„Unglaublich“, murmelt ein Passant und schüttelt den Kopf. Er blickt auf eine kleine Ansammlung von Zelten, mit Parolen beschrifteten Plakaten und Palästina-Flaggen in der Mitte des Campus der Universität Wien im Alten AKH. Es ist ein „Pro-Palästina“-Protestcamp nach dem Vorbild jener Camps in den USA, die seit Wochen für internationale Aufregung sorgen. Wie in den Vereinigten Staaten verurteilen die Demonstranten die israelischen Angriffe in Gaza.

Obwohl das Semester im vollen Gange ist, ist der Campus wegen des trüben Wetters wie leergefegt, am Tag davor hat es wie aus Eimern geschüttet. Die Zelte der Gruppe von rund 35 Menschen stehen auf dem durchnässten Boden, mit Planen und Bierbänken wurde behelfsmäßig versucht, das Hab und Gut der Anwesenden zu schützen. Mit der anwesenden Presse wollen die Demonstranten nicht reden – man ist aber herzlich dazu eingeladen, am Lesezirkel, der in der Mitte des Camps stattfindet, teilzunehmen. Auf dem Programm stehen Bücher wie „On Palestine“ von Noam Chomsky oder „Dazu gehören“ von Bell Hooks.

Keine Auflösung

Laut Polizei wurden am Montag gegen 17.30 Uhr Zelte errichtet und Transparente gezeigt, auf denen Sprüche wie „Widerstand ist international“, „Fight Patriachy“ oder „Not in our name“ zu lesen sind. Zunächst waren rund 100 Aktivistinnen und Aktivisten vor Ort, die diverse Parolen skandierten und Ansprachen hielten, begleitet vom Schwingen palästinensischer Fahnen.

Wer genau hinter der „Student Intifada“ und somit dem Protestcamp steckt, wollen die Demonstrantinnen und Demonstranten nicht beantworten. Im Camp wird Englisch gesprochen, die Gruppe präsentiert sich international. Die Frage, ob Studierende der Universität Wien dabei sind, bleibt unbeantwortet.

Generell zeigt sich die Gruppe zurückhaltend: „Wir sind seit gestern 4 Uhr hier, wegen des Regens war es eine harte Nacht. Aber wir werden weiterkämpfen“, sagt eine junge Frau. Eine weitere Demonstrantin erklärt, dass man gegen den Völkermord in Gaza sei und weiter protestieren wolle. Neugierige Passanten bekommen Flyer ausgehändigt und bekommen Informationen über die Beweggründe der Protestierenden.

Die Wiener Polizei sei am Montagabend rasch vor Ort gewesen, seitdem wird das Camp von den Beamten genau beobachtet und im Rahmen des Versammlungsgesetzes regelmäßig rechtlich beurteilt – ebenso wie die Plakate und die Parolen. Weiters würde man in engem Kontakt mit Verantwortlichen der Universität Wien stehen.

ÖH distanziert sich

Die HochschülerInnenschaft (ÖH) an der Uni Wien hat sich vom am Montag errichteten Protestcamp distanziert. Zu diesem „Emcampment“ hätten u.a. „ganz klar antisemitische Gruppierungen“ wie „Der Funke“ oder die Israelboykott-Kampagne BDS aufgerufen. Durch solche Proteste würden sich jüdische Studierende zunehmend unsicherer fühlen. Dass im Camp per Flyer zu einer „Global Student Intifada“ aufgerufen werde, nannte die ÖH am Dienstag per Aussendung „untragbar“.

Den leidenden Menschen in Palästina würden antisemitische Bedrohungsszenarien für jüdische Personen nicht helfen, betonte die Studierendenvertretung. „So sehr man die brutale Kriegsführung der israelischen Regierung auch kritisieren muss, darf dies jedoch niemals dazu führen, dass sich jüdische Menschen nicht mehr sicher fühlen.“ Die Forderung nach einem befreiten Palästina könne nur mit der Forderung nach einer Befreiung von der Hamas einhergehen und könne auch nicht die Auslöschung des einzigen jüdischen Staates bedeuten.

Nur mehr 25 Protestierende

Derzeit – Stand Dienstagmittag – ist laut Polizei bei der Zusammenkunft „ein manifestativer Charakter feststellbar, es handelt sich also um eine Kundgebung im Sinne des Versammlungsgesetzes“. Zur Auflösung des Camps bestehe derzeit keine rechtliche Möglichkeit: „Da bislang weder ein strafrechtliches Verhalten feststellbar war noch die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet war. Weiters handelt es sich bei dem Gelände um einen öffentlich zugänglichen Bereich, eine Unzumutbarkeit für den Berechtigten liegt aktuell nicht vor“, heißt es seitens der Exekutive. Auf die Frage vor Ort, wie viele Leute jetzt beim Camp anwesend seien, gab es die knappe Antwort: „Ihr seid die Journalisten, ihr könnt selbst zählen.“ Die Anwesenden verstecken ihre Gesichter unter Masken und Palästina-Schals.

Die Wiener Polizei will weiter beobachten, etwa, ob es zu einer Störung des Uni-Betriebs kommt. In dem Fall würde „die Unzumutbarkeit der Kundgebung in Bezug auf den Hochschulbetrieb erneut geprüft werden“. Gleichzeitig will man mit den Camp-Teilnehmern im Gespräch bleiben.

Uni Wien: Kein Platz für Antisemitismus

Die Universität Wien distanzierte sich Montagabend „entschieden“ von den Anliegen der „Pro Palästina Proteste“ am Campus. Antisemitismus und die Verharmlosung von Terror hätten keinen Platz an der Universität Wien, hieß es in einer Stellungnahme gegenüber der APA.

Für sachliche Diskussionen auch zu kontroversiellen Themen böten Universitäten ein kritisches Forum. Einseitige Darstellungen, Intoleranz, Rassismus und Antisemitismus dagegen verurteile man in aller Schärfe.

Polaschek: „Null Toleranz gegenüber extremistischen Haltungen“

Auch Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) betonte, dass es „an Österreichs Universitäten keinen Platz für Antisemiten und Extremisten gibt“: „In unserem Land gilt die Freiheit der Wissenschaft, jedoch lassen wir null Toleranz gegenüber jeglicher Form von extremistischen und anti-israelischen Haltungen walten“, hieß es in einer der APA übermittelten Stellungnahme. „Ich verurteile daher alle Aktivitäten und Protestaktionen, die Terrorismus relativieren, Hass schüren und Menschen verunglimpfen, aufs Schärfste. Als österreichische Bundesregierung gilt unsere volle Solidarität Israel.“

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) äußert sich im Rahmen einer Pressekonferenz zu dem Thema: „Die Demonstrationen gibt es ja schon in anderen europäischen Städten. Die Demonstrationsfreiheit ist ein hohes Gut in unserer Verfassung. Aber es ist wichtig, dass sich alle Demonstrierenden an die Gesetze halten.“ Bei antisemitischen und rassistischen Parolen gilt eine Nulltoleranzgrenze, so der Kanzler weiter. Ob die Polizei einschreiten soll, ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit, so Nehammer.