Der Ort war mehr als passend gewählt: Beim Heurigen Pröglhöf in Perchtoldsdorf, inmitten des wohlhabenden und beschaulichen Speckgürtels rund um die Bundeshauptstadt, empfing Vizekanzler und ÖVP-Obmann Michael Spindelegger ORF-Anchorman Armin Wolf zum Sommergespräch. Der so oft als brav beschriebene Spitzenpolitiker bemühte sich in den folgenden fünfzig Minuten, offensiver, angriffiger zu erscheinen, etwa mit der an den Interviewer gerichteten Behauptung, dieser sei JVP-Mitglied gewesen – was Wolf prompt als Jugendsünde abtat. Politisch schon entscheidender als diese Detailfrage – und auch überraschender – war dann die Bemerkung, Frank Stronach, für dessen Lebenswerk Spindelegger großen Respekt hegt, solle die ÖBB kaufen und sanieren.

Der Politologe Peter Filzmaier sieht darin einen Strategiewechsel, wie er gegenüber der Kleinen Zeitung DIGITAL erklärte: Der Vizekanzler wolle beim prognostizierten Duell 2013 zwischen SPÖ-Chef Werner Faymann und FPÖ-Boss Heinz-Christian Strache nicht tatenlos zusehen und stelle selbst den Kanzleranspruch. "Mehr als das letzte Mal. 2013 ist das Jahr der ÖVP", gab Spindelegger daher im Sommergespräch auch die Marschrichtung für die Nationalratswahlen vor. Der Urnengang werde definitiv im Herbst 2013 stattfinden – mit dem Spitzenkandidaten und Parteiobmann Michael Spindelegger, so die Selbsteinschätzung des Vizekanzlers, von Wolf auf die "Gerüchte" der vergangenen Tage angesprochen.

Rückenwind durch Bundesheer?

Das werde nach Filzmaiers Einschätzung auch so bleiben: Abseits von Erwin Pröll gebe es keine Konkurrenz, zudem sei das Amt auch nicht sonderlich beliebt. Spindelegger selbst erklärte, er sei "stolz, dass die Volkspartei so ausgeprägte Persönlichkeiten" wie Pröll habe. Mit dem sei er, wie zuletzt bei der Bundesheer-Debatte "immer einer Meinung, mit einer Nuance, die ich anders sehe, weil ich keine Volksabstimmung will". Nach Ansicht von Filzmaier habe sich die ÖVP dabei – mit einer zeitlichen Spätzündung von zwei Jahren und mit dem Schönheitsfehler des Zurufs aus St. Pölten – zu einem Strategiewechsel entschlossen: Voll auf die Karte "Ja zur Wehrpflicht" bei der im Jänner angesetzten Volksbefragung setzen, unterstützt von den Aspekten "Zukunft des Katastrophenschutzes und des Zivildienstes" sowie Neutralität. Hier ergebe sich laut Meinungsforschung eine reelle Chance für die Volkspartei, gemeinsam mit den Wahlen in NÖ und Graz könnte das für nötigen bundespolitischen Rückenwind sorgen.

Angesprochen auf mögliche Koalitionen nach der Wahl meint Spindelegger: "Ich schließe keine Partei aus. Ein Wähler möchte eher wissen, wofür eine Partei steht, als über Koalitionen zu spekulieren." Eine wie von der FPÖ geforderte Volksabstimmung über den Euroaustritt sei als Koalitionsbedingung "mit der ÖVP nicht drin". "Als Wirtschafts- und Europapartei kann die ÖPV hier sicher nicht mit. Unklar ist aber, ob die Forderung nicht bloßes Wahlkampfgetöse der FPÖ ist", stellte Filzmaier dazu fest. Spindelegger meinte zur Frage eines möglichen dritten Hilfspakets für Griechenland, dass zuerst die Troika die Ergebnisse der bisherigen Sparbemühungen auf den Tisch legen solle, was im Oktober der Fall sei. Sollten zu weiteren Rettung der Eurozone jedoch tiefgehende Vertragsänderungen mit zusätzlichen Kompetenzen für Brüssel von Nöten sein, müsse es aber jedenfalls eine Volksabstimmung geben.

Laut Filzmaier profitiere die ÖVP generell vom alles überschattenden Thema Euro-Krise, aufgrund des hohen Komplexitätsgrades von ESM & Co sei es aber schwer zu kommunizieren. Nach tagelangen Dementis gab Spindelegger übrigens im Laufe des Gesprächs zu, dass er über einen Wechsel vom Außen- ins Finanzministerium nachgedacht habe. "Eine Rückkehr zum Schilling ist gefährlich, bedeutet weniger Arbeitsplätze, keinen Wohlstand mehr. Jeder Wähler muss sehen, damit ist seine Zukunft infrage gestellt", nahm Spindelegger zu den Polit-Ambitionen Frank Stronachs Stellung. Auch hier habe es nach Einschätzung Filzmaiers einen Strategiewechsel bei den Schwarzen gegeben: Stronach könne als realer Gegner im Mitte-Rechts-Bereich nicht mehr ignoriert werden.

"Dagegen ist Spindelegger machtlos"

Zukunftsthemen spielten während des Sommergesprächs im Übrigen nur eine geringe Rolle, vom Thema Gesamtschule abgesehen: "Ein differenziertes Schulwesen ist das Nonplusultra. Das Gymnasium bleibt, das ist mein Programm", so Spindelegger, der bezüglich seines Image als brav und wenig charismatisch festhielt: "Ich bin, wie ich bin. Verlässlich und solide, aber nicht brav und zu angepasst. Wenn ein Problem auf mich zukommt, reagiere ich anders als andere, ich bin derjenige der ganz langweilig und fad sein Hirn einschaltet. Die Bürger wollen keinen Showman." Diese ruhige Sachkompetenz sei nach Einschätzung Filzmaiers durchaus eine Stärke, überzeugte Protestwähler seien so aber natürlich nicht anzusprechen. Allerdings fehle es Spindelegger an Durchsetzungsstärke, zudem fehle es auch an einem konkreten Angebot der ÖVP an den Mittelstand, an bürgerliche Wähler.

Wenn es im Zuge der "Inseraten-Affäre" zu einer Anklage gegen Bundeskanzler Werner Faymann kommen sollte, könnte dieser, nach Meinung von Spindelegger "sein Amt nicht mehr weiter ausüben", wie er nach mehrmaligen Nachfragen von Wolf feststellte. Aber auch allenfalls der Korruption angeklagte ÖVP-Politiker "müssten gehen. Das ist meine Auffassung." Aufhorchen ließ Wolf in diesem Zusammenhang mit der Frage nach einem ominösen Aktenvermerk, der bei einer Hausdurchsuchung gefunden wurde: "Spindelegger: 1: Parteienfinanzierung; zwei Millionen". Der ÖVP-Obmann wies den Vorwurf, der noch aus seiner Zeit als Bürochef von Verteidigungsminister Robert Lichal stammt, zurück. Beim Dauerbrenner Korruption habe Spindelegger nach Einschätzung Filzmaiers trotz persönlicher Integrität das Problem des Timings, er könnte von den Skandalfällen rund um die Partei überdeckt werden: "Im Herbst beginnt der Prozess gegen Strasser, vermutlich mit einem Urteil im Wahljahr. Dagegen ist Spindelegger machtlos".