wurde im Sommer 1944 „nur“ zu zehn Jahren Haft verurteilt, während der Rest der Gruppe zum Teil hingerichtet wurde. Eduard Pumpernig, der zu den Gründungsmitgliedern der ÖVP-Steiermark 1945 zählte, war vom 12. November 1974 bis zum 30. Juni 1985 Mitglied des Bundesrates für die ÖVP, davon von 1. Jänner 1985 bis zum 30. Juni 1985 Vorsitzender. Er starb am 7. April 1992 in Graz.

Der am 8. November 1881 in Wiener Neustadt geborene Rechtsanwalt Walter Riehl gehörte in den 20er Jahren zu den führenden nationalsozialistischen Persönlichkeiten. 1909 trat er der „Deutschen Arbeiterpartei (DAP)“ bei und übernahm 1919 nach deren Aufspaltung auf die Nachfolgestaaten der österreichisch-ungarischen Monarchie den Vorsitz der „Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei DNSAP“ in der nunmehrigen Republik Österreich. Er zerstritt sich aber 1923 mit Adolf Hitler, dessen Du-Freund er war, woraufhin er die Partei ein Jahr später verließ. Im Jahr 1930 wurde er zwar Mitglied der NSDAP, zerstritt sich aber erneut und wurde aus der Partei ausgeschlossen.

Nach dem „Anschluss“ war es sein sehnlichster Wunsch, wieder der NSDAP anzugehören, wozu er Tanzabende veranstaltete, zu denen er die Wiener NS-Prominenz einlud. Alle seine Versuche blieben aber vergebens. Nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in Wien im April 1945 wurde Walter Riehl von der Besatzungsmacht vorübergehend in Haft genommen.

Leopold Kunschak, nach Kriegsende erster ÖVP-Vizebürgermeister von Wien, setzte sich für den Inhaftierten ein, weil Riehl, der 1945 als „Nicht-Nationalsozialist“ galt, „trotz seiner Parteitätigkeit in früheren Jahren als Kämpfer für seine österreichische Heimat anzusehen und während der Naziherrschaft in Österreich andauernd benachteiligt und geächtet gewesen“ sei.  Riehl sah nunmehr in der ÖVP seine politische Heimat, da sie die einzige Partei sei – der „Verband der Unabhängigen“ (VdU) konnte erst 1949 an die Öffentlichkeit treten – die „christlich“ genug eingestellt wäre, um nicht den „Racheengel“ gegenüber ehemaligen Nationalsozialisten zu spielen und eine „mehr auf Versöhnung ausgerichtete Politik“ betreiben würde. Nicht wenige dürften so gedacht haben.

Walter Riehl trat 1947 als Mitglied der ÖVP-Organisation des 1. Wiener Gemeindebezirkes bei. Er forderte die „Ehemaligen“ auf, die ÖVP zu wählen, „um nicht dauernd als sogenannte ,Faschisten’ abseits zu stehen.“ Aus diesen Gründen gab Riehl am 1. Februar 1953 in einer programmatischen Rundfunkrede eine Wahlempfehlung für die ÖVP ab. 1953 trat er dem „Österreichischen Akademikerbund“ bei und wurde Vorsitzender des „Sozialpolitischen Fachreferats“.

Als Walter Riehl am 6. September 1955 im 75. Lebensjahr verstorben war, hielt auf der Beisetzung am Hietzinger Friedhof kein „Alter Kämpfer“ die Grabrede, sondern der spätere ÖVP-Handelsminister Otto Mitterer unter den Augen des Nationalratspräsidenten Felix Hurdes.