Sexuelle Übergriffe gegenüber Frauen: In periodischen Abständen erreichen Wellen der Empörung über Einzelereignisse die Öffentlichkeit, die sich über die sozialen Medien zu Tsunamis steigern.

Die sexuellen Avancen zu später Stunde des FDP-Politikers Rainer Brüderle gegenüber einer Journalistin, die Anfang 2013 unter dem Hashtag #Aufschrei tausende Frauen dazu veranlasste, ihre eigenen Erfahrungen von Bedrängung im beruflichen Umfeld sichtbar zu machen.

Die Silvesternacht von Köln, zum Jahreswechsel 2015/2016, die eine neue Form von männlicher Gewalt im öffentlichen Raum sichtbar machte, der sich Frauen schutzlos ausgesetzt sahen und die - einmal mehr  - Kämpferinnen wie Alice Schwarzer auf die Barrikaden trieb.

Der anzügliche Umgang von Donald Trump mit Schönheiten im Showbusiness, Trump, der 2017 inzwischen zum US-Präsidenten aufgestiegen ist und dem auch viele Frauen ihre Stimme gegeben haben, weil ihre eigenen Männer "eh auch so sind".

Die aktuell zum Thema gewordenen sexuellen Übergriffe im EU-Parlament, die transparent machen, dass Männer auch in hohen und höchsten Rängen von Politik und Gesellschaft die berufliche Existenz von Frauen davon abhängig machen, ob sie ihnen zu Willen sind.

Und zuletzt die US-Schauspielerin Alyssa Milano, die sichtbar machte, dass sie und viele ihrer Kolleginnen nur dann zum Zug kommen, wenn sie die sexuellen Erwartungen von Regisseuren und Produzenten befriedigen, was zahlreiche Berufskolleginnen in aller Welt dazu veranlasste, unter dem Hashtag #MeToo ähnliche Erfahrungen publik zu machen.

In Österreich hat Johanna Dohnal ab 1979 als Frauenstaatssekretärin und ab 1990 als Frauenministerin versucht, ein modernes Frauenbild zu etablieren und auch selbst zu leben, bevor sie von Kanzler Franz Vranitzky 1995 in die Wüste geschickt wurde.

Frauenministerin Helga Konrad beging den Fehler, das, was Dohnal erkämpft hatte, schon für gesellschaftliche Realität zu halten und ging glorreich mit ihrer mutigen Kampagne "Ganze Männer machen halbe - halbe" unter.

Unter Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek gelang es dann 2012, im Zusammenwirken mit den Frauen anderer Parteien, allen voran Maria Rauch-Kallat (ÖVP), den Text der Bundeshymne zu verweiblichen: Seitdem wird - auch am Nationalfeiertag - die "Heimat großer Töchter und Söhne" besungen, und aus den "Bruderchören" wurden "Jubelchöre".

Nicht für alle: Schlagerstar Andreas Gabalier tat sich zwei Jahre später dadurch hervor, dass er reuelos auf den neuen Text verzichtete und nur die Männer besang. Erst heuer im Sommer, während der Frauenfußball-EM in den Niederlanden, als die Perfomance des österreichischen Damenteams geschlechterübergreifend die Fans begeisterte, rang er sich zur Läuterung durch: Er stellte ein bei einer Autofahrt aufgenommenes Selfie-Video online: "Heimat seids ihr großer Töchter. Des muss man jetzt wirklich einmal sagen", hieß es dort. Sowohl der Facebook-Eintrag als auch das Video waren allerdings nur kurz online...

Und jetzt Proll. Die #MeeToo-Debatte im Netz ging ihr auf den Keks. Und vor wenigen Stunden postete sie auf Facebook: "Warum bestehen eigentlich immer die Feministinnen darauf, dass Frauen Opfer sind? Das verstehe ich nicht. Ich bin seit 20 Jahren in diesem Beruf tätig, und ich schwöre, ich bin dabei noch nie von einem Mann sexuell belästigt worden. Weder von einem Mächtigen noch von einem ohnmächtigen."

Und kassierte prompt Lob von wahrscheinlich nicht ganz erwarteter Seite, unter anderem von Frauenverachter Felix Baumgartner: "Nina Proll ist einfach toll!"

Nachdem im Netz ein regelrechter Shitstorm losgebrochen war, postete Nina Proll: "...schön, wenn man absichtlich missverstanden wird. Ich habe nicht von Frauen gesprochen, denen tatsächlich Gewalt widerfahren ist, sondern von Schauspielerinnen, die behaupten, sie hätten Unzumutbares ertragen müssen, um Karriere zu machen. Das ist etwas völlig anderes. Wie weit ich gehe, um eine Rolle zu bekommen, oder "Karriere" zu machen, bleibt jeder Frau selbst überlassen. Ich bleibe dabei."

Die Antwort von Jungjournalistin Hanna Herbst vom Online-Magazin Vice wurde vielfach im Netz geteilt: "Ich freue mich für dich, dass du noch nie sexuell belästigt wurdest. Du gehörst damit zu einer glücklichen Minderheit. ... Wenn dein Chef dich belästigt, dann kannst du oft nicht so reagieren, wie du gerne würdest. Außer eventuelle berufliche Konsequenzen sind dir egal. Und wenn das so ist, dann gratuliere: Du bist in einer sehr privilegierten Situation. ... Es geht hier nicht um dich. Es geht auch nicht um mich. Es geht darum, dass durch die Geschichten all dieser Frauen eine globale Struktur aufgezeigt wird, in der Männer denken, sie hätten das Anrecht auf etwas, auf das sie nie eines hatten. Und deine Zeilen sind nur ein weiteres Symptom."

Warum Handlungen von Männern wie Andreas Gabalier und Aussagen wie die von Nina Proll so weh tun: Sie bestärken jene, die einen sexistischen Umgang mit Frauen haben oder Frauen nicht als gleichwertig betrachten, weil sie ihnen das Gefühl geben, den Opfern, also den Frauen mache das ja gar nichts aus beziehungsweise sie fühlten sich gar nicht als Opfer. Wo es keine Opfer gibt, kann es folgerichtig auch keine Täter geben.

Die neue Öffentlichkeit über die sozialen Medien wirkt in beide Richtungen: Einzelfälle werden über die Reaktionen von Tausenden als Massenphänomene enttarnt. Und Einzelreaktionen werden über die Reaktion von Tausenden zu Wegweisern. Aus der nachvollziehbaren Befindlichkeit einer Nina Proll wird damit eine Wegmarke für Täter, die sich bestätigt sehen und eine Barriere für Frauen, die ohnehin fürchten müssen, als Opfer nicht verstanden zu werden.

Was hat das alles mit dem Nationalfeiertag zu tun?

Was das alles mit dem Nationalfeiertag zu tun hat? Der Nationalfeiertag ist ein Tag, der an die Entstehung des Landes, an die Geschichte Österreichs erinnert.

Es mag auch Anlass sein, darüber nachzudenken, welche Geschichten die Menschen dieses Landes miteinander verbinden und was sie voneinander trennt. Die Lebenswirklichkeit der Österreicherinnen, ihre Vergangenheit und ihre Zukunft, ist eine andere als die der Österreicher: Als Einzelperson, als Gruppe, die die Hälfte der Bevölkerung ausmacht.

Wenn am Nationalfeiertag von Patriotismus die Rede ist, vom Stolz auf unser Land, von den Werten, die dieses Land prägen, so sollten wir uns  bewusst machen, dass auch in diesem Land, in unserem Österreich, noch ein weiter Weg zurückzulegen ist auf dem Weg zu einem Selbstbewusstsein, das Männern und Frauen die selben Chancen bietet, weil es die einen weder als Einzelwesen noch als Gruppe in Abhängigkeit von den anderen hält.